Mit fordernder Eleganz

Peter Hacks schrieb an Schriftsteller

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schriftsteller schreiben anderen Schriftstellern aus Freundschaft, aus Interesse am Austausch über Fragen der Ästhetik, wegen gemeinsamer Unternehmungen, zugunsten ihrer Karriere. Oft lassen sich die Motive kaum trennen. Der Anfänger, der einen berühmten Dichter um Kritik angeht und Förderung erwartet; der Netzwerker, der begriffen hat, dass für Erfolg zu Lebzeiten Beziehungen mindestens so wichtig sind wie es das Können ist; der Etablierte schließlich, der es genießt, seinen Rat und mehr noch sein Urteil bei jeder Gelegenheit zu streuen. Sie alle bevölkern die Briefausgaben, häufig in einer Person vereint, die vom Debütanten zum Großschriftsteller, man muss leider häufig sagen: nicht reift.

Von Peter Hacks liegt nun, ausgewählt und herausgegeben von Rainer Kirsch, ein großer Teil seiner Briefe an andere Autoren vor. Die meisten der oben beschriebenen Elemente finden sich in diesem Buch, doch in ungewöhnlicher Kombination. Der Anfänger wendet sich an Größen, und zwar gleich Thomas Mann und Brecht, mit einem Überlegenheitsgestus, der in der stilistischen Brillanz der Briefe sogar seine Rechtfertigung findet. Wenige Jahre später lobt ein kaum Dreißigjähriger weitaus Ältere in einem Ton, als hätten sie dankbar zu sein, von ihm überhaupt gelesen zu werden. Aber jedes Lob ist, mögen es die Empfänger dieser Briefe auch anders empfunden haben, aufgewertet dadurch, dass es nicht taktisch begründet ist.

Überhaupt findet sich nirgends Taktik in diesen Briefen. In seinem Staatsdenken, in Dramen, Essays und Erzählungen, rechtfertigt Hacks die Lüge, wo sie eine vernünftige, menschenfreundliche Ordnung befördert. Persönlich scheint Schwindelei für ihn keine Versuchung dargestellt zu haben, vermutlich aus Gründen des Stils. Die Kritik, auch an guten Freunden und möglichen Verbündeten, ist häufig derart pointiert, dass es zu einer Spitze kommt, die mit nur einem Minimum an gutem Willen auch hätte vermieden werden können. Entsprechend ist das Lob nie so dahergesagt, kommt es nie als beiläufig-dumpfes Einverständnis daher, sondern ist es stets ebenso begründet wie der Tadel und gerät deshalb so nützlich wie dieser.

Das ist heute ein Vorteil, auch wenn es für die Adressaten damals vielleicht anders wirkte. Nicht alle dürften so professionell reagiert haben wie der Herausgeber Kirsch, der auch Hacks' Kritik an seinen doch formal so durchdachten Werken in seine Auswahl aufnahm. Gerade weil Hacks sein Deutsch so beherrschte wie kaum ein Autor seiner Generation, entsteht über Jahrzehnte der Eindruck eines Kalküls noch im privatesten Text, noch im gekonnt Saloppen. Man liest das gerne, mit Genuss, mit Begeisterung sogar; es fragt sich aber, ob man gerne so angeredet würde. Hacks hat das, was sein früher Lehrmeister Bertolt Brecht über das Lernen schrieb, gerade dann auf die Spitze getrieben, als er sich in den sechziger Jahren in einer Wendung gegen das Epische Theater einem historisch reflektierten Klassizismus zuwandte: die Überzeugung, ein in der Praxis umsetzbares Argument, als einprägsame Sentenz, könne wirken. Man tritt in einen Bereich der Kälte ein, in dem literarisch, statt des guten Willens, allein das Können zählt, denn im vernünftigen Umgang mit den literarischen Mitteln zeigt sich ein vernünftiger Umgang mit der Welt.

Hacks' klassizistische Ästhetik ist häufig als realitätsfern abgetan worden. Doch besaß er nicht allein in Politik und Geschichte profunde Kenntnisse, er blieb sich, wenn er über Dramaturgie schrieb, stets theaterpraktischer Erfordernisse ebenso bewusst wie er Fragen der Kulturpolitik berücksichtigte. Seine Briefe lassen an eine andere Literaturgeschichte denken, als an die, die sich schon vor der Wende 1989/90 durchgesetzt hatte. In ihr würden Dramatiker wie Helmut Baierl, die heute bestenfalls in Fußnoten ein Nachleben als mediokre Parteidichter fristen, aufgewertet und es könnte sich zeigen, wie in ihrer Variante des Realismus Probleme der DDR weitaus durchschaubarer bearbeitet wurden als durch manch nur vermeintlich kühnen, sich oppositionell gebärdendem Avantgardismus, der doch tatsächlich Nebel erzeugte. Vielleicht trägt der Briefband dazu bei, Werke von hohem sprachlich-technischen Vermögen wiederzuentdecken; Hacks' anschauliche Analysen wecken Interesse, auch die Texte seiner heute fast vergessenen Adressaten wieder einmal zu erproben.

Der gegenwärtige Leser nimmt aber zunächst aufmerksamer zur Kenntnis, was Hacks über und an bekannte Autoren zu schreiben weiß. Dass Christa Wolf verächtlich abgetan wird, überrascht nicht; ihr herausgekehrter Subjektivismus ist Hacks' vernunftzentrierter Formkunst so fern wie nur möglich. Peter Weiss wird, wie schon aus den Essays bekannt, unterschätzt. Dagegen betont Hacks immer wieder, wie hoch er Arno Schmidt wertet, obgleich der doch formal betrachtet mit Klassik gar nichts zu schaffen hat. Vielleicht ist dies eine Gattungsfrage, billigt Hacks als Dramatiker dem Prosaautor Schmidt doch vieles zu und beurteilt er Theaterstücke wie die von Weiss strenger. Mit wachem Wertgefühl lobt er Irmtraud Morgners Romane, die kühn zusammenbringen, was scheinbar nicht zu vereinbaren ist, und durchschaut früh den Pseudo-Barock von Günter Grass.

Nimmt man Schmidt aus, sind diesen Schriftstellern lediglich Randbemerkungen zugedacht. Dagegen durchziehen Auseinandersetzungen mit zwei berühmten Gegnern den Briefwechsel. Die eine ist die mit Hans Magnus Enzensberger, wie Hacks ein Stilist von Rang und jahrelang entsprechend umworben. Über "verteidigung der wölfe" schreibt Hacks 1958, in für ihn typischer pointierter Paradoxie: "Ich kann mich da irren, aber ich halte sie für die besten Gedichte, die in Westdeutschland gemacht worden sind. Es ist aber leider, was Sie schreiben, dummes Zeug (ich werfe Ihnen Unkenntnis vor). Und es verhält sich ja nicht so, daß Artistik Unkenntnis entschuldigt; sie macht dieselbe vollends unentschuldbar."

Immer wieder lädt Hacks Enzensberger zu einer Aussprache ein, immer wieder stellt er die Mängel von dessen Argumentation heraus und erkennt dabei zuletzt hellsichtig dessen seitdem fast ein Halbjahrhundert erfolgreiche Taktik: zu provozieren, die scheinbare Radikalität durch ein sorgsam gesetztes Ungefähr aber gerade noch in jenen Grenzen zu halten, die gesellschaftliche Anerkennung einschließen. Hacks knappe, frühe Anmerkungen können auch hier Dissertationen ersetzen.

Etwas anders liegt der Fall bei Heiner Müller, den Hacks zunächst unterstützte und mit außerordentlichem Mut in den frühen sechziger Jahren auch gegen kulturpolitische Angriffe verteidigte. Müller hat sich in seiner Interview-Autobiografie "Krieg ohne Schlacht" gehässig anekdotisch über Hacks geäußert. Hacks' Briefe, von freundlicher Korrektheit auch dann noch, als Müllers Ästhetik mit der seinen schon lange nicht mehr übereinstimmte, zeigen die andere Seite. Zeitlebens erkannte Hacks den künstlerischen Wert von Müllers frühen Stücken an. Dessen Wendung gegen die Aufklärung, für Hacks romantischer Verfall, konnte und wollte er nicht folgen. Zum Bruch aber führte keine ästhetisch-ideologische Intoleranz von Seiten Hacks', sondern Müllers sozial kaum kontrollierbares Verhalten, das Hacks genau protokolliert.

Nicht nur in diesem Fall zeigt sich, wie sehr bei Hacks Schärfe und nobles Auftreten eine Einheit bildeten. Indem er von jedem seiner Adressaten die eigene, strenge Haltung verlangte, ehrte er sie, statt sie - wie es eine oberflächliche Lektüre nahelegt - herabzusetzen. Das mag häufig nicht verstanden worden sein, zumal es für die meisten der Empfänger eine hohe Anforderung gewesen sein dürfte, auf ähnlichem sprachlichen und intellektuellen Niveau zu antworten.

Gilt dies für fast alle der Briefe, so gibt es doch einen Bruch. Er deutet sich in den achtziger Jahren an und vollzieht sich mit der Wende 1989/90. Die DDR, für Hacks der fortschrittlichere Teil Deutschlands, existiert nicht mehr, und er sieht sich plötzlich in die kapitalistische Vorgeschichte der Menschheit zurückversetzt. Das hat zur Folge, dass die Werke politischer, polemischer werden; ein aggressiver Gedichtzyklus wie "Jetztzeit" wäre vorher kaum denkbar gewesen. Die gegenwartsbezogenen "Theaterstücke", die Hacks nun schreibt, sind schon durch ihre Gattungsbezeichnung abgesetzt von den vorangehenden "Dramen", die für eine höhere Gesellschaftsordnung entstanden.

In die Briefe zieht gleichzeitig und als Gegenentwicklung, ohne dass die sprachliche Spannung nachließe, ein anderer Ton ein. Die Ansprachen werden persönlicher. Anders als mit ganz wenigen Ausnahmen zuvor spürt man, dass da Freundschaft ist und nicht allein eine Kombination aus Virtuosität und inhaltlich bedingter Forderung. Ein Faktor mag das Alter sein, mit dem schon der junge Hacks, der selbstgewählten Rolle des Überlegenen entsprechend, kokettierte, das aber nun nicht nur ihn, sondern die gleichaltrigen Freunde betrifft. Gerade in ihrer Eleganz zeigen etwa die Briefe an den kranken Freund James Krüss ein Mitempfinden, wie es Hacks zuvor nicht formulierte. Ein anderer Faktor aber mag die Erkenntnis sein, nun in einer gänzlich feindseligen Umgebung zu leben, in der das marktorientierte Verhalten der Verlage nur eine Erscheinungsweise der politökonomisch bedingten Vernichtung alles Wertvollen im Kapitalismus ist. In solcher Lage geht man anders mit Gleichgesinnten um; die Briefe an Horst Tomayer aus den letzten Jahren zeigen etwa den neuen Gestus, mit dem Hacks Freundschaft zu formulieren vermag.

Die Briefedition, von Rainer Kirsch kenntnisreich zusammengestellt und kommentiert, ist so willkommen wie ergänzungsbedürftig. Zunächst einmal ist zu bewundern, wie der Eulenspiegel Verlag mit begrenzten Mitteln nicht allein eine umfassende Werkausgabe ermöglicht hat, sondern auch nach dem Tod des Autors 2003 in rascher Folge ausgewählte Briefe, Nebenwerke und Auswahlbände ediert. Es geschieht also das Maximum dessen, was heute möglich ist, um die Wirksamkeit von Peter Hacks nicht nur zu erhalten, sondern auch immer mehr Facetten seiner Arbeit zu erhellen.

Doch verweist gerade der Wert der Editionen darauf, was noch zu tun bleibt. Briefe sind eine dialogische Form: nur die eine Seite zu lesen, lässt viele Fragen offen. Eine Ausgabe der Hacks'schen Briefwechsel, die beide Seiten berücksichtigt, dürfte aber schwer möglich sein, solange viele der Korrespondenten noch leben - denn wer möchte sich schon gern als intellektuell unterlegener Stichwortgeber gedruckt sehen. So ist das hier Wünschenswerte vorerst nur in einem ausgewählten Briefwechsel wie dem 2004 erschienenen mit Heinar Kipphardt verwirklicht.

Nötig wäre auch eine umfassendere Kommentierung, als sie mit den gegenwärtigen Mitteln geleistet werden kann. So wären etwa die Konflikte, die dazu führten, dass Hacks 1958 aus dem Redaktionskollegium von "Theater der Zeit" austrat, wohl noch zu rekonstruieren. Freilich ist viel Arbeit nötig, um das Umfeld dieser Briefe zu erforschen; und viel Arbeit verlangt viel Bezahlung. Zum Glück unterhält die Gesellschaft für solche Zwecke einen umfangreichen Apparat: Der Briefband ist eine Aufforderung an die Literaturwissenschaft, sich endlich wieder dem vernachlässigsten Autor unter den Großen der letzten Jahrzehnte zuzuwenden.


Titelbild

Peter Hacks: Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller.
Ausgewählt, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Rainer Kirsch.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006.
367 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3359016394

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