Von Dirndeln und schwarzer Haut

Richard J. Evans möchte auch nach seinem zweiten, über tausendseitigen Band über das "Dritte Reich" immer noch nicht verraten, was seine These ist

Von Wolfgang WippermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Wippermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Dirndl feierte in den späten dreißiger Jahren eine Art Comeback". Allerdings "stark nach dem Vorbild der internationalen Mode abgewandelt". Magda Goebbels rauchte "oft Zigaretten in einer Zigarettenspitze". Eva Braun "benutzte regelmäßig die Produkte von Elizabeth Arden" und rauchte auch, aber nur, "wenn er nicht in der Nähe war." "Er", nämlich Hitler, fiel "in eine tiefe Depression und fand keinen Schlaf mehr", als ihm von dem "unerwarteten Skandal" berichtet wurde, dass es von der Frau des Reichswehrministers von Blomberg "pornographische Fotos" gab. "Zigeuner" hatten eine "dunkle Haut" und führten "ein nichtsesshaftes Leben".

Dies sind nur einige der Informationen, die wir dem zweiten Band des britischen Historikers Richard J. Evans über "Das Dritte Reich" entnehmen können. Sie sind entweder so unwichtig wie die Geschichten über das Dirndl und die von den rauchenden Frauen - oder halb richtig wie die Mitteilung, dass der Blomberg/Fritsch-Skandal "unerwartet" kam und nicht von der NS-Führung intendiert und instrumentalisiert wurde. Völlig falsch und vorurteilshaft sind jedoch die Angaben über die "dunkle Haut" und das "nichtsesshafte Leben" der Sinti und Roma, die keine "Zigeuner" waren und auch nicht so genannt werden wollten.

Natürlich ist es gemein und teuflisch, wenn man sich als Rezensent aus über 1000 Seiten, auf denen die Zeit von 1933 bis 1939 behandelt werden, solche Details herauspickt. Doch der Teufel steckt nun einmal im Detail, und die Geschichte des "Dritten Reiches" war auch gemein, ja ist unser aller historisches Gemeingut. Sie ist schon vielmals geschrieben worden. Mit Hilfe der biografischen Methode wurde sie als Lebensgeschichte Hitlers dargestellt, der alles und jedes getan hat oder haben soll, weshalb ihm eine "historische Größe" (Joachim C. Fest) nicht abzusprechen sei. Strukturgeschichtlich wurde das "Dritte Reich" als "Polykratie" bezeichnet, wobei Hitler plötzlich zum "schwachen Diktator" (Hans Mommsen) mutierte. Marxisten wiederum sprachen von der "faschistischen Diktatur" einiger "Elemente des Finanzkapitals".

Evans sind diese und andere Deutungen zweifellos bekannt. Doch er erwähnt sie komischerweise nicht. Jedenfalls nicht in diesen beiden Teilbänden. Hier geht er nur ganz knapp auf die Sonderwegsthese ein, die er mit guten Gründen ablehnt, weil es keinen 'Normalweg' in der europäischen Geschichte gegeben habe. Der nahe liegenden Frage, ob und welche Gemeinsamkeiten denn das "Dritte Reich" mit anderen "faschistischen" und meinetwegen auch "totalitären Diktaturen" gehabt haben könne, geht Evans jedoch nicht nach. Er erzählt einfach, wie es gewesen sein soll: Wie es zur Errichtung des "Polizeistaates" ("nur" Polizeistaats?) gekommen sei. Wie die Nationalsozialisten eine "geistige Mobilisierung" und eine "Bekehrung der Seele" (nur das?; und was sind das für Metaphern?) versucht, "Wohlstand" verbreitet und eine "Volksgemeinschaft" aufgebaut hatten (wirklich?). Sie hätten nach einer "rassischen Utopie" gesucht (nur gesucht? Der Rassenmord war nicht nur utopisch, sondern real). Und schließlich hätten sie den "Weg in den Krieg" beschritten.

All dies in überbordender Ausführlichkeit, aber sprachlich gut und gestützt auf eine kaum überschaubare Literaturbasis, wobei jedoch, wie die eingangs erwähnten Beispiele zeigen, das Wichtige nicht immer vom Unwichtigen und das Richtige nicht immer vom Falschen unterschieden wird. Wahrscheinlich war dies unvermeidlich. Denn ein einzelner Historiker dürfte heute kaum noch in der Lage sein, den Forschungsstand insgesamt und zu den vielen, vielen Teilbereichen des Themas zu beherrschen und kritisch zu sichten. Es sei denn, er geht überall ad fontes oder von einer übergreifenden Theorie aus. Ersteres konnte Evans nicht leisten, letzteres wollte er nicht.

Herausgekommen ist ein Lesebuch im guten und wörtlichen Sinne. Die tausend Seiten lesen sich gut und vor allem auch schnell. Doch der Erkenntnisgewinn ist insgesamt begrenzt und im Einzelnen sogar problematisch. Daher weiß man nicht, ob man Studenten wirklich raten soll, Evans' Bücher zu lesen. Dem britischen Historiker, dem wir übrigens sehr gute Bücher über die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, die Cholera in Hamburg und die Todesstrafe verdanken, wäre in jedem Fall zu raten, sich einmal kurz zu fassen und uns zum anderen endlich seine konkrete Deutung des "Dritten Reiches" zu verraten.


Titelbild

Richard J. Evans: Das Dritte Reich. Diktatur. 2 Bände.
Übersetzt aus dem Englischen von Udo Rennert.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006.
1104 Seiten, 69,90 EUR.
ISBN-10: 3421056536

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