Lustig, lückenhaft und nicht immer informativ

Das "Weiberlexikon" in überarbeiteter Neuausgabe

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach langen Jahren hat der PapyRossa Verlag einen Klassiker aus frauenbewegten Zeiten neu aufgelegt: das von Florence Hervé und Renate Wurms herausgegebene "Weiberlexikon" - und zwar "völlig überarbeitet und wesentlich erweitert". Zahlreiche Einträge wurden aktualisiert oder hinzugefügt, und eine Reihe neuer BeiträgerInnen wurde gewonnen. Die Stärken und vor allem auch die Schwächen früherer Auflagen wurden bei alledem allerdings beibehalten.

Es sind dies die Stärken und Schwächen, die einem Lexikon, das als "informatives Lese- und Bilderbuch zum Nachschlagen und Schmökern" gedacht ist, eben eigen sind. Denn beides, ein verlässliches Nachschlagewerk und ein Schmöker, ist in einem Buch schwerlich zu haben.

Eine der Stärken des, wie die Herausgeberinnen zu Recht sagen, "eigenwillige[n] Buch[es]", besteht darin, sich nicht an ein akademisches Publikum zu richten, sondern an - "Frauen wie Du und ich" würde der Rezensent sagen, wenn er nicht gerade männlichen Geschlechts wäre. Eine Stärke ist dies deshalb, weil bereits einige Lexika, Wörterbücher und Nachschlagewerke zu den Themen Gender Studies sowie Frauen- und Geschlechterforschung, mithin für den akademischen Feminismus, vorliegen. Nicht jedoch eines, in dem die ,Emma'-Normalverbraucherin nachschlagen kann, "was es aktuell und historisch mit der Politik von, für, mit und solcher gegen Frauen, dem Frauenalltag, der Frauenbewegung, der Situation der Frauen in Deutschland und international auf sich hat". Allerdings wendet sich diese Stärke immer wieder zur Schwäche, finden sich neben zahlreichen ebenso gründlichen wie informativen Einträgen doch ebenso viele, die in ihrer nichts- bis wenigsagenden Oberflächlichkeit die an ein Lexikon berechtigterweise zu stellenden Erwartungen kaum entsprechen können. Dieses Manko ist vermutlich nicht zuletzt der Freiheit anzulasten, die den AutorInnen bei der Gestaltung ihrer Beiträge belassen und von diesen auch weidlich (aus)genutzt wurde: "Wissenschaftlich-sachlich, lexikalisch sind die einen vorgegangen, essayistisch oder ironisch-selbstkritisch die anderen." Das ist zwar - oft - unterhaltsam zu lesen, bereitet aber auch die eine oder andere Enttäuschung, wenn man sich ernsthaft informieren will. Konsultiert man beispielsweise den Eintrag "Orgasmus", erfährt man von seiner Verfasserin Peggy Parnass nur, dass sie "zum Kotzen" findet, was in Fachbüchern darüber zu lesen ist, und sie selbst "kein Wort" dazu schreiben möchte.

Auch manch anderer Eintrag bietet kaum eine nennenswerte Information. Zur Veranschaulichung sei derjenige zu "Mädchen" vollständig wiedergegeben: "abgeleitet von mhd. 'maget'. Weibliche Kinder oder Jugendliche bis zum Eintritt der Geschlechtsreife, auch bis zur Volljährigkeit." Das hätte Frau sich auch schenken können. Andere Begriffe, wie "PND", werden mit nur vier einhalb Zeilen zwar kurz aber doch informativ erklärt, ohne dass allerdings die feministische Kritik bzw. Kontroverse um die Pränataldiagnostik auch nur mit einem Wort erwähnt würde. Unter "Männerbewegung" wiederum wird nur deren nicht-maskulinistische/nicht-misogyne Variante vorgestellt. Es handelt sich hierbei im Übrigen um den einzigen von einem Mann verfassten Artikel - so vermutet der Rezensent zumindest. Ganz sicher sein kann er allerdings nicht, denn nicht alle Artikel sind namentlich gezeichnet. Das ist bedauerlich. Ist doch mancher unter den - meist kürzeren - anonym abgedruckten Artikeln originell genug, um seiner AutorIn zur Ehre zu gereichen.

Die anvisierte Zielgruppe des Buchs schlägt sich auch in der Auswahl der aufgenommenen Begriffe und dem Umfang der entsprechenden Einträge nieder. So nimmt der Artikel "Arbeit" mehr als fünf Seiten ein, "Arbeiterin" weitere anderthalb, "Beruf" vier, "Arbeitskampf" zwei, "Arbeitsschutz" ebenfalls zwei und "Arbeitssicherstellungsgesetz" eine weitere halbe. "Erwerbstätig-" und "-losigkeit" noch mal sechs Seiten. Der Begriff "Frau" hingegen bringt es auf gerade mal 21 Zeilen. Ihn derart einzudampfen, ist nur zu schaffen, wenn man den gesamten ihn betreffenden akademischen Diskurs angefangen von Simone de Beauvoir über Monique Wittig und Luce Irigaray bis hin zu Judith Butler unter den Tisch fallen lässt. Die Begriffe "Dekonstruktion" oder wenigstens "dekonstruktiver Feminismus" sucht man gar vergeblich. Vermissen muss man allerdings nicht nur die zentralen Begriffe des akademischen Feminismus, die auch in einem an die gesamte Weiberschaft gerichteten Lexikon kurz und allgemeinverständlich erläutert werden sollten, sondern etwa auch einen Eintrag zu "Frauenrechten", die doch nun wirklich alle Frauen (und nicht nur die) angehen.

Es ist fraglich, ob ein solches Buch heute, also lange nach dem Niedergang der Frauenbewegung, noch sein Publikum finden wird. Zu wünschen wäre es ungeachtet aller anfälligen Kritik. Könnte das Interesse eines großen Lesepublikums doch darauf hindeuten, dass der patriarchalen Gesellschaft eine neue Welle der Frauenbewegung ins Haus steht. Deren Streiterinnen werden eine Bewehrung mit den Erkenntnissen des dekonstruktiven (Post-)Feminismus allerdings kaum entbehren können. Die vorliegende Ausgabe des "Weiberlexikons" vermag sie in dieser Hinsicht nicht zu rüsten.


Titelbild

Florence Hervé / Renate Wurms (Hg.): Das Weiberlexikon. Von Abenteurerin bis Zyklus. 5., neu bearbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage.
PapyRossa Verlag, Köln 2006.
508 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 389438333X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch