Weltkultur im Videoclip

Ludwig Pfeiffer über "Das Mediale und das Imaginäre"

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was passiert, wenn die deutsche Anglistik und die neusten Tendenzen amerikanischer Kulturwissenschaft zusammentreffen? In Ludwig Pfeiffers Abhandlung 'Das Mediale und das Imaginäre, Dimensionen kulturanthropologischer Medientheorie' kann man es nachlesen. Bereits der Titel zeigt deutlich, dass der Siegener Anglist die engen Grenzen seines Faches und die Beschränkung auf die Hochkultur überwunden hat. "Das Imaginäre", "das Mediale" und dazu noch eine anthropologische Dimension künden von einem weitgesteckten Terrain. Und in der Tat, im Index von Pfeiffers Buch folgen Barock, Breakdance und Bodybuilding recht umstandslos aufeinander. Diese Zusammenstellung ist kein Zufall, sondern hat Methode. So verkündet Pfeiffer einleitend, dass er die traditionellen Künste zu Medien erkläre, um die Unterscheidung zwischen hohen und niederen Künste zu vermeiden. Unerwähnt bleibt allerdings, daß sich die Abhandlung vorwiegend eben nicht auf die neuen Medien, sondern auf die traditionellen Künste konzentriert. Dem Vorwurf der Wahllosigkeit oder der mangelnden Differenzierung, der gegen seine Umbenennung der Kunst erhoben werden könnte, versucht er dadurch zu begegnen, daß er ihn gleich einleitend thematisiert. Entkräften oder zurückzuweisen kann er ihn jedoch nicht.

Dass Pfeiffer davor zurückschreckt, sich festzulegen, wird auch im Theorieteil deutlich. Hier lässt er die wichtigsten Tendenzen traditioneller und zeitgenössischer Philosophie in einer Art Videoclip am Leser vorbeiziehen, ohne allerdings den eigenen Rahmen abzustecken. Aus seinen Kommentaren und der Abhandlung lässt sich schließen, dass Marshall McLuhans "Understanding Media" einen gewissen Einfluß auf den Autor ausgeübt hat; wichtiger noch aber sind Luhmanns Systemtheorie und Wolfgang Isers "Das Fiktive und das Imaginäre".

Einer gewissen Videoclip-Ästhetik folgt Pfeiffer das ganze Buch hindurch. Die angesprochenen Themen, Werke, Epochen und Kunstformen sind zahlreich, doch nie verweilt der Autor lange bei einem Thema. Statt dessen springt er oft ohne Überleitung zum nächsten Gegenstand, ohne dass die Zusammenhänge dabei deutlich würden. Die Verkürzungen und Vergröberungen, die ein solches Verfahren impliziert, sind dazu geeignet, einschlägig vorgebildete Leser zu irritieren oder zu verärgern.

Shakespeares Aufführungspraxis, japanisches Tanztheater, Schopenhauer, Nietzsche und Adorno zählen zu seinen Themen. Gerade die Ausführungen zu Shakespeare, zu Dryden, Inigo Jones und Ben Jonson lesen sich mit Gewinn. Seine Erörterungen der Geschichte der Oper sind, obwohl schwerlich Neuentdeckungen, gleichfalls eine lohnende Lektüre. In diesen Kapiteln wird der Autor allerdings manchmal recht unversehens vom (Post-)Modernen zum Traditionalisten. Selbst der Gegensatz zwischen hoher und niederer Kultur, der einleitend noch mit großer Geste verabschiedet wurde, kehrt bei der Gegenüberstellung von deutscher und italienischer Oper des 19. Jahrhunderts wieder. Da werden Rossinis komische Opern umstandslos der leichten Muse zugeordnet und Verdis Opern der Volkstümlichkeit geziehen. Beides wird mit der deutschen Ernsthaftigkeit Wagners kontrastiert, der der spätere Verdi dann auch gehuldigt habe. Die Gründe für diesen Umschwung, die nicht nur in der Veränderung in der Opernwelt, sondern vor allem in einem anderen politischen und kulturellen Klima in Italien begründet lagen, interessieren Pfeiffer nicht. Im Vordergrund stehen bei Pfeiffer Inszenierungen, deren gesellschaftlicher oder politischer Kontext weitgehend ausgeblendet bleibt.

Was angesichts des außergewöhnlichen Umfangs der Abhandlung und der breiten Themenpalette erstaunt, ist die ausschließliche Ausrichtung auf männliche Autoren. Gerade angesichts der umfangreichen Forschungsergebnisse im Bereich "Genderstudies", die in den letzten Jahren aus dem angloamerikanischen Sprachraum gekommen sind, ist dies eine schwer verständliche Entscheidung. Diese Geschlechterblindheit wird vor allem im letzten Teil deutlich, in dem es unter der Überschrift "Der spektakuläre und der verschwindende Körper" um Literatur und Sport geht, d. h. um Körperinszenierungen in Literatur und Sport. Da sich Pfeiffer in langen Beschreibungen von Reemtsmas "Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali", Ilie Nastases Roman "Tie-Break", und den Körperinszenierungen der Antike ergeht, kann man davon ausgehen, daß er ausschließlich den männlichen Körper meint. Frauen werden höchstens dort erwähnt, wo es um den Tanz und die Femme fatale geht, deren Zusammenhang mit dem Sport doch sehr im Dunklen bleibt. Der Sport ist der letzte verbleibende Ort ist, an dem auch noch im 21. Jahrhundert maskuline Heldenmythen medial inszeniert werden. Dies wäre ein naheliegender Gegenstand für Pfeiffers Abhandlung gewesen.

Stattdessen ergeht sich Pfeiffer, wie um das Thema zu nobilitieren, in einer langen Aufzählung aller der Autoren, die über den Sport schrieben. Eine illustre Liste, die von Sophokles und Homer bis zu Brecht oder Hemingway reicht. Daneben fügt Pfeiffer längere Referate über Schiller, Herder und Hegel ein, was ein wenig befremdlich ist, da diese Herren kaum berühmt für ihre sportlichen Aktivitäten waren und sich allenfalls positiv über den Sport in der Antike äußern wollten. Bei der Suche nach jenen Literaten, die den sportlichen Worten auch Taten folgen ließen, kommt Pfeiffer nicht sonderlich weit. Auch sein Versuch, Goethe zum Eisläufer zu stilisieren, kann nicht überzeugen. Ihm bleibt letztlich nur Lord Byron, der trotz Körperbehinderung auf diesem Gebiet wie in der Liebe und der Literatur Höchstleistungen erbrachte. Wiewohl auch für seine Lordschaft die Antike Maßstab war und er versuchte, den Helden dieser Zeit nachzueifern, bewahrte er gegenüber seinen eigenen sportlichen Erfolgen immer eine wohltuende halbironische Distanz, mit der Pfeiffer nun gar nichts anzufangen weiß. Dabei ist genau diese gelegentliche halbironische Distanz das, was Pfeiffers Abhandlung fehlt, denn die nimmt Leichtes wie Schweres, Tragisches wie Komisches, Literatur wie Sport gleichermaßen Ernst. In Abwandlung der Pfeifferschen Ausführungen über die Operngeschichte kann man da nur sagen, weniger Wagner und mehr Rossini hätte 'Das Mediale und das Imaginäre' lesbarer gemacht.

Titelbild

K. Ludwig Pfeiffer: Das Mediale und das Imaginäre. Dimensionen kulturanthropologischer Medientheorie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
620 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3518582801

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