Poetik einer Playlist

Studs Terkel versammelt Musikerinterviews aus den Jahren 1958-2002

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rob Gordon zum Beispiel. Der Protagonist von Nick Hornbys "High Fidelity" ist ein leidenschaftlicher Verfechter des Mixtape. "Ein Mixtape zu machen ist eine heikle Kunst", sagt er, " Es gibt eine Menge Regeln. Sei vorsichtig. Es ist schwierig, mit den Worten anderer zu sagen, was du fühlst. Ein Mixtape machen ist wie Schluss machen: Schwierig und dauert länger als es den Anschein hat. Du musst mit einem Killer anfangen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann musst du ein bisschen besser werden, aber nicht zu gut, danach kühlst du es ein bisschen wieder runter. Zwei aufeinander folgende Lieder dürfen nicht von demselben Interpreten sein, es sei denn, du machst alles in Paaren."

Mixtapes sollte man Profis überlassen, nicht irgendwelchen Amateuren. Dann aber kann so etwas verantwortlich sein für eine Menge. Beziehungen, Freundschaften, kleine, subtile Glücksmomente. Es sind nicht nur die Lieder, die über ein geglücktes Mixtape entscheiden, sondern die Zusammenstellung, die Reihenfolge, etwas, das mehr ist, als die Summe der Lieder. Die iPodisierung der Welt hat daran nichts geändert außer Begrifflichkeiten: Mixtape heißt jetzt Playlist, ist ein wenig dynamischer und ungleich länger. Die Playlist ist ihrem Wesen nach eklektisch, alles kann und darf vorkommen, Hauptsache, die Zusammenstellung stimmt.

Stellen wir uns nun vor, uns würde ein Mixtape geschenkt. Von jemandem, der sein Leben lang Radiosendungen moderiert hat, der Bekanntschaften mit Leonard Bernstein und Mahalia Jackson pflegte. Der Musikgrößen aus allen Genres in seiner einzigartig onkelhaften Weise interviewt hat. Der seit frühester Kindheit eine Beziehung zur Musik unterhält. So jemand würde nicht einfach nur ein Mixtape machen. Es würde sich um ein Stück Herzblut handeln, um lange Abende vor dem Kassettendeck oder am Computer, um Zusammenstellungen, die immer wieder verworfen und neu zusammengebaut worden wären, ein vorsichtiges Sondieren der Stimmung des anderen, Playlist-Profiling. Wäre das nicht ein wertvolles Geschenk?

Stellen wir uns also vor, wir bekämen ein Mixtape von Studs Terkel. Wir würden uns am Abend hinsetzen, jedes Lied aufmerksam hören, würden einige Lieder kennen, vielleicht eines von Bob Dylan, vielleicht Louis Armstrong, möglicherweise Ravi Shankars Sitar wieder erkennen. Und dann? In neunzig Minuten passen 20 Lieder, mehr oder weniger. Wir würden nicht weiterwissen. Wir wüssten nicht, wer uns das was vorsingt oder spielt, und Studs Terkel hätte uns kein kleines Blatt dagelassen, auf dem er die Titel notiert hat, nur die Musik, und wir wären unbefriedigt und würden mehr wissen wollen über die Lieder, Titel, Interpreten, kulturelle Zusammenhänge, die Menschen hinter der Musik.

Das ist ungefähr der Punkt, an dem das Buch ins Spiel kommt: "Studs meets Music", das gesammelte Interviews enthält, die aus den Jahren 1958 bis 2002 stammen, also einen riesigen Zeitraum abdecken, der ungefähr so groß ist wie die Stilvielfalt der interviewten Musiker. Zum Beispiel Leonard Bernstein, Dizzy Gillespie, Janis Joplin - um nur mal die Bekanntesten zu nennen.

Ein gutes Mixtape ist zusammengestellt aus bekannten Stücken und völlig unbekannten, und wenn das Mixtape richtig gut ist, werden irgendwann die unbekannten Stücke zu denen, die man am besten kennt, man kauft sich die Platte, man hängt sich Bilder der Interpreten übers Bett.

Wir lesen das Buch und bemerken Studs Interviewstil, der sich liest, als wäre die Unterhaltung eine unter Freunden. Studs hat immer dieses onkelhaft-freundliche Gebaren, biedert sich aber nie an - und das, so scheint es, lässt den Interviewpartner vergessen, dass es im Raum auch noch ein Mikro gibt, das unnachgiebig alles aufnimmt. Es sind nette Plaudereien mit Musikern über Musik, und am Ende ist es so, dass sie tatsächlich etwas gesagt haben.

Aus Studs Wohnzimmer mit den Musikern zurückgekehrt hören wir Studs Mixtape noch einmal. Er hat uns nicht gesagt, welches Lied von wem ist, aber es lässt sich schon ein wenig mehr zuordnen, da, dieser komische Folk-Krächzer da, das könnte Woody Guthrie sein, und da, diese Arie, gesungen von Tito Gobi.

Aber da ist noch mehr. Das Mixtape ist kein einfaches Mixtape mehr. Wir haben jetzt Erklärungen bekommen, wir wissen, wer diese Musiker sind und wir wissen, warum sie wie ihre Musik machen. Wir haben sie besser kennen gelernt und können damit ihre Musik besser kennen lernen. Oder: Wir haben die Musik erklärt bekommen und nehmen jetzt mehr davon wahr, als hätten wir einen Schlüssel in die Hand bekommen, die Poetik einer Playlist. Einer wirklich exklusiven Playlist.

Denn nichts anderes ist "Studs meets Music". Kein einfacher Interviewband, sondern eine Musikpoetik. Und noch ein Stückchen mehr. Da sprechen zwei über die Liebe, Verzeihung für das Wort, über die Liebe zur Musik. Da treffen sich bei Studs Terkel durchaus Gleichgesinnte, da reden nicht einfach nur Interviewpartner, da reden Liebende zueinander über ihre Liebe. Und erklären, was ihre Liebe ausmacht. Natürlich ist folgendes ein geflügeltes Wort: "Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen." Geht vielleicht, wirkt aber immer lächerlich. Über die Liebe zur Musik reden ist etwas anderes. Wenn es wahrhaft Liebende sind, sind wie über Kitsch erhaben. Ein gutes Mixtape ist nie zufällig. Ein gutes Mixtape wird von einem Liebenden zusammengestellt. Wir fassen also zusammen: Auch "Studs meets Music" folgt dieser Poetik weitergereichten Herzblutes. Der einzige Nachtteil an dem Band ist, dass kein Mixtape beiliegt. Aber das kann man sich ja selber machen. Vor allem nach diesem Buch.


Titelbild

Studs Terkel: Studs meets Music. Studs Terkel im Gespräch mit großen Musikern des 20. Jahrhunderts.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
238 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3888974534

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