Aller Ernst ist zugleich nur Scherz

Ein Sammelband zum Ernstdiskurs und Ironieverlust in Literatur und Philosophie

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Wer der Ironie auf den Grund gehen wollte, war bislang auf Ernst Behlers Studie "Ironie und literarische Moderne" (1997) verwiesen. In dem von Karl Heinz Bohrer herausgegebenen Sammelband wurde das Problem nun stimmiger angegangen. Die Frage, zu deren Klärung sich eine Reihe renommierter Autoren im Bielefelder "Zentrum für interdisziplinäre Forschung" eingefunden hatten, lautete: Hat auf semantischer Ebene ein Ironieverlust im Diskurs des 19. Jahrhunderts (Philosophie, Publizistik, Literatur) stattgefunden und wenn ja, weshalb? Bohrer, in der vorliegenden Ausgabe gleich mit vier Aufsätzen vertreten, eröffnet den Band mit einer Darstellung Friedrich Schlegels, dem Urahn jenes Theorems, das die Gattungsgrenze zwischen Literatur und Philosophie aufheben will und dem Verkünder programmatischer "Unverständlichkeit". Schlegel repräsentiert das fortgeschrittene Bewusstsein für die spezifische "Form" sprachlicher Mitteilungen. Trotzdem ist seine ironische Rede auch im 19. Jahrhundert nicht verstanden worden, was als Indiz für ihre Vereinnahmung durch den philosophisch- wissenschaftlichen Mitteilungsgestus des Ernstdiskurses gelten muss.

Als dessen Exponent tritt der deutsche Idealismus mit Fichte, Schelling und Hegel auf den Plan. Die romantische Ironie, so ihre idealistische Kritik, erfasst die Dinge nicht in ihrem objektiven Gehalt, sondern identifiziert sie unstatthaft mit dem Stil ihrer Aussagen. Als "Theodizee" straft die Hegelsche Geschichtsphilosophie aus der Höhe des besseren Arguments erbarmungslos ihre Gegner ab. Darin liegt der tiefere Grund für das Verschwinden der Ironie, die sich ambivalent und relativierend dem Schmerz des Einzelnen und dem Unrecht des Ganzen zuwendet. Ironie ist auf den Dissens zwischen Welt und ihrem Sinn gerichtet, mit dem sie es weniger in formalen Lehrsätzen als mittels des Begehrens eines Nicht-Vorhandenen, der "Empfindung" zu tun bekommt. Textlich, so meint Rembert Hüser, findet sich die Ironie im 18. Jahrhundert in der Fußnote: als Andeutung und Wink. Den Zugang zu ironischen Texten haben wir demnach immer im Parterre zu suchen, nicht in der obersten Etage: "Gewinkt wird in diesen Texten nicht von oben herab."

"Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen", gab schon Schlegel zu bedenken. Nicht nur gebiert Ironie den Ernst, auch der Ernst wendet sich - zwangsläufig - ironisch gegen sich selbst. "Sprachen der Ironie" und "Sprachen des Ernstes", so der Befund des Bandes, sind einander unverständlich gewordene Dialekte desselben Idioms. Diese Tatsache belegt David Martyns Untersuchung von Fichtes "Reden an die deutsche Nation": Sie sind nicht ernst genug, um ironisch zu sein. Auch Eckhard Schumacher, der sich erneut der Schlegel-Exegese zuwendet, beweist ein Gespür für das Oszillieren der angeblichen Gegensätze. Auf welche Weise wird Ironie überhaupt lokalisierbar? Da bei Schlegel auch dort, wo er "fast ohne alle Ironie" schreibt, Merkmale ironischer Rede aufweisbar sind, sieht sich Hegel genötigt, dem Ernst der Ironie einen "wahrhaften Ernst" gegenüberzustellen - eine entschiedene Abwehrhaltung, die auch Werner Hamacher anhand der Hegelschen Theorie des Komischen noch einmal herausarbeitet.

Ironie unterhöhlt; sie befördert ein Verstehen, das nicht allein von Intention, Repräsentation und Interpretation bestimmt wird. Das ist der Grund, weshalb es Schumacher gelingt, Schlegels Ironie für eine Konzeptualisierung des Lesens als ihren Inhalt permanent neu formulierende Lektüre fruchtbar zu machen. Auch Heinz Dieter Kittsteiners Aufsatz mag der Dialektik zwischen ernster und ironischer Rede nicht abschwören. Ist Schlegels Spaß mit dem Ernst Hegels auch ein Greul, so bedient sich der Großinquisitor alles Ironischen subkutan doch eben jener Sprechweise, die er philosophisch diskreditiert. "Ironie" heißt im Kontext der List der Vernunft: "Die gemeinte Handlung wird - aus der Sicht des Weltgeistes - zu einer anderen Handlung, die zum Intendierten teils im Gegensatz [...] stehen kann." Weitere Stationen des noch andauernden Dialoges beider Redetypen sind der Ironiker Voltaire und sein Kritiker Schiller, Stendhal, Heine, Nietzsche und der Ernstfalldenker Heidegger. Von Interesse ist dieses Buch vor allem für diejenigen, die sich für die gattungsmäßigen Konditionen von Literatur und Philosophie als auch für deren Verflechtung interessieren.