"Ein Revolutionär geht nie in Pension"

Leycester Coltmans Fidel Castro-Biografie

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seinen achtzigsten Geburtstag musste Fidel Castro nach einer unaufschiebbaren Operation im Krankenhaus verbringen, die Feiern verschob der "comandante" gleich um ein paar Monate. Seine Gegner in Amerika und in Europa rieben sich schon die Hände und machten sich mehr oder weniger heimlich Gedanken über mögliche neue Pfründe. Denn Castro hat etwas vollkommen Unerwartetes getan; er hat die Macht auf seinen Bruder Raúl übertragen, bis er wieder die volle Verantwortung übernehmen kann. Beinahe hysterisch mutete der Jubel aus Miamis Little Havanna an.

Dass man Fidel und der kubanischen Revolution so Einiges ankreiden kann ist unbestritten, nur wenig ist auf der karibischen Insel aus Gold. Manche unschönen Auswüchse und mangelnde Freiheit machen das Land wenig demokratisch. Ein unbestreitbarer Verdienst der Revolution von 1959 und somit Castros ist jedoch, dass den Kubanern ihre Eigenständigkeit zurückgegeben wurde, die selbst die Abhängigkeit von der Sowjetunion überlebte. Dies und die Errungenschaften wie etwa das für lateinamerikanische Verhältnisse erstaunliche Bildungs- und Gesundheitssystem sowie die ungebrochene internationale Solidarität sind weitere Tatsachen, die Castros Kuba zum Vorbild der neuen Linken Lateinamerikas - etwa Hugo Chavez und Evo Morales - machen.

Notwendig ist daher ein oft schmerzlich vermisster differenzierter, nicht von politischer Grundhaltung vorgegebener Blick auf den "socialismo tropical".

Die Biografie "Der wahre Fidel Castro" des ehemaligen britischen Botschafters in Havanna, Leycester Coltman, möchte dem Leser den echten Fidel ohne politische Scheuklappen zeigen. Und man muss konstatieren, dass Coltman Beachtliches geleistet hat. Sachlich, nüchtern, informativ und unpolemisch schreibt er die Geschichte des Politikers und der Revolution, denn "Die Geschichte der Revolution und meine Biographie sind ein und dasselbe", so sagte Fidel einmal und ganz Unrecht hat er damit nicht. Untrennbar ist sein Charisma und sein Durchhaltevermögen, seine Sturheit und seine Kompromisslosigkeit mit der Revolution verbunden.

Coltman nähert sich dem Phänomen Castro ohne Scheu und ohne Furcht. Er legt den Finger in die Wunden des kubanischen Systems, wo es sein muss und angebracht ist, ohne aber in Besserwisserei zu verfallen. Er gibt einen lesenswerten Überblick über die nicht immer einfache Geschichte des Widerstandes gegen Fulgenico Batista, der Revolution und ihre Entwicklung, ihre Mechanismen, Erfolge und Fehlentwicklungen. Kulminationspunkt seiner Darstellung bleibt aber immer Castro, den er aus seiner Zeit als Botschafter in den Jahren 1991 bis 1994 - einer für Kuba extrem schwierigen Periode - auch persönlich kennt. Eine gewisse Sympathie lässt sich nicht leugnen, er liegt aber fernab von jeglichem platten Lob und blinder Gefolgschaft. Wer Persönliches über den "comandante" erwartet, wird enttäuscht, Coltman enthält sich der Anekdotenseligkeit, was zum Einen ein unbestreitbarer Vorzug des Autors, aber nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet ist, dass Castro sein Privatleben strengstens vor der Öffentlichkeit abschirmt.

Befürchtete man bei dem Titel der Biografie zu Beginn noch das Schlimmste, so lässt sich nach der Lektüre mit gutem Recht behaupten, dass Coltman mit seiner differenzierten und glaubwürdigen Biografie dem "wahren" Fidel Castro wohl so nahe wie kaum ein anderer gekommen ist.


Titelbild

Leycester Coltman: Der wahre Fidel Castro. Biographie.
Übersetzt aus dem Englischen von Jens Knipp.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2005.
464 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3538072000

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