Kurz gefasst: Hermann Hesse

Michael Limbergs Darstellung in der Reihe "Suhrkamp BasisBiographien"

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Obwohl es dem Verfasser nur um Fortsetzung und Weiterentwicklung vielfach bestätigter poetischer Meisterschaft ging, machte ein Werk von ihm bei der jungen wie auch älteren Generation Nachkriegsdeutschlands Furore: Hermann Hesses Roman "Das Glasperlenspiel" (1943), eine aus der Perspektive des Jahres 2200 auf die Gegenwart (das erste Drittel des 20. Jahrhunderts) zielende Kulturkritik an der "Unsicherheit und Unechtheit" der Bildungswerte im "feuilletonistischen Zeitalter".

1946 hatte der Autor den Nobelpreis für Literatur erhalten, auch seine älteren Werke wurden wieder neu gedruckt. Seitdem riss seine Beliebtheit in beiden Teilen Deutschlands - von gelegentlichen Stagnationen und Ruhezeiten abgesehen - nicht mehr ab. In den 60er und 70er Jahren gab es in den USA eine erneute Hesse-Welle, die die ganze Welt überspülte. Was war es, was an diesem Erzähler, Lyriker und Essayisten so faszinierte? Der Rückzug aus der verabscheuten Gegenwart in die Innerlichkeit und Einsamkeit, der Weg der Selbstwerdung, auf dem Hesse seine Figuren stets begleitet, die Darstellung seelischer Krisen, der Übergänge von einem in den anderen Zustand, von einer Stufe zur anderen - oder die Sinnbildhaftigkeit seiner Welt, einer Welt der Zeitlosigkeit wie Vergänglichkeit?

Michael Limberg, seit 1994 einer der beiden literarischen Leiter der Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquien in Calw, hat für die Reihe "Suhrkamp BasisBiographie" eine in ihrer sachlichen Diktion überzeugende monografische Studie über diesen rücksichtslosen Wahrheitssucher geschrieben. Einen Schriftsteller, der die Entstellungen und Illusionen entlarvte und lehrte, das Schicksal, auch die Niederlage, als Teil des eigenen Lebens zu lieben. Entsprechend den der Reihe zugrunde liegenden Prinzipien nimmt er eine Dreiteilung seines Stoffes vor: Leben, Werk und Wirkung. Das hat den Vorteil, dass man die Kommentare zur erzählerischen Prosa zusammenhängend, unterteilt in drei Phasen, und einzeln zur Kenntnis nehmen kann. Nur Informationen über den Maler Hesse - der scheint völlig unterbewertet zu sein - sucht man vergebens. Einmal abgesehen von dem kurzen Abschnitt zu Hesses Übersiedlung in die Casa Camuzzi in Montagnola im Jahre 1919, und von der dürren Zeile in der Zeittafel: "1922 Januar: Ausstellung eigener Aquarelle in Winterthur zusammen mit Aquarellen von Emil Nolde". Das reicht eben für diesen Autor nicht aus, den die Liebe zum bildlichen Darstellen auch in seiner Literatur erfüllt hat. Die Symbolwirkung der Farben spielt in seiner Prosa ("Roßhalde", "Klingsors letzter Sommer") wie Lyrik eine besondere Rolle, die von Limberg schlicht ignoriert wird. Hesses Malerei ist gerade seit den 20er Jahren eigenständig neben die Dichtung getreten.

Schon der junge Hesse war in seinem Erzählwerk ("Peter Camenzind", 1904; "Unterm Rad", 1906; "Gertrud", 1910) problematischen Figuren verfallen, die mit dem bürgerlichen Alltag nicht zurecht kommen. Bei ihm bestechen bis heute die zwingenden Erzähllineaturen. 1919 erschien "Demian. Die Geschichte einer Jugend", als deren Autor ein gewisser Emil Sinclair verantwortlich zeichnete. Hesse wählte ein Pseudonym, um durch seine schon erworbene Bekanntheit nicht die Verbindlichkeit seines neuen Romans vorzubelasten, auf dessen stellvertretende Kraft er vertraute. Er schilderte das Leben eines hochsensiblen Einzelgängers vor dem Ersten Weltkrieg. Die Katastrophe von Krieg und Zusammenbruch weckt hier Hoffnung auf eine neue Ära des Friedens, die eine innere Wandlung des Menschen herbeiführen soll. Es ist kein autobiografisch gefärbter, romantisierender Roman, sondern ein Lehrgedicht. Was innerhalb der Erzählung der ältere Mitschüler Demian für Sinclair ist, nämlich "Freund und Führer", wie es die letzten Worte des Romans pointieren, will Hesse für jeden seiner Leser sein. "Demian" ist Dokument einer allumfassenden Unruhe, eines Chaos, das die Sehnsucht nach neuer Ordnung provoziert. Indem Hesse Zeitanalysen als Prophetien kaschiert, wird die Lineatur des Mit- und Nachdenkens in die Zukunft hineinprojiziert. Aber die Zeitanalyse im Gewand der Prophetie vernachlässigt die Tagesereignisse und Tagesaufgaben. Die Führerhoffnungen der Einzelgänger pervertieren, sobald sie auf die Massen übertragen werden. So schlägt der entschlossene Vorstoß aus dem Geistigen ins Politische faktisch in einen neuerlichen Rückzug aus dem Politischen ins Geistige um.

Hesse, der mit "Demian" die Zeit der Weimarer Republik einleitete, durchzog auch diese neue Periode mit seinen fiktiven Reflexionen. In "Klingsors letzter Sommer" (1920) entwarf er das Bild einer Welt, die keinerlei Widerstandskräfte gegen das einbrechende Chaos zu mobilisieren versteht. Damit nahm er die im "Demian" formulierten Zukunftshoffnungen wieder zurück. Psychologische Feinkunst, von Hesse in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erlernt und unter permanenter Bindung an die eigenen Erfahrungen und ihre Schwankungen perfektioniert, wurde dann vor allem dem Roman "Der Steppenwolf" (1927) zugrunde gelegt. Am Schicksal eines anonymen H. H. wird der Zerfall der Epoche insgesamt signalisiert. Erstrebte Bindungen an Buddhismus und Psychoanalyse sollten den Zerfall des Einzelnen wie der Zeit steuern, förderten ihn aber nur. Limberg weist in diesem Roman die drei Erzählperspektiven nach und sieht im Magischen Theater "eine Schule des Humors". Ist es aber nicht auch die Stätte der Heilung, die Bühne von Harry Hallers eigener Seele? Die Schauspieler sind personifizierte Abspaltungen seiner Psyche, das Spiel ist ein mit der Jung'schen Psychoanalyse inszeniertes Lehrstück, der Zweck die Reintegration einer gestörten Persönlichkeit.

Hervorragend ist die Interpretation von Hesses großem Alterswerk "Das Glasperlenspiel" (1943) gelungen, von diesem selbst als Summe seines Schaffens verstanden. Hesse, der hier als Autor völlig hinter seiner Botschaft zurücktritt, setzte Spiel und Fiktion vermittels der Utopie in ein sehr genaues Wechselverhältnis. In der Ordensprovinz Kastalien entwarf er das äußere Gegenbild zur schrecklichen politischen Wirklichkeit der 30er und 40er Jahre. Es nimmt durch die Datierung auf das Jahr 2200 das Ende der Barbarei des Zweiten Weltkriegs vorweg. Sieg und Niederlage des geistigen Prinzips sind hier nicht von geschichtlichen Konstellationen abhängig, sondern Strukturelemente der Welt schlechthin.

Besonders zu würdigen ist die knappe Darstellung der Wirkungsgeschichte Hesses, in der sich Limberg mit der Sprache des Autors, dem seit Kurt Tucholsky immer wieder erhobenen Vorwurf einer "schlechthin phänomenalen Humorlosigkeit", der Frage nach Hesses politischem Engagement und überhaupt nach dessen Zeitgemäßheit auseinander setzt.

Diese kurz gefasste Monografie wird man nach der aufmerksamen Lektüre nicht für immer beiseite legen, sondern wieder und wieder zur Hand nehmen, um in ihr nachzulesen und nachzuschlagen.


Titelbild

Michael Limberg: Hermann Hesse. Leben Werk Wirkung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
158 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3518182013

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