Liebe, Philosophie und Politik

Antonia Grunenberg erzählt in einer Doppelbiografie die Geschichte der Liebe zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger

Von Stefan DegenkolbeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Degenkolbe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass ein Professor ein Verhältnis mit einer Studentin pflegt, ist nicht weiter ungewöhnlich. Auch dann nicht, wenn diese 18 Jahre jung und jener 17 Jahre älter und verheirateter Vater zweier Söhne ist. Das Ungewöhnliche an der Beziehung zwischen Martin Heidegger und Hannah Arendt ist einerseits, dass sie eine Jüdin war und er später aktiv den Nationalsozialismus unterstützte, und andererseits, dass diese Beziehung, die zwar 1933 zerbrach, Jahre nach dem Krieg wieder aufgegriffen wurde und bis zum Tod andauerte.

Antonia Grunenberg will mit ihrer Doppelbiografie den Blick auf dieses eigenartige Verhältnis von den Klischees befreien, die in bislang verschleierten. Dazu versucht sie, die handelnden Figuren in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext darzustellen. Sie zeichnet ein Bild der deutschen Gesellschaft in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, versucht Stimmungen und intellektuelle Entwicklungen zu beschreiben. Sie geht auch ausführlich auf den Lebensweg anderer, mit den beiden Protagonisten in Berührung stehender Personen ein, wie etwa Karl Jaspers, Hans Jonas oder Günther Anders.

An sich ist das ein überzeugender Ansatz, doch die Umsetzung ist wenig befriedigend. Grunenberg verwendet große Mengen an Material, unter denen sich allerdings nur wenig Unbekanntes und Neues befindet. Wesentliche Quellen sind die zum Großteil schon seit einigen Jahren veröffentlichten Briefwechsel von Arendt, Heidegger und anderen Personen aus ihrem Umfeld. So erweckt die ganze Studie in weiten Teilen den Eindruck, dass hier lediglich bekanntes Material zu einer neuen Form zusammengestellt worden sei. Dagegen wäre nicht einmal etwas einzuwenden, hätte man nicht die meiste Zeit das unangenehme Gefühl, es sei unter Zeitdruck mit einem Zettelkasten gearbeitet worden. Auch gegen Zettelkästen ist nichts einzuwenden, um genau zu sein: Niklas Luhman und Hans Blumenberg haben mit diesem Hilfsmittel Großartiges zustande gebracht. In diesem Fall aber macht sich der Zettelkasten dadurch bemerkbar, dass sich wieder und wieder Redundanzen im Text finden lassen. Wie oft gesagt wird, dass Heidegger mit "Sein und Zeit" schlagartig weltberühmt geworden sei, habe ich irgendwann aufgehört zu zählen. Andererseits wird trotz der Fülle an verwendetem Material die aufschlussreiche Szene nicht erwähnt, mit der die Beziehung zwischen Heidegger und Arendt begonnen hat und von der Hans Jonas in seinen vor drei Jahren veröffentlichten "Erinnerungen" erstmals berichtete. Insgesamt wirken in der Erzählung dieser außergewöhnlichen Lebensgeschichten alle Figuren seltsam blass, flach und leblos - so, als hätten sie gar kein erzählenswertes Leben gelebt.

Allerdings sollte man als sich hier als Rezent mit allzu harschen Urteilen zurückhalten. Denn die Idee, die Antonia Grünberg verfolgt, ist durchaus bedenkenswert. Das Zusammenführen der beiden Biografien vor ihrem geschichtlichen Hintergrund ist ein grundsätzlich fruchtbarer Ansatz, und es ist ärgerlich, dass nicht mehr herausgekommen ist, als eine der vielen Jubiläumsveröffentlichungen. Der 100. Geburtstag Hannah Arendts ist der offenkundige Anlass dafür, dass dieses Buch genau jetzt erschienen ist. Das dieses Jubiläum anstehen würde, hat man beim Piper Verlag sicher schon länger gewusst und hätte von daher die Veröffentlichung gründlicher vorbereiten können. Die oben erwähnten Wiederholungen und dergleichen Unzulänglichkeiten sind schließlich Fehler, die durch ein gründliches Lektorat behoben werden sollten.

Und auch die nicht geringe Zahl an Stilblüten wie "Im Unterschied zu Blücher, der sich mit dem Erlernen der englischen Sprache sehr schwertat, sprang Arendt mitten in die englische Sprache hinein" oder "Heidegger, der magische Denker und poetische Geliebte war in eine entfremdete Ferne gerückt" sind von einem gewissenhaften Lektor zu erkennen und dezent zu bereinigen.

Als Leser beschleicht einen schnell der Eindruck, dass der Autorin, hätte man ihr etwas mehr Zeit gelassen und die Veröffentlichung wirklich angemessen betreut, ihr ein sehr viel interessanteres, weniger sperriges Buch gelungen wäre. Schließlich verfolgt Antonia Grunenberg ein schlüssiges Konzept, glänzt durch hervorragende Kenntnisse speziell zu Hannah Arendt und ihrem Umfeld. Aber Jubiläen verlangen nun einmal nach den passenden Büchern; da bleibt keine Zeit noch nachzubessern.


Titelbild

Antonia Grunenberg: Hannah Arendt und Martin Heidegger. Geschichte einer Liebe.
Piper Verlag, München 2006.
468 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3492044905

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