Die Rückkehr der Klonkrieger

Thomas Böhm empfängt die Welt der Lesungen

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das muss erklärt werden. Das mit dem Klonkrieger. Damals. Auf einem Literaturfestival, oder eher: ein Festivalchen, klein, aber fein, namens "Prosanova". Da saßen Thomas Böhm und Michael Zöllner auf einer Bühne, morgens so gegen elf, das ausgediente Möbelhaus, das Festivalzentrale war, roch nach dem Bier und dem Schweiß der vergangenen Nacht.

Zöllner trat als Verleger des Tropen Verlags auf, der sich gerne klein, aber fein gibt. Böhm trat als Herausgeber eines Buchs auf: "Auf kurze Distanz". Das Buch handelte von Lesungen in Deutschland und versammelte Texte und Interviews mit Menschen, die im Literaturbetrieb Gewicht hatten und meistens immer noch haben. Judith Hermann und so.

Zöllner und Böhm stellten also das Buch vor, das von Lesungen handelte, und sie stellten es auf einer Lesung vor, und dann kamen massenweise Pierrot-Clowns durch den Schweiß- und Biergeruch gerollt, verteilten Flyer, und die ganze Veranstaltung bekam den Charakter einer eher surrealen Infotainment-Inszenierung, "Klassenziel erreicht: Lesungsformat gesprengt", schrieb die "Prosanova"-Festivalzeitung. Surreal war das alles auch, weil Zöllner und Böhm exakt die gleiche Frisur, die gleichen, leicht schäbigen Sakkos anhatten und überhaupt sehr gleich aussahen, so dass dem Ausdruck "surreale Infotainment-Inszenierung" noch hinzugefügt werden kann: Mit Klonen. "Angriff der Klonkrieger", schrieb die Festivalzeitung.

Mit "Weltempfang" legen die Klone nach. Der Tropen Verlag verlegt das Buch, Thomas Böhm ist Herausgeber, und das Konzept baut auf bewährte Art und Weise Interviews, Essays und Information aneinander. Nur, dass das Buch diesmal den Blick sozusagen weiter schweifen lässt, über die deutschen Grenzen, über die des europäischen Kontinentes hinaus und sich selbst das Prädikat "Panorama internationaler Autorenlesungen" verleiht.

Da kann man jetzt aufzählen: Der Infobereich umfasst eine Liste wichtiger internationaler Literaturfestivals, unter anderem auch "Prosanova", aber auch alles andere von Australien bis in die USA. Interviews werden geführt mit T. C. Boyle, Adonis, Essays gibt es aus aller Welt, über Lesungen im Nahen und Fernen Osten, in Polen und den USA und Afrika, immer zu verschiedenen Aspekten der Autorenlesung, immer mit Blick auf jeweilige nationale Gepflogenheiten. Das Panorama ist, wie gesagt, international.

Damit einher gehen auch Appelle, oder vielmehr: Anregungen, denn mit der Autorenlesung steht nicht alles zum Besten. Weil, so Böhm sinngemäß, die Lesung eine Kunstform ist, eine Grenzveranstaltung zwischen Performance und Literatur mit eigener Tradition und eigener Ästhetik. Für die es aber nur sehr spärliche Forschungsansätze und noch spärlichere Innovationsideen gibt, das läuft mehr nach dem Motto: "so haben wir es schon immer gemacht". Und schwups, schon ist man bei Tisch, Stuhl und Wasserglas gelandet. Das ist der Punkt, an dem die Klonkrieger wieder in Spiel kommen: Unterschwellig geht es in "Weltempfang" auch darum, andere Formen oder Möglichkeiten der Lesung zu zeigen und anzuregen, oder wenigstens den Status quo auf ein Maß zu bringen, bei dem sich nicht alle Beteiligten zu Tode langweilen. Da könnte den wunderbaren, wenn auch etwas trockenen Aufsatz von Hinrich Schmidt-Henkel zur Moderation von internationalen Autorenlesungen anführen, der von nützlichen Tipps zur Vermeidung von Lesungslangeweile nur so wimmelt. Oder auch den von Stephan Wackwitz zum berlinerisch-polnischen Austausch des Lesebühnenformates, das seit seiner Erfindung als interdisziplinäres Unterhaltungsformat hervorsticht. So gesehen ist "Weltempfang" ein Schatzkistchen, oder mehr: ein Waffenarsenal für die folgsame Armee der Klone, darin diese ganzen kleinen Essays und Interviews, die mal lustig sind, mal ernst, mal trocken, mal überkandidelt, aber immer abwechslungsreich und fundiert sind. Und nützlich.

Natürlich ist es vermessen zu sagen oder zu glauben, "Weltempfang" wäre eine Art Schlussstein, eine letzte Bestandsaufnahme, eine Art letztes Wort zur Lesungskultur. Ein einzelnes Buch wie "Weltempfang" eines ist, kann das nicht leisten, es kann höchstens einen kleinen, einen sehr kleinen Überblick verschaffen. Es ist in dieser Hinsicht ein Anfang, ein Einstieg, eines der ersten Stücke Sekundärliteratur, dem noch mehr folgen müssten um einer Kunstform wie der Lesung gerecht zu werden.

"Weltempfang" ist deswegen ein nötiges Buch, eines, das in seiner Zusammenstellung, gleichzeitig einen Anreiz gibt, die Form der Lesung mal gründlich zu entstauben und Ansätze aufzeigt, das auch in die Praxis umzusetzen. Man hat sich das so ähnlich vorzustellen wie das mit den Pierrot-Clowns: Einfach mal die Lesung stürmen und merkwürdige Dinge tun. Solche, die nicht dazugehören. Die Lesung hält das schon aus. Klonkrieger wissen das.


Titelbild

Thomas Böhm (Hg.): Weltempfang. Panorama internationaler Autorenlesungen.
Tropen Verlag, Köln 2006.
188 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 393217092X

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