Vanitas im Dünensand

Fritz J. Raddatz lädt zum Strandspaziergang nach Sylt

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eitelkeit ist Fritz J. Raddatz nicht erst anlässlich seiner unlängst erschienenen Autobiografie "Unruhestifter" bescheinigt worden. Sie ist seit jeher ein Persönlichkeitsmerkmal des Paradiesvogels unter den deutschen Feuilletonisten. Kein Wunder also, dass sie sich auch an seinem neuesten Büchlein ablesen lässt. Bereits der Titel "Mein Sylt" deutet darauf hin, dass es sich hier um ein sehr persönliches Werk handelt; ein Eindruck, der von dem mit winzigen Initialen des Autors übersäten Buchdeckel bestätigt wird. Unbedarfte Leser, die womöglich eine Art Reiseführer erwarten, sollten sich stattdessen auf einen nostalgischen Strandspaziergang mit dem großen FJR einrichten - sinnlich, literarisch und nicht frei von Privatmagie.

Warum ausgerechnet Sylt? Diese Frage werden wohl nur Ahnungslose stellen. Denn natürlich ist die glamouröse Nordsee-Insel nicht nur geografisch "ganz oben" anzusiedeln. Hier, wo sich unser Land das ganze Jahr hindurch "deutsch undeutsch" gibt, fühlen sich luxuriöse Globetrotter vom Schlage eines Raddatz besonders wohl. Hier, wo es sich bereits Peter Suhrkamp, Rudolf Augstein, Werner Höfer, Henri Nannen und Axel Springer wohl sein ließen, findet auch Raddatz die richtige Kulisse für seine Lebensart. Er tafelt in den zahlreichen Gourmet-Restaurants und schwafelt von Lalique und Sèvres-Porzellan. Gleichwohl beklagt er, dass man in Kampen zwar teure Brillanten, aber keine Grundnahrungsmittel einkaufen kann, und erbost sich über das "aufgemotzte Remmidemmi" der dortigen Whiskymeile ebenso wie über das "kleinbürgerlich verschandelte" Westerland.

Zum Glück bietet jene "mächtige Sandscholle im Meer" wunderschöne Strände, an denen man ganz für sich sein kann. Hierhin nimmt Raddatz den Leser mit und verrät ihm seine literarischen Assoziationen (Schillers Taucher, Heine, Thomas Mann) ebenso wie seine persönlichen Sylt-Erinnerungen an Hubert Fichte, Rolf Hochhuth oder den legendären Barkeeper Karlchen Rosenzweig. Stimmungsvolle Schwarzweiß-Fotos von Karin Székessy fangen die Schönheit der Insel ein und sind dem Text an den richtigen Stellen zugeordnet.

Raddatz sinniert über das Glück und streift mit einer Fabulierkunst durch die Dünen, die stark an W.G. Sebalds poetische Wanderungen entlang der Küste Suffolks (Die Ringe des Saturn) erinnert. Nachdem er sich am Ellenbogen eine bessere Welt zurechtgeträumt hat, kehrt er wie "innerlich gewaschen" nach Hause zurück. Es verwundert kaum, dass diese fortlaufende Selbstbespiegelung in ein Nachdenken über die letzten Dinge mündet: Der Autor wünscht sich ein Grab mit Wattblick in Keitum. Zunächst erhält er von der zuständigen Friedhofsverwaltung eine Absage. Doch als der Pfarrer erfährt, dass es sich bei dem Antragsteller um "den" Raddatz handelt, ist die Zuteilung nur noch eine Formsache. In diesem Buch ist eben alles eitel - auch Selbstverliebtheit und Vergänglichkeit sind ja seit altersher verwandt.


Titelbild

Fritz J. Raddatz: Mein Sylt.
Mare Verlag, Hamburg 2006.
156 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3936384266

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