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Autor
Leseproben

Das Miniatom-Projekt

Ein Wissenschafts- und Kriminalroman

von Richard M. Weiner

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Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)
Marburg an der Lahn 2006
291 Seiten
ISBN 978-3-936134-14-8

Preis:
Buch: 14,90
eBook: 4,90


Ein Roman über physikalische Theorien und ihre Anwendung, Genie und Wahnsinn, Liebe und Berechnung, Hacker, Konkurrenten, Spekulanten und Geheimdienste. Auch die NSA mischt mit! Ein Wissenschafts- und Kriminalroman der besonderen Art: spannend und intelligent, sinnlich und reflektiert zugleich, geschrieben von einem renommierten Physiker, der die Welt kennt, über die er schreibt.


Der Autor im Juli 2012 nach den spektakulären Zeitungsmeldungen über die vermutliche Entdeckung des Higgs-Teilchens am Kernforschungszentrum Cern über sein Buch: "Hier kann der neugierige Leser einen Vorgeschmack finden, wofür das vor kurzem am Cern entdeckte Higgs Teilchen gut ist. Und nicht zuletzt ein Gefühl dafür bekommen, warum es so schwierig war und mehr als 20 Jahre gedauert hat, dieses Gottesteilchen einzufangen."

2014 ist Richard M. Weiners zweiter Roman "Aufstand der Denkcomputer" erschienen.

Hinweise auf eine ähnliche Idee im Film "Downsizing" (2017)

Beim Erwerb des E-Books wird dieses vom Verlag durch die Zusendung eines Links zu drei Versionen (pdf, epub, mobi) zugänglich gemacht, die Käufer alle auf ihre eigenen Lesegeräte speichern können. Die Version im mobi-Format ist auch bei Amazon erhältlich.


Zum Inhalt und Pressestimmen

Inhalt

Der Physiker Trevor McCallum entdeckt, wie man durch Änderung einer Naturkonstante Atome und Lebewesen miniaturisieren kann. Damit könnten die Energie- und Rohstoffprobleme der Menschheit gelöst werden. Der Beweis, dass die Idee umgesetzt werden kann, erfordert schwierige Rechnungen am Computer. Sie und das Eindringen eines KGB-Hackers belasten Trevors Nerven. Zum Computer entwickelt er eine Liebes- und Hass-Beziehung. Er erscheint ihm als Verkörperung mal des Guten, mal des Bösen. Als Trevor tot am Computer aufgefunden wird, steht die Genfer Polizei vor einem Rätsel: War es Selbstmord? War es Mord?

Ein phantastischer Film inspiriert zu naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Und diese werden zum Gegenstand einer literarischen Phantasie, an der vieles wahr ist. Ein Roman über physikalische Theorien und ihre Anwendung, Genie und Wahnsinn, Liebe und Berechnung, Hacker, Konkurrenten, Spekulanten und Geheimdienste. Auch die NSA mischt mit!  Ein Wissenschafts- und Kriminalroman der besonderen Art: spannend und intelligent, sinnlich und reflektiert zugleich, geschrieben von einem renommierten Physiker, der die Welt kennt, über die er schreibt.

Pressestimmen:

Neue Zürcher Zeitung vom 31.10.2007

 [...] spannend und unterhaltsam erzählt; man merkt, wie viel Spass es Weiner macht, schwere Theorie leicht verdaulich zu präsentieren, die Eitelkeiten des Wissenschaftsbetriebes zu entlarven oder über die Parallelen zwischen klassischer Musik und moderner Physik zu reflektieren."


Frankfurter Rundschau, 14.02.2007

Ein Physik-Roman zwischen Realität und Fiktion

Der pensionierte Atomkernforscher Richard M. Weiner schreibt Krimis und verpackt darin einen Teil seines spannenden Lebens

Von Gesa Coordes

Sein Leben gleicht einem Krimi. Jetzt hat Richard M. Weiner selbst einen geschrieben: Mit dem Roman "Das Mini-Atomprojekt" führt der emeritierte Marburger Physikprofessor die Leser an die zentralen Forschungsstätten. Seine Wahlheimat Marburg findet er langweilig.

Marburg - Als dem Atomwissenschaftler Richard M. Weiner 1969 die Flucht aus Rumänien gelang, konnte er sofort am Europäischen Zentrum für Kernforschung (CERN) in Genf arbeiten. Die faszinierende Atmosphäre des weltgrößten Instituts seiner Art hat er in seinem jetzt erschienenen Roman-Erstling eingefangen.

In diesem Zentrum wird der Protagonist des Kriminalromans Trevor McCallum tot in seinem Computer gefunden. Der Roman-Physiker hatte zuvor entdeckt, wie man durch Änderung der Naturkonstante Atome und Lebewesen miniaturisieren kann. Doch der Beweis, dass die Idee umgesetzt werden kann, erfordert schwierige Rechnungen, die Romanfigur McCallum an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen. Geheimdienste, eine schöne Frau und Hacker treten auf den Plan.

Richard M. Weiner beschäftigt sich selbst seit Jahrzehnten mit den Naturkonstanten. Ein Krimi habe den Vorteil, dass er eine schlüssige Hypothese vorstellen kann, ohne sie beweisen zu müssen, erklärt der Autor seine Beweggründe zum Romanschreiben. Zudem habe er 1995, als er mit dem Schreiben des 290-Seiten-Werks begann, dringend eine Pause gebraucht: "Ich fühlte mich ein bisschen ausgelaugt", sagt 77-Jährige, der bis heute intensiv am Pariser "Laboratoire de Physique Théorique" forscht.

Die eigenwillige Mischung aus physikalischen Theorien und Genie, Gewalt, Liebe und Geheimdiensten bietet auch Weiners Lebenslauf. Als deutschsprachiger Jude im rumänischen Czernowitz kam er als Zehnjähriger ins dortige Ghetto. Ein großer Teil seiner Verwandten wurde deportiert; seine Mutter starb im Ghetto. Weil er fünf Jahre lang nicht zur Schule gehen konnte, unterrichtet ihn sein Vater, ein Rechtsanwalt, in Mathematik und Latein. Weiner schaffte den Sprung in die Oberstufe, studierte später Physik in Bukarest. Als Forscher machte er schnell auf sich aufmerksam, so dass seine Arbeiten weltweit als "nobelpreisverdächtig" galten.

Nach dem Krieg wollte der Physiker nicht länger in Rumänien bleiben: Seine Familie hatte die gesamte Habe verloren, emigrierte Verwandte lebten in den USA und Frankreich. Als er 1958 einen Ausreiseantrag stellte, wurde er für elf Jahre von der rumänischen Regierung zum Laboranten zurückgestuft. Er durfte nicht mehr veröffentlichen, wurde vom rumänischen Geheimdienst überwacht. 1969 gelang ihm gemeinsam mit seiner Frau Nina die Flucht über die Tschechoslowakei in die Schweiz. Dort arbeitete er auf Einladung - als einziger osteuropäischer Wissenschaftler - im Genfer CERN. Danach führten ihn die Forschungsreisen zu allen zentralen Orten seines jetzigen Romans - nach London, Paris und ins US-amerikanische Berkeley.

Erst 1974 - mit der Berufung an die Marburger Philipps-Universität - wurde er sesshaft: "Marburg ist mir Heimat geworden", sagt der 77-Jährige, der die Stadt gleichwohl "klein und ein bisschen langweilig" findet. Deswegen forscht er seit seiner Emeritierung 1995 die Hälfte des Jahres am "Laboratoire de Physique Théorique" der Pariser Universität.

Jetzt Weiner schreibt wieder. In seinem zweiten Roman geht es um Kampf der Menschheit gegen die Automatisierung. Er ist sich jedoch nicht sicher, ob er ihn je beenden wird: "Mich quält eine physikalische Idee, an der man seit 100 Jahren bohrt".

Richard M. Weiner: Das Mini-Atomprojekt. Verlag LiteraturWissenschaft.de. ISBN 3-936134-14-6.

Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 14.02.2007 um 00:12:02 Uhr
Erscheinungsdatum 14.02.2007 | Ausgabe: H-SUED | Seite: 26

Marburger "Express" über Richard M. Weiner

Autor

Richard M. Weiner, geboren am 6.2.1930 in Czernowitz, überlebte dort das jüdische Ghetto und promovierte 1958 an der Universität Bukarest. 1969 gelang dem Atomwissenschaftler, der mit seinen wichtigen Entdeckungen manchem Kollegen nobelpreisverdächtig erschien, die Flucht aus Rumänien in den Westen, wo er zunächst am Europäischen Zentrum für Kernforschung (CERN) und dann an der Universität Marburg als Professor für Theoretische Physik arbeitete. 1970-1972 war er Visiting Professor an der Indiana University, USA, 1972-1973 Senior Visiting Fellow im Imperial College an der London University, 1976-1996 Consulting Scientist im Los Alamos National Laboratory an de University of California, 1980-1990 Visiting Scientist an der University of California in Berkeley. Ab 1995 forschte Weiner am Laboratoire de Physique Théorique in der Université Paris-Sud.
2000 erschien sein Buch „Introduction to Bose-Einstein Correlations and Subatomic Interferometry“, 2008 „Analogies in Physics and Life. A Scientific Autobiography“, 2006 sein erster Roman „Das Miniatom-Projekt“, 2014 der Roman „Aufstand der Denkcomputer“. Richard M. Weiner lebte zuletzt ganz in Marburg, wo in seiner Fortsetzung dieses Romans  bei Grabungen an einer Baustelle das „Tagebuch eines Denkcomputers“ (2020) entdeckt wird. Er starb am 13. August 2020.

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Aus Anlass der vermutlichen Entdeckung des Higgs-Teilchens im Juli 2012: Der Autor lernte den britischen Physiker Peter Higgs vor 30 Jahren auf sehr angenehme Weise kennen. In seinem Buch "Analogies of Physics and Life" (http://www.worldscibooks.com/histsci/6350.html) schreibt er dazu:

From London I made several trips to British universities as well as to some on the continent. Kemmer, the Head of the Physics
Department of the University of Edinburgh ... invited me for a talk  at Edinburgh. Here I met Peter Higgs who graciously awaited me at the airport and who gave me a tour through some famous pubs  where I could taste the “true” Scottish whisky.

Leseproben

Genie und Wahnsinn

Die besten zwanzig Schachspieler unter den Schülern der Londoner Gymnasien waren versammelt, um gegen den Schachmeister der Stadt anzutreten. Wie bei jedem Simultanspiel war der Meister benachteiligt, nicht nur wegen der viel kürzeren Denkzeit, sondern auch, weil er gleichzeitig zwanzig verschiedene Partien bewältigen musste. Das Turnier endete 19:1 für den Schachmeister. Er hatte nur eine einzige Partie verloren. Gegen einen Jungen von elf Jahren. Er hieß Trevor McCallum.

Der Meister war ganz angetan von diesem begabten Jungen und Trevor wurde zu weiteren Meisterschaften eingeladen. In kurzer Zeit war er Jugendmeister von London. Dann begann er selbst Simultanpartien gegen zehn, später auch gegen zwanzig Spieler zu spielen, und zwar mit zunehmendem Erfolg.

Sein wahres Schachtalent kam aber erst zum Vorschein, als er anfing, Blindschach zu spielen. Bei dieser Variante haben die Spieler kein Brett vor sich, sondern müssen sich das komplette Spiel vorstellen. Die eigenen Züge und die des Gegners finden nur im Kopf der Spieler statt, was sowohl Vorstellungskraft als auch ein gutes Gedächtnis erfordert. Aus diesem Grund gelingt es auch erfahrenen Schachspielern nur selten, eine Blindpartie zu Ende zu führen, und so mancher Schachgroßmeister geht dieser Form von Schach ganz aus dem Weg. Nicht so Trevor, der eine Vorliebe für diese Variante entwickelte und auch erwachsene Schachspieler, die zu einer höheren Liga gehörten, fast immer schlug. Es schien der Anfang einer vielversprechenden Schachkarriere zu sein.

[Trevor leidet darunter, keinen gleichwertigen Gegner zu finden.]

Da hatte er eine Eingebung. Wie wäre es, wenn er mit sich selbst Schach spielen würde? Dann wäre er unabhängig und gleichzeitig hätte er einen ebenbürtigen Partner. Er versuchte es erst auf einem Schachbrett mit Figuren. Nach einem Zug für die eine Farbe, wechselte er die Seite und spielte mit der anderen Farbe. Damit ein richtiges Spiel zustande kam, musste er jeweils nur eine Strategie verfolgen und durfte die der gegnerischen Seite nicht kennen. So lernte er, auf Kommando zu verdrängen.

Diese neue Herausforderung war für ihn so interessant, dass er begann Verdrängungsübungen zu machen. Er spielte einige Partien und es schien zu klappen. Ermutigt von diesem Erfolg ging er einen Schritt weiter. Er probierte mit sich selbst blind zu spielen, ohne Schachbrett und Figuren. Die große Schwierigkeit, die er dabei zu überwinden hatte, war es, die beiden Spieler voneinander zu unterscheiden. Beim Spiel mit Schachbrett, beim „Sehschach“, dieses Wort hatte er selbst erfunden, war das einfach: Er musste lediglich seinen Sitz wechseln. Jetzt aber gab es diese Möglichkeit nicht mehr; das ganze Spiel fand nur noch in seiner Fantasie statt. Er identifizierte sich jeweils mit einer der Farben und konnte so die Gegner voneinander trennen. Auf diese Weise konnte Trevor nicht nur die letzten Tage seiner Rekonvaleszenz überbrücken, er war auch nie zuvor so glücklich gewesen. Die erlangte Unabhängigkeit gab ihm ein Gefühl von Freiheit, das ihn berauschte.

[...] was als origineller Zeitvertreib begonnen hatte, entwickelte sich langsam zu einer Sucht. Die Möglichkeit, zu jeder Zeit und überall, ob zu Hause oder in der U-Bahn, ob auf der Straße oder in der Schule, einen gleichwertigen Schachpartner zu finden, der immer zur Verfügung stand und dabei kein Schachbrett und Figuren zu brauchen, was sich während des Schulunterrichts als besonders praktisch erwies, war eine Versuchung, der Trevor nicht widerstehen konnte. Und das hatte unangenehme Folgen, vor allem in der Schule. Schon früher war Trevor während des Unterrichts nicht immer aufmerksam gewesen, und das nicht nur bei Mathe, wo er allen voraus war. Manche Fächer wie Zoologie oder Geschichte interessierten ihn einfach nicht. Bisher aber war es ihm zumindest gelungen, Interesse vorzutäuschen. Eines Tages während der Geschichtsstunde fragte die Lehrerin Trevors Banknachbarn:

„Seit wann gibt es die Nationalhymne ‚God Save the Queen??“

Trevors Mitschüler wusste es nicht.

„Trevor?“, wandte sich die Lehrerin an Trevor. Der war gerade inmitten einer sehr spannenden Partie und hatte nur den letzten Teil der Frage mitbekommen. Der Zufall wollte es, dass gerade zu diesem Zeitpunkt die schwarze Königin in einer heiklen Lage war: Sie war von einem weißen Läufer bedroht und hatte kaum Ausweichmöglichkeiten, aber im letzten Augenblick hatte Trevor eine rettende Idee.

„Trevor“, wiederholte die Lehrerin.

„Schwarzer Springer auf c7 und die Königin ist geschützt.“ Erst nach dem allgemeinen Gelächter der Klasse wurde sich Trevor bewusst, was passiert war.

Nicht nur seine Leistungen in der Schule ließen nach, auch auf der Straße benahm Trevor sich zunehmend wie ein Nachtwandler. Er schaute weder nach rechts noch nach links, er grüßte nicht und erwiderte auch keinen Gruß. In der U-Bahn kam es oft vor, dass er in den falschen Zug einstieg oder vergaß, an der richtigen Station auszusteigen.

Diese Geistesabwesenheit wurde immer gefährlicher. Da er in seiner Vorstellung ständig bedacht war, die Positionen von Weiß und Schwarz zu unterscheiden, wurde er zeitweise farbenblind. Er verlor das Vermögen zwischen Rot und Grün zu unterscheiden und begnügte sich, darauf zu achten, ob die obere oder untere Lampe der Ampel aufleuchtete.

[...]

Aber nicht nur Trevors Sehvermögen, sondern sein gesamter physischer Zustand begann sich zusehends zu verschlechtern; er litt an Appetitlosigkeit und an einer für sein Alter ungewöhnlichen Nervosität. Er konnte schwer einschlafen, weil er die ganze Zeit über interessante Positionen einer unterbrochenen Partie nachdachte. Das Schachspiel verfolgte ihn auch in seinen Träumen. Die Eltern bemerkten schließlich, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmte: Er erschien nicht zu den gemeinsamen Mahlzeiten, sein Gesicht war blass, er gähnte ständig. Es kam vor, dass Trevor mitten im Winter bloß in Socken auf die Straße ging, ohne sich dessen bewusst zu sein. Manchmal blieb er nach dem Unterricht stundenlang in der Klasse sitzen und ließ sich in seinem Grübeln über Schachprobleme auch von der Putzfrau nicht stören. Es kam vor, dass er abends nicht nach Hause kam, sondern bei Verwandten landete, ohne den Unterschied zu bemerken. Er schien in einer anderen Welt zu leben, aus der er nur ab und zu in die Wirklichkeit zurückfand. Darauf angesprochen, hatte er keine Erklärung für sein Verhalten. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass das Blindschachspielen etwas damit zu tun haben könnte. Auch ein Gespräch des Vaters mit dem Klassenlehrer brachte nichts. Dieser bestätigte zwar, dass sich die Leistungen dieses außergewöhnlichen Schülers verschlechtert hätten, aber fand das nicht weiter beunruhigend. Trevor war seinen Mitschülern immer noch weit voraus, und das konnte nach Meinung des Lehrers durchaus sein mangelndes Interesse am Unterricht erklären. Übrigens seien solche Veränderungen in der Pubertät nicht selten, fügte er hinzu.

Indessen nahm die Krise ihren unausweichlichen Gang: Trevor begann, gleichzeitig parallele Partien zu spielen. Das passierte, weil ihm manchmal eine Position so kompliziert schien, dass er die Partie unterbrach und sich die Position merkte, um später darauf zurückzukommen. In der Zwischenzeit begann er zur Entspannung eine neue Blindpartie. Manches Mal spielte er diese zu Ende, um dann wieder auf die unterbrochene zurückzukommen. Aber es kam immer öfter vor, dass er auch diese unterbrach und sich einprägte. So geschah es, dass Trevor mit zwei oder drei Partien im Kopf herumlief, die ihn nicht mehr losließen und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Das klappte zwar anfangs, wurde aber immer schwieriger, denn die Zahl der unterbrochenen und im Gedächtnis gespeicherten Partien nahm ständig zu. Um doch manche der Partien zu Ende spielen zu können, begann Trevor die Spiele zu vereinfachen: er tauschte manche Figuren bei Weiß und bei Schwarz aus. Wenn die Partner noch beide Läufer hatten, dann entfernte er jeweils einen schwarzen und weißen Läufer vom imaginären Schachbrett. Ähnlich ging er mit Springern, Türmen oder Bauern vor. Nicht nur wurden dadurch die Partien übersichtlicher, was bei Blindschach sehr wichtig war, die Spiele waren auch schneller entschieden. Dieser Hang zur Vereinfachung wurde mit der Zeit zur Gewohnheit und wirkte sich in späteren Phasen seines Lebens auch auf ganz anderen Gebieten aus, zum Beispiel beim Lösen von mathematischen Aufgaben. Das ging so weit, dass es zu unbewussten Abänderungen der Daten eines Problems führte. Trevor löste nicht mehr ein gegebenes Problem, sondern eines, von dem er glaubte, dass es dem gegebenen entsprach, was oft nicht der Fall war. Mit der Zeit stand er vor einem weit größeren Dilemma: Wer spielt gegen wen? Wer ist Weiß und wer ist Schwarz? Wer ist der Gewinner, wer ist der Verlierer? Zu wem halte ich in dieser Partie und zu wem in jener Partie? Und die alles entscheidende Frage war: Wer bin ich und wer ist er? Die Antwort blieb er sich schuldig, und diese Schuld verfolgte ihn.

[...]

Dieses Ereignis, wie auch das immer merkwürdigere Benehmen ihres Sohnes, alarmierte Trevors Eltern so sehr, dass sie einen befreundeten Psychiater zu Rate zogen. Dieser unterhielt sich einige Male ausführlich mit Trevor. Er war besonders interessiert an der von Trevor entwickelten Technik des Selbstblindschachs und an seinen Verdrängungsübungen.

„Das ist eine wunderbare Idee“, meinte er. „Aber in einigen Jahren wirst du sie nicht mehr brauchen, ich bemerke das an mir.“

„Wie meinen Sie das?“, fragte Trevor. „Spielen Sie auch Selbstblindschach?“

„Nein, aber ich hätte kein Problem die jeweiligen Strategien der Spieler zu vergessen; ich würde sie automatisch vergessen. Ab einem gewissen Alter funktioniert das Vergessen wunderbar.“

Als aber Trevor von der Teilung seines Bewusstseins in zwei Hälften zu sprechen begann, veränderte sich die Miene des Arztes. Er kam zu dem Schluss, dass der Junge möglicherweise an Persönlichkeitsspaltung litt. Im darauffolgenden Gespräch mit Trevors Vater vermied er zwar das Wort Schizophrenie, aber darauf lief Trevors Zustand seiner Meinung nach hinaus.

„Ich glaube, dass die Schachspielleidenschaft Trevor zu stark beansprucht. Ich habe den Eindruck, dass er alles andere im Leben als nebensächlich betrachtet und nur noch gelegentlich zu einem „normalen“ Zustand zurückfindet.“

„Was kann man dagegen tun?“, fragte Trevors Vater besorgt.

„Man sollte versuchen, in Trevor eine andere Leidenschaft zu wecken, die sich in seiner Psyche parallel zum Schachspiel entwickeln könnte.“

„Eine neue Leidenschaft? Muss es unbedingt eine Leidenschaft sein?“

„Ja, den Teufel treibt man mit dem Beelzebub aus“

„Und wie soll das funktionieren?“

„Ich gehe davon aus, dass mit der Zeit ein Nebeneinander der Leidenschaften entstehen wird, sodass Ausuferungen auf beiden Gebieten vermieden werden können. Das wird zur Wiederherstellung seines psychischen Gleichgewichts führen.“

Der Arzt fand Trevor reif und intelligent genug, um ihm seinen Zustand offen zu beschreiben. Denn im Unterschied zu vielen anderen Psychoneurotikern war Trevor auf sein Verhalten vollkommen ansprechbar, was den Psychiater in seiner zuversichtlichen Genesungsprognose bestätigte. Es gelang dem Arzt, Trevor zu überzeugen, dass er selbst den Schlüssel zu seiner Genesung in der Hand hielt. Er überließ es ihm selbst, eine neue Leidenschaft zu finden, die das Schachspiel, vor allem das Blindschach, zwar nicht ersetzen, aber mit diesem konkurrieren sollte.

Und Trevor folgte dem Rat des Arztes. Aber dass die neue Leidenschaft theoretische Physik sein würde, ahnten beide zu diesem Zeitpunkt nicht.

Gespräch über "Naturkonstanten"

[Eine Sekretärin des Forschungsinstituts EINS, Marie-Jeanne Thierry, erzählt dem Polizeiinspektor Jean Benoit über ihre Gespräche mit dem unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Pysiker Trevor McCallum:]

"[...] Also, um deine Frage zu beantworten, ich mache mir Gedanken über das, was man Naturkonstanten nennt. Wie kommt es, dass zum Beispiel Wasser bei 100 Grad Celsius kocht und nicht bei 102? Dabei zeigte Trevor auf das Glas Tee, das er sich gerade von der Bar geholt hatte, ich sehe es noch lebhaft vor mir. Da war er ganz und gar Engländer – er trinke, sagte er mir einmal, fast nur Tee. Wie kommt es, fuhr er fort, dass Wasser bei 0 Grad gefriert, und nicht bei 3 Grad? Willst mich auf den Arm nehmen, erwiderte ich, ihr Physiker habt die Temperaturskala eben so eingeführt, dass die Temperaturgrenze zwischen Eis und Dampf ausgerechnet bei der geraden Zahl 100 liegt. Ich glaube, damit habe ich Trevor überrascht, er hatte mir diese Antwort offensichtlich nicht zugetraut. Er dachte einige Augenblicke nach, bevor er erwiderte: Erkläre mir dann, warum es keine Temperaturen unter -273 Grad gibt, ich glaube, das war die Zahl, die er genannt hatte, warum gerade diese komische Zahl -273 und nicht, sagen wir -274 oder -272? Oder warum ist die Geschwindigkeit des Lichtes im Vakuum 300.000 Kilometer pro Sekunde und nicht 350.000 oder 250.000? Darauf erzählte ich ihnen eine Geschichte, die ich von meiner Tante gehört hatte. Beide lachten, aber blieben bei ihrer Meinung. Wollen Sie auch das hören? Es ist vielleicht nicht der richtige Augenblick, denn es klingt wie ein Witz.“

„Ich verstehe, was Sie meinen, aber es könnte doch wichtig sein, bitte fahren Sie fort“, ermunterte sie Benoit.

Meine Tante ist mit einem Paläontologen verheiratet. Eines Tages kam mein Onkel ganz außer sich nach Hause und berichtete voll Stolz, dass er gerade nach langjährigen, schwierigen Forschungen in seinem Labor eine epochale Entdeckung gemacht hatte. Vor sechs Jahren hatte er in Indien einen Elefantenzahn gefunden, der von der ganzen Fachwelt als hochinteressant eingestuft worden war, weil er eines der ältesten Überbleibsel dieser Tiere darstellte. Jetzt endlich war ihm der Beweis gelungen, dass dieser Zahn nicht 12567 Jahre alt war, wie von allen Experten bisher angenommen, sondern 12568. Die naive Frage meiner Tante, warum das so wichtig sei, machte meinen Onkel sprachlos – er hatte eigentlich keine richtige Antwort darauf, wie sich später herausstellen sollte – und eine Woche lang wechselte er, voll Verachtung für ihre Ignoranz, kein Wort mehr mit ihr.

Spaß beiseite, sagte darauf Trevor, du verwechselst hier Werte von Naturkonstanten, die den fundamentalen Eigenschaften des Universums zu Grunde liegen, mit Zufallszahlen. Wir Physiker reden über grundlegende, elementare Eigenschaften der Natur, die alles, auch das Leben, bestimmen.

Dann folgte eine Pause, er schien nachzudenken und sagte schließlich:

Wenn man religiös veranlagt ist, sind solche Fragen zu vergleichen mit der Frage, warum Gott die Welt in sieben und nicht in acht oder zehn Tagen schuf.

Darauf antwortete ich: Man könnte meinen, ihr Physiker seid so überheblich, dass ihr den lieben Gott spielen wollt.

Das ist doch übertrieben, warf diesmal Alain ein, schließlich wollen wir nicht die Naturkonstanten ändern, sondern nur verstehen.

Und damit endete eigentlich unser Gespräch zu dritt. Alain verabschiedete sich, und ich ging mit Trevor ins Sekretariat, wo er mir die Formeln in seiner Arbeit entzifferte.

Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum mir diese Diskussion im Gedächtnis geblieben ist; schließlich hat man auch hier am EINS nicht jeden Tag Gelegenheit, über Gott und die Welt zu reden.“

„Ist Ihnen während dieses Gesprächs bei Trevor etwas Besonderes aufgefallen? Schien er von irgendetwas bedrückt oder beunruhigt?“, fragte Benoit.

„Nicht dass ich mich erinnern könnte“, antwortete Marie-Jeanne. Aber plötzlich schien sie sich eines Besseren zu besinnen.

„Vielleicht doch. Als Alain diese Bemerkung machte, dass sie die Naturkonstanten nicht verändern möchten, sondern nur verstehen, glaubte ich in Trevors Augen ein Leuchten gesehen zu haben. Er brach danach die Diskussion sofort ab.“

Physik, Mathematik und Musik

Später lernte Trevor, effektiver zu arbeiten. Er teilte seine Rechnungen, die „Jobs“, in kleinere Nebenjobs auf und testete sie einzeln. Da nachts die meisten Terminals frei waren, nutzte er immer öfter mehrere Terminals gleichzeitig, eines für den Hauptjob und die anderen für die Nebenjobs. Er fühlte sich dabei wie ein Komponist, dem ein einzelnes Instrument nicht mehr genügte, um seiner Musik Ausdruck zu verleihen.

Im Prinzip war die Ausstattung der Terminals identisch, aber es gab doch kleine Unterschiede. Manche der Monitore waren nur schwarz-weiß, andere konnten alle Farben wiedergeben. Bei den alten Terminals war die Tastatur schon abgenutzt, und man musste die Tasten kräftig drücken. Das Terminal neben dem Telefon war sein Konzertmeister, dem vertraute er seinen Hauptjob an. Ein anderes wichtiges Terminal war in der Nähe des Druckers. Das war die Pauke.

Die verschiedenen Instrumente mussten abgestimmt werden. Wie der Dirigent eines Symphonieorchesters synchronisierte er die Rollen der einzelnen Instrumentalisten mit einem imaginären Taktstock, sprach mit ihnen und verteilte Lob oder Kritik, je nachdem, wie das Resultat der Rechnungen an den verschiedenen Computern aussah... Der Tisch, auf dem das Telefon stand, war Trevors Dirigentenpult. Hier legte er seine Notizen und die letzten Ausdrucke ab.

Diese „Konzerte“ von Trevor blieben auf Dauer nicht unbemerkt. John Carter hatte im Terminalraum seine Unterlagen vergessen. Daher kam er noch einmal am späten Abend ins Rechenzentrum und stieß auf einen gestikulierenden und laut schimpfenden Trevor. Aber sonst war niemand im Terminalraum. John holte seine Papiere und entfernte sich diskret, ohne dass Trevor ihn bemerkte. Nach einigen Tagen traf Carter zufällig Mike:

„Glaubst du auch an diese neuen 'interaktiven' Methoden, die dein Student Trevor im Umgang mit Computern praktiziert?“

„Was meinst du?“

John erzählte ihm, wie Trevor im Terminalraum arbeitete.

„Natürlich glaube ich nicht daran, aber schaden kann das auch nicht.“

All diese musikalischen Vorstellungen waren für Trevor nichts als ein Spiel. Ein Spiel, das er erfunden hatte, um die Langeweile – für Trevor seit jeher das schlimmste Übel – der Computerroutine leichter zu überwinden. Er machte sich anfangs keine weiteren Gedanken darüber.

Eine tiefere Verbindung zwischen dem Rechenprozess und der Musik sah er erst nach dem Gespräch mit Mike. Er ging in die British Library und durchblätterte die Klavierpartituren seiner Lieblingskomponisten. Zwei Werke sprachen ihn besonders ans: DasWohltemperierte Klavier von Johann Sebastian Bach und die 32 Klaviersonaten von Beethoven. Die kompositionstechnische Meisterhaftigkeit Bachs beeindruckte Trevor aus vielen Gründen. Einerseits war es die, wie es ihm schien, absolut logische, mathematische Exposition und Verknüpfung der einzelnen Stimmen, andererseits die phantasiereiche Behandlung und Entwicklung der Themen. Denn trotz der scheinbaren Einfachheit der Motive ähnelte kein einziges Stück einem anderen, alle waren einmalig. Trevor sah Parallelen mit der Struktur der Materie, wo aus nur zwei Arten von identischen Bausteinen, Elektronen und Nukleonen, die 92 unterschiedlichen Elemente des Periodensystems gebildet sind. Waren die Wiederholungen, die er in der Musik fand, nicht auch in der Tabelle dieses Periodensystems zu sehen? Schließlich bestand dieses aus Gruppen von Elementen, die ähnliche chemische Eigenschaften aufwiesen. Mendelejew, der vor hundert Jahren diese Tabelle zum ersten Mal aufgestellt hatte, war bestimmt ein Musikkenner, dachte Trevor und nicht ohne Grund war das wohltemperierte Klavier das Alte Testament genannt.

Aber auch in Beethovens Kompositionen fand Trevor Regelmäßigkeiten, die von kleinen Unregelmäßigkeiten unterbrochen waren. Und eben darum wiesen sie eine einmalige Wucht und Tiefe auf, die das unruhige Temperament des genialen Komponisten widerspiegelten. Es fiel ihm dabei ein, dass die kleinen Themenvariationen, die zu großen künstlerischen Effekten führten, eine ähnliche Rolle in der Musik spielten wie die Brechungen der Symmetrien in der Natur. Die Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Musik und Physik zeigte sich auch hier. Und die Analogie mit den Schleifen im Programm eines Rechenprozesses war eindeutig. Denn auch Schleifen sind Wiederholungen, Iterationen, und zwar Iterationen von ähnlichen Rechenoperationen. Diese Operationen liefern die elementaren Terme für weitere, kompliziertere Rechenprozesse. Wie einfach schien das Thema im ersten Satz der Beethoven-Sonate in F-Dur: c, e, f, erst in der dritten Oktave und dann wieder in der vierten. Und was wurde daraus nach wenigen Iterationen und Variationen! War das nicht dasselbe wie bei einer Folge von drei Rechenoperationen, die sich mit kleinen Änderungen unablässig wiederholen, bis sie schließlich zum Resultat führen? Trevor war nach dieser Beobachtung so begeistert dass er tage- und besonders nächtelang vor dem Computer die Töne c, e, f vor sich hin trällerte. Und rasch folgte eine weitere Feststellung: Das „Aufhängen“ im Rechenprozess eines Computers, das auftritt, wenn durch einen Programmfehler die kleinen Änderungen ausfallen, hat sein Pendant in der Musik. Dann nämlich, wenn irrtümlicherweise die Variation in einem Thema ausfällt und sich das Thema endlos wiederholt. Genau das passiert auch bei einer Schallplatte die einen Kratzer hat, der die Nadel blockiert, sodass immer wieder eine bestimmte Stelle abgespielt wird. An diese Entdeckungen knüpfte sich die Idee, dass der zweite Teil der Sonate in F-Dur wie eine Dampflokomotive klingt, die einen Berg erklimmt. Ab und zu, nach Erreichen einer ebenen Fläche, ändert sich das Motiv, als ob die Lokomotive verschnaufen müsste, um vor einer neuen Steigung dann wieder zum alten Motiv zurückzukehren.

Das Ende der Sonate bringt den Zug schließlich ans Ziel, genau so, wie nach der letzten Rechenschleife der Computer das Endresultat liefert. Als ob Beethoven geahnt hätte, wie einmal Computer funktionieren würden. Oder war es umgekehrt, hatte Beethovens Musik die Erfinder der Computer inspiriert? Dann wäre die Bezeichnung Neues Testament für seine Sonaten umso berechtigter.

Auch Trevors Zug erreichte schließlich sein Ziel. Eines Nachts um drei hatte er die letzte mögliche Änderung durchgespielt. Die Computerergebnisse bestätigten, was die analytische Lösung der verwandten Gleichung gezeigt hatte: die neue Gleichung, in der die Ladung des Elektrons keine Konstante mehr war, unterschied sich grundsätzlich von der alten Gleichung.

Trevor spürte sofort das Bedürfnis, sein Ergebnis Mike mitzuteilen, doch er musste sich wohl oder übel bis zum nächsten Tag gedulden. Da er nicht mehr wie gewöhnlich bis fünf Uhr früh weiter arbeiten wollte, um dann die erste U-Bahn nach Hause zu nehmen, ging er zu Fuß. Das machte ihm nichts aus, obwohl er bis nach Richmond über zwei Stunden brauchte. In der nächtlichen Stille der leeren Straßen konnte er ungestört seinen Gedanken nachhängen. Aber die nächtliche Ruhe wurde unablässig vom Widerhall des Themas c, e, f unterbrochen, das er deutlich zu hören glaubte.

Der Traum von der Miniatomisierung

Die Rechenanlage war wieder zusammengebrochen und er musste die Kabelverbindungen zu seinem Monitor verifizieren. Merkwürdigerweise war der Monitor nicht mehr direkt mit der zentralen Rechenanlage verbunden, sondern über eine Schleife, die zur Rechenanlage des Beschleunigers führte. Er nahm den Aufzug zu der zwei Stockwerke tiefer gelegenen Beschleunigerhalle, und nach zwei misslungenen Versuchen gelang es ihm schließlich, die Verbindung zu seinem Monitor wieder herzustellen. Als er aber in den Terminalraum 2842 zurückkehrte, traute er seinen Augen nicht: fast erkannte er den Raum nicht wieder. Zu seiner Verblüffung hatte sich alles um ein Vielfaches vergrößert. Die Tische waren so hoch wie er selbst, die normalen Monitore waren so groß wie sein alter Riesenmonitor und dieser war im selben Maße noch größer geworden. Die Tastatur war so groß wie eine Klaviatur und er konnte sie mit seinen Händen nicht erreichen, er musste zu diesem Zweck auf einen der Stühle buchstäblich klettern. Um sich zu vergewissern, dass er keiner Halluzination zum Opfer gefallen war, stieg er auf einen Stuhl in der Nähe eines Fensters und schaute in den Hof. Die Pkws auf dem Parkplatz sahen aus wie Tanks, sein Mini war ein Maxi geworden, und, obwohl er wusste, dass sein Terminalraum auf dem ersten Stock war, schien er jetzt doppelt so hoch gelegen zu sein; auch alle Gebäude, die er sehen konnte, waren zwei bis dreifach vergrößert.

Es gab nur eine Erklärung für diese Transformation: nicht die Umgebung hatte sich vergrößert, sondern er war geschrumpft! Die Erinnerung an den Film Die unglaubliche Geschichte des Mr. C. holte ihn wieder ein. Und noch bevor er sich Gedanken machen konnte, wie das geschehen war, stand etwas für ihn unumgänglich fest: Nein, er wollte nicht den Rest seines Lebens als Zwerg verbringen, unter Freunden und Kollegen, die ihn als normal großen Menschen gekannt hatten. Und vor allem, was würde aus seiner Beziehung zu Eve werden?

Er musste den Schrumpfungsprozess rückgängig machen. Bis dahin musste er sich irgendwo verstecken.

Trevor rannte in seine Unterkunft, zog sich seine Jacke an, die jetzt so groß wie ein Mantel war und vergewisserte sich, dass er den Pass und seine Kreditkarten bei sich hatte. Dann rannte er zur Bushaltestelle. Der erste Bus Nr. X in die Stadt fuhr in einigen Minuten. Er wählte einen Ecksitz ganz hinten, wo er sich hinter einer Zeitung versteckte. Er wollte nicht gesehen werden. Die nächsten zwanzig Minuten hatte er Zeit nachzudenken.

Im Film war der Schrumpfungsprozess durch eine radioaktive Wolke hervorgerufen worden. Das schien in seinem Fall ausgeschlossen zu sein, denn in allen EINS Gebäuden gab es Geigerzähler, welche bei Freisetzung von Radioaktivität angesprungen wären. Plötzlich aber erinnerte er sich an den Beschleuniger. Beim ersten Versuch, die Verkabelung zu seinem Monitor wieder herzustellen, hatte er irrtümlicherweise den Computer des Beschleunigers hochgefahren. Er hatte ihn zwar sofort abgeschaltet, aber vielleicht war dabei der Beschleuniger gestartet? Er erinnerte sich auch an ein rotes Signal, das plötzlich aufleuchtete. Hatte ihn der Strahl des Beschleunigers getroffen? Trevor schluckte. Dann war vielleicht in seinem Körper ein Kiggs-Teilchen erzeugt worden, dieses hatte eine Kettenreaktion ausgelöst und Miniatome produziert. Wenn das wirklich geschehen war, war er, Trevor, der erste aus Miniatomen bestehende Minimensch. Das bedeutete aber auch, dass seine Theorie funktionierte, sie funktionierte sogar besser als erwartet.

Aber sofort kamen ihm wieder Zweifel. Wenn wirklich Kiggs-Teilchen am Beschleuniger erzeugt werden konnten, hätte man die Miniatomisierung, die sie in die Wege leiten, nicht schon früher bemerkt? Nein, antwortete er sich selbst, die wenigen Kiggs-Teilchen, über die man vor einigen Tagen berichtet hatte, konnten vermutlich keinen makroskopisch erkennbaren Effekt erzeugen, weil sie innerhalb der Detektoren, wo Vakuum herrscht, zerfallen waren, und kein Medium für eine Kettenreaktion vorhanden ist.

Wenn der Miniatomisierungsprozess wirklich stattgefunden hatte, war er auch die Lösung für Trevors Problem: ihn zu seiner ursprünglichen Größe zurückzubringen.

Zurückwachsen konnte er allerdings nicht. Die Änderung der elektrischen Kopplungskonstante, die zur Miniatomisierung führte, fand durch Energieübertragung nur in eine Richtung statt, sie führte zur Vergrößerung der Ladung und darum zur Vergrößerung der Anziehungskraft zwischen Elektronen und Kernen.

Gab es nicht eine andere Möglichkeit, das alte Größenverhältnis zwischen ihm und seiner Umwelt wiederherzustellen? Und im selben Augenblick wie ihm das Wort Verhältnis einfiel, schwebte ihm auch schon eine mögliche Lösung vor: Er musste den Miniatomisierungsprozess auf den Rest der Erde auszudehnen, sodass alles im selben Maßstab schrumpfen würde wie er.

Für diese Operation brauchte er den EINS Beschleuniger. Er war sich bewusst, dass niemand ihm gestatten würde, den Beschleuniger für diesen Zweck zu verwenden, auch wenn er zu erklären versuchte, was geschehen war. Seine Story klang zu unglaubwürdig und seine Absichten waren zu gefährlich.

Trevor wusste, dass der Beschleuniger nur noch drei Wochen in Betrieb blieb, dann würde er abgebaut werden um für den Bau des neuen Beschleunigers Platz zu machen. In diesen drei Wochen sollte er fast durchgängig laufen. Zwischen der effektiven Stillegung des Beschleunigers und dem Beginn der Demontage gab es aber eine Pause, und zwar an einem Wochenende, was in Trevors Plan sehr gut passte, denn es war zu erwarten, dass in dieser Zeit, insbesondere während der Nacht, niemand am Beschleuniger sein würde. Er musste sein Glück während dieser Pause versuchen, es war seine einzige Chance, dem Zwergendasein zu entkommen. In der Zwischenzeit würde er sich verstecken. [...]