Der Schaumschläger im Menschenpark

Sjoerd van Tuinen versucht, Peter Sloterdijk einzufangen

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Sloterdijk macht es einem nicht einfach. Jeder anständige Philosoph verdient es, dass zu seinem Werk eine Einführung geschrieben wird, und immerhin gilt Sloterdijk neben seinem Kontrahenten Habermas als das Aushängeschild gegenwärtiger deutscher Philosophie. Aber ist er deshalb ein anständiger Philosoph? In den einschlägigen deutschen Zirkeln sieht man ob dieser Frage etliche Häupter sich schütteln, und das nicht bloß, weil sie dies verneinen. Sloterdijk nimmt solche Verdikte gern zum Anlass für Kritikerbeschimpfungen, lebt aber ansonsten recht gut damit. Seit er die Geistesbühnen mit dem Paukenschlag der "Kritik der zynischen Vernunft" betreten hat, setzt er sich zwischen alle Stühle, oder besser: auf mehrere Stühle gleichzeitig. Das stille Kämmerlein ist seine Sache nicht. Er betreibt nicht nur Philosophie und Ästhetik - seit 1992 als Professor an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe -, sondern tummelt sich auch in der Medienpolitik, entwirft Weltgeschichten und analysiert internationale Politiken sowie den Kapitalismus. Er schreibt dicke Bücher, hat eine eigene Webseite, auf der er gleich sein eigenes Œuvre gliedert und systematisiert sowie Kommentare zu diesem und jenem abgibt; er äußert sich auf allerlei gut bezahlten Vorträgen vor den unterschiedlichsten Publika zu Gott und der Welt und betreibt - Populismus! - mit dem "Philosophischen Quartett" eine Fernsehsendung. So verwundert es nicht, dass er in einem Gespräch mit Hans-Jürgen Heinrichs in seinem Hirn eine Wohngemeinschaft aus einem "lyrischen Extremisten und einem verdammten Schulmeister, oder einem Mystiker und einem Conférencier" vermutet.

Dabei hat sich Sloterdijk philosophische Bezugsgrößen gewählt, wie sie deutscher nicht sein könnten, aber gerade die sorgen für Stirnrunzeln: Friedrich Nietzsche! Martin Heidegger! Da west einen aufgeklärten Humanisten Un-Heimliches an.

Zu Recht. Denn obwohl Sloterdijk mit der Kritischen Theorie groß geworden ist, hat er zu ihr recht früh ein eigenwilliges Verhältnis gewonnen, bis er 1999 in seinem berühmt-berüchtigten Vortrag "Regeln für den Menschenpark" dem Humanismus eben mit Nietzsche und Heidegger den Boden entziehen wollte. Sloterdijk vertritt mit der Humanismuskritik und seinen in ihrer Zuspitzung allerdings reichlich naiven Thesen zu den Möglichkeiten der Selbstevolutionierung des Menschen durch Biotechnologien Positionen, die jeden auf die Palme treiben müssen, der sich im weitesten Sinne als politisch korrekt versteht. Damit provozierte er bewusst einen Skandal. Jedoch bezogen sich die Debatten meistens auf einzelne Aussagen, welche, ihrem Kontext enthoben, spitzer wirkten als sie eigentlich waren. Vielleicht war vielen Diskutanten der Text als Ganzes aber auch zu schwierig.

Neu ist das nicht. Sloterdijk hat das Etikett des "intellektuellen Esoterikers" auch deshalb bekommen, weil er in seinen Texten bewusst die Grenzen traditioneller philosophischer Argumentation überschreitet und einen ausgeprägten literarischen Gestaltungswillen an den Tag legt. Die dabei entstehende philosophische Essayistik hat in Deutschland kaum Tradition (und es ist kein Zufall, dass Sloterdijk sich auf den Aphoristiker Nietzsche und den Worterfinder Heidegger bezieht), wohl aber in Frankreich, wo er sein zweites denkerisches Standbein hat. Nicht zuletzt die eigenwillige Verarbeitung von Michel Foucault, Jacques Derrida und vor allem Gilles Deleuze scheint für den recht hermetischen Charakter vieler Texte verantwortlich, der auch Kollegen schon mal zur Verzweiflung treiben kann. "Ich muss gestehen, dass ich nicht verstanden habe, worum es dem Autor überhaupt geht. Was will er eigentlich?" fragte sich Ernst Tugendhat einmal.

Trotz seiner Popularität ist es also nicht ehrenrührig, Sloterdijk nicht zu verstehen. Umso verdienter ist das Unternehmen einer Übersicht. Wenn Sjoerd van Tuinen aber den Begriff der Einführung vermeidet und sein Buch "Ein Profil" untertitelt, ist dies ein erster Hinweis, dass das Niveau eines philosophischen Proseminars trotz Einführungscharakter überschritten werden muss. Das Buch ist nicht einfach zu lesen und stellt gewisse Ansprüche an die philosophische Vorbildung. Dem schillernden Phänomen Sloterdijk begegnet van Tuinen mit einer Strategie, die seinem Objekt die Flügel stutzt: Er legt eine traditionelle philosophische Einführung vor, die chronologisch am Werk entlang gegliedert ist. Man kann darüber streiten, ob dies ein Sloterdijk angemessenes Vorgehen sei, aber es funktioniert.

Van Tuinen beginnt mit der kritischen Frühphase, geht danach auf die Sphärologie als die wohl bekannteste Konzeption ein und widmet sich dann den medienpolitischen Vorstellungen. Die weiteren Abschnitte führen zum Kern der Sloterdijk'schen Humanismuskritik, die in seinem Umgang mit der Subjektphilosophie begründet liegt. Er negiert nämlich die aufklärerische Vorstellung vom autonomen Subjekt zugunsten einer heteronomen Konzeption, nach der das "Subjekt" mit seiner "Umwelt" derart zusammenfalle, dass eine Grenzziehung unmöglich werde und die entsprechenden Begriffe ihre Substanz verlören. Kein Wunder, dass Sloterdijk zum Worterfinder wird, womit wir ein Beispiel für das Zusammengehen von Philosophie und Lyrik haben.

Mit diesen Thesen verknüpft van Tuinen unter Einbeziehung der deutschen und französischen Ansatzpunkte Sloterdijks die Konzeption von "Anthropotechniken". Im abschließenden Kapitel zu Rezeption und Kritik erwartet man eigentlich ausführlichere Worte zu Sloterdijks Medienpräsenz und Öffentlichkeitsarbeit, was allerdings durch das erneute Aufgreifen philosophischer Positionen leider zu knapp ausfällt.

Dass van Tuinen es schafft, eine insgesamt gelungene philosophische Einführung vorzustellen, liegt an seiner Selbstbeschränkung. Die kultursoziologischen, medientheoretischen und anthropologischen Aspekte werden als unverzichtbare Bestandteile der Sloterdijk'schen Denkgebäude zum Teil ausführlich gewürdigt. Der Eindruck, dass dennoch Einiges zu fehlen scheint, liegt hauptsächlich in seinem Gegenstand begründet. Erstens ist Sloterdijk noch nicht tot. Er arbeitet noch. Zweitens eröffnet er in seiner Arbeit zu viele Perspektiven, um sie alle auf knapp 160 Seiten würdigen zu können. Und drittens ergeben sich aus der Konfrontation von Werk und Persönlichkeit des Autors eigene Gesichtspunkte, deren Thematisierung weniger bei einem deutschen Philosophen als bei Künstlern und Literaten üblich ist. Van Tuinen musste vieles liegen lassen, aber das ist kein Nachteil. Wer sich auf das Buch einlässt, lernt eine der schillerndsten Figuren der Geistesgegenwart in Deutschland kennen.


Titelbild

Sjoerd van Tuinen: Peter Sloterdijk. Ein Profil.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2006.
166 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3825227642

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