Mit und gegen den Autor

Kristin Jahn untersucht, wie Uwe Johnson wirklich erzählt

Von Daniel WeidnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Weidner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Uwe Johnson hat zwar schon seit langem den Ruf eines Klassikers, aber über seine Deutung besteht alles andere als Einigkeit. Von einer vorsichtigen Abwertung - er sei insgesamt überschätzt - über seine Historisierung - er sei historisch mit dem Ende der sozialistischen Option überholt - zu einer Reihe von Neuinterpretationen mit neueren kulturwissenschaftlichen Kategorien wie dem Trauma oder dem jüdischen Schreiben reicht die Palette der gegenwärtigen Annäherungen; der Konsens scheint schmal, auch im Formalen sehen die einen ihn ihm einen avantgardistischem Autor der Montage, die anderen einen Fortsetzer der realistischen Tradition.

Auch Kristin Jahn will Johnson neu lesen, sie orientiert sich nicht an Themen oder der literaturhistorischen Einordnung - die ja oft eher eine literaturkritische ist, so in der notorischen Formel des "Dichters der beiden Deutschland" oder gar als "Heimatdichter".

Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen dagegen die Erzählverfahren Johnsons. Jahn orientiert sich dabei recht streng an der Theorie Gerard Genettes, ohne jedoch dessen Eleganz erreichen zu können. Roman für Roman werden die verschiedenen narratologischen Kategorien wie Zeitordnung, erzählerische Distanz und Perspektive, Erzählstimme und Erzählebenen abgearbeitet. Hier geht es, da die Kategorien nicht erklärt werden, recht theoretisch zu und die Lektüre dürfte daher auch für den Johnson-Freund eine eher anstrengende Kost sein. Trotzdem wird man die Präzision und Distanz dieser Analysen schätzen, vor allem, weil sie sowohl die Verschiedenheit wie den Zusammenhang der Romane Johnsons deutlich machen: Von den zeitlichen Verschiebungen und der bereits angedeuteten, aber nicht vollständig gelungenen Zurückdrängung des allwissenden Erzählers in der "Barbendererde" über den Polyperspektivismus der "Mutmaßungen", in dem der Erzähler nur noch eine Regiefunktion hat - die allerdings wesentlich ist und keineswegs mit dem Verschwinden des Erzählers verwechselt werden sollte. Auch in den mittleren Romanen, im "Dritten Buch über Achim" und in den "Zwei Ansichten", werden die Darstellungsprinzipien und Probleme der frühen Phase wieder aufgegriffen und weiterentwickelt, insbesondere das Spiel von Binnen- und Rahmenerzählung (also: von Diegese und Metadiegese). Aus dieser Perspektive zeigt Jahn auch gegen die immer noch verbreitete Annahme, die "Jahrestage" würden einen Rückfall in den Realismus des 19. Jahrhunderts darstellen, dass hier das traditionelle Erzählen des Jerichow-Plots stets auch eine kontrastive Funktion gegenüber dem modernen Erzählen hat. So zeichnet sich eine kohärente Entwicklung der Johnson'schen Poetologie ab, die in einer steten Variation, Reflexion, Radikalisierung und experimentelle Erprobung der erzählerischen Mittel besteht.

Allerdings funktionieren Jahns Analysen in den frühen Romanen sehr viel besser als angesichts der "Jahrestage" und ihrer offenen Struktur. Mit den Mitteln der Erzähltheorie lassen sich Phänomene wie die Montage und die damit verbundene Stimmenpluralisierung nicht so recht denken, immer metaphorischer werden daher die Anwendungen. Auch die historischen Exkurse, die Johnsons Schreiben auf eine zeitgenössische Poetik oder gar - im Fall der "Jahrestage" - auf das "hebräische Zeitverständnis" beziehen, vermögen wenig zu überzeugen. Solche weitreichenden Interpretationen scheinen auch von der Hauptintention des Buches abzulenken, wie sie bereits der Untertitel andeutet: nämlich dem Abstand zwischen dem programmatischen Anspruch der Johnson'schen Poetik und ihrer Verwirklichung zu untersuchen. Denn die erzähltechnischen Analysen möchten sich nicht nur gegenüber den verbreiteten inhalts- und themenorientierten Lektüren Johnsons abgrenzen, sondern auch gegenüber dessen so folgenreicher Selbstinterpretation.

Johnson hat bekanntlich einmal gesagt, die Geschichte müsse sich ihre Form auf den Leib gezogen haben. Dieser Satz hat nach Jahn die Rezeption oft verstellt, er legte es nahe, einen radikal modernen Autor allzusehr an ein klassisches, holistisches Kunstverständnis anzunähern. Tatsächlich bestätigt diese Beobachtung nur das, was eigentlich jeder Leser selbst sieht: dass Johnson immer wieder dieselben Geschichten in anderer Form erzählt, dass Variation also für ihn eine entscheidende Rolle spielt. Der Satz von der Übereinstimmung von Inhalt und Form kann so nur als Mystifikation verstanden werden. Das gelte nun - so Jahn durchaus überzeugend - für Johnsons gesamte Poetik, in der er nicht über sein Erzählen spricht, sondern einfach weiter erzählt, seine Figuren zu lebendigen Wesen erklärt und das eigene Schreiben zum Gegenstand einer weiteren Erzählung mache: Letztlich handele es sich bei all dem um eine Art Schutzmechanismus gegenüber fremden Deutungen.

Johnson hat seine Poetik ja dezidiert unter den Vorbehalt gestellt, keine Poetik zu haben. Und anstatt dem zitierten Diktum über die ,leibhaftige' Form zu folgen und einfach Johnson mit Johnson zu lesen und zur Mystifikation beizutragen, ist eine Analyse seiner konkreten und tatsächlichen Erzählverfahren sinnvoll. Die Frage ist allerdings, ob jenes Diktum damit wirklich verstanden ist und ob es etwas nutzt, diesen Paradoxien weiter zu folgen - kurz, ob die wichtige Idee, Johnson gegen Johnson zu lesen, ein ganzes Buch trägt. Ein Buch, das - konsequent inkonsequent in seinem Titel selbst wieder Johnson zitierend - nur eine weitere Drehung in der Schraube der Paradoxien der Autorschaft zu sein scheint. Man könnte sich dagegen fragen, ob das Wesentliche und Spezifische des Johnson'schen Erzählens nicht weniger mit solchen Problemen als mit den erwähnten Brüchen, der Montage, dem Nebeneinander und der Variation verschiedener Erzählweisen zusammenhängt. So dass es weniger darauf ankäme, die Poetik des klassischen Erzählens auf Johnson anzuwenden als darauf, wenigstens versuchsweise eine neue Poetik für ein neues Erzählen zu entwickeln. Sicher wird es auch dabei klug sein, nicht einfach unbesehen Johnsons Selbstaussagen zu folgen - aber man sollte sich auch nicht gegen einen Versuch verwehren, ihnen einen neuen, anderen Sinn abzugewinnen.


Titelbild

Kristin Jahn: "Vertell, vertell. Du lüchst so schön.". Uwe Johnsons Poetik zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006.
379 Seiten, 57,00 EUR.
ISBN-10: 3825351467

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