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Andrea Allerkamp versammelt Figuren der Kommunikation in Philosophie und Literatur

Von Stefanie RinkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Rinke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literatur- und Kulturtheoretikerin Andrea Allerkamp, die in Deutschland und Frankreich lehrt, verfolgt in ihrer Habilitationsschrift drei Redefiguren: Anruf, Adresse, Appell. Sie bietet eine Zusammenstellung von theoretischen und historischen Positionen, die im Kern um die Anrufung kreisen. Es geht unter anderem um den Zuruf, den Aufruf, den Anruf und die Berufung, die als Inspiration verstanden wird. Die Autorin betont und geht davon aus, dass sich der Ruf selbst ins Leben ruft, die Redefiguren also performativ sind. So sollen die Figuren einen Dreischritt bilden und sich zum Schluss gegenseitig anrufen.

Mit ihrem Untertitel "Figurationen der Kommunikation" strebt sie den Versuch an, "Figuren der autoritären und autoritativen Anrufung zu versammeln, ohne diese zwangsläufig reproduzieren zu müssen." Der Begriff der Figur wird hierbei aus der Rhetorik-Tradition abgeleitet, aber etwas zu knapp definiert. Der 2004 erschienene Band von Fotis Jannidis "Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie" war der Autorin allem Anschein nach noch nicht bekannt.

Im Zuge der hier suggerierten Telefonie begegnen sich Literaten und Philosophen, wie beispielsweise Martin Heidegger, Jacques Derrida, Walter Benjamin, Friedrich Hölderlin, Augustinus, Angelus Silesius oder auch Franz Kafka, um nur einige zu nennen, deren Auswahl allerdings etwas beliebig erscheint. Allerkamp geht von einer "Mobilität von Epochen, Genres und Methoden" aus.

Interessant und spannend ist die Integration religiöser Autoren wie etwa Augustinus und Angelus Silesius, die im Kapitel "Sakrale Anrufungen" behandelt werden, in Ausführungen zur Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts. So tritt z. B. der "tonlose Gewissensruf" des "Augustinus-Leser[s] Martin Heidegger" in den Vergleich und den Austausch mit dem "Ruf nach Innen" in Augustinus' "Confessiones". Ein weiteres Beispiel ist Franz Rosenzweig, der in seinem Hauptwerk "Der Stern der Erlösung" von 1921 Angelus Silesius' Spiegelmystik zitiert.

Allerkamp steht in der Tradition der Dekonstruktion, wenn sie einerseits dekonstruktive Verfahren anwendet, und andererseits die von ihr ausgewählten Texte mit Jacques Derrida liest oder z. B. auf Avital Ronells Dekonstruktion von Heideggers Gewissensruf in "Sein und Zeit" eingeht. Ronell vergleicht in "The Telephone Book. Technology, Schizophrenia, Electric Speech" die autoritäre Struktur des Gewissensrufs bei Heidegger mit dem Anruf der SA bei Heidegger, er möge Plakate in der Universität aushängen, die den Juden den Besuch versagen. Telefon- und Gewissensruf verfügen über die gleiche autoritäre Struktur, so die Diagnose Ronells zur Hörigkeit Heideggers. Allerkamp hat Zweifel an diesem Vergleich, doch sind ihre Ausführungen hierzu sehr kurz geraten.

Im Kapitel "Verwerfungen" wendet sich Allerkamp Hölderlins Vorliebe für Widmungen zu. Hölderlins Widmung "Wem sonst als dir" findet sich in einem Exemplar des Romans "Hyperion" und richtet sich an die Adresse von Susette Gontard, mit der er durch die kryptischen Einschreibungen im Text in eine Liebeskorrespondenz tritt. Die handschriftliche Widmung verweist hierbei auf einen auratischen Moment, der sich nicht wiederholen lässt. Allerkamp macht deutlich, dass Texte, die um Anruf und das Wissen über ihre Adressierung kreisen, viel über sich selbst auszusagen haben bzw. die Frage nach dem "Wer spricht hier eigentlich" stellen. Dies ist eine Frage, der Allerkamp immer wieder sehr detailliert und reflektiert nachgeht.

Abschließend ist zu sagen, dass Allerkamp ein breites Spektrum an Themen und Autoren versammelt, wobei die Dichte der philosophischen und theoretischen Analyse beachtlich ist. Es ist ein Buch über das spirituelle Hören und die Hörigkeit sowie über die Aussagen von Texten über ihre eigene Verfasstheit, ihre Schriftlichkeit oder Mündlichkeit. Das Buch behandelt keine ausgefallene These, sondern führt viele Philosophen und Literaten zusammen, was vorher nicht gekannte Perspektiven eröffnet.


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Andrea Allerkamp: Anruf, Adresse, Appell. Figurationen der Kommunikation in Philosophie und Literatur.
Transcript Verlag, Bielefeld 2005.
386 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3899423313

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