Zurück, zurück in eine scheinheilige Welt

Alfred Hackensberger begibt sich auf die Suche nach Marokkos eigenem Weg und gerät mit "Arabien remixed" in eine Welt voller Gegensätze

Von Agnes KoblenzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Agnes Koblenzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sogar ein Schwein, zugegeben ein arabisches, kennt mittlerweile die Spannungen zwischen der arabischen und westlichen Welt.

"Schwein: ich möchte keinen Bolzenschuss. Wenn ich schon sterben muss, dann möchte ich, dass mir die Kehle durchgeschnitten wird. Ich möchte langsam ausbluten.
Der Metzger blickt verwundert.
Metzger: Aber die Kehle durchschneiden ist unmenschlich."

Also tötet es der Metzger auf die "menschliche" Art, doch vorerst muss das Schwein Todesängste ausstehen, während der Mann mit einer Ladehemmung kämpft.

Es wirkt erheiternd, wenn Hackensberger, der selbst drei Jahre in Marokko gelebt hat, in seinen unter dem Titel "Arabien remixed" gefassten Prosagedichten, Reden und Zwischenspielen die kulturellen Unterschiede zwischen den Moslems und dem Westen anschneidet. Doch in seinen Gedichten steckt auch viel Ernst. In dem Zwischenspiel "Das verrückte Schwein und der Clash of Civilizations" spricht Hackensberger nicht nur die in Deutschland nach wie vor aktuelle Debatte zum Thema Schächten an. Deutlich zwischen den unverschnörkelt schlicht formulierten Zeilen ist die Kritik an der US-amerikanischen Einmischungsstrategie und dem westlichen Helfersyndrom, die Hackensberger - wie bei dem gut meinenden Metzger - wegen ihrer Unwirksamkeit anprangert.

"Wollen Sie vielleicht, dass wir alle wieder auf dem Esel reiten?" "Nein, aber ein eigener Weg wäre nicht schlecht"

2003 reist Hackensberger nach Beirut, wo er als Journalist für die "Süddeutsche Zeitung", "Die Zeit" und die "Frankfurter Rundschau" über den Bombenanschlag auf Rafik Hariri, die "Zedernrevolution", den Koran und Hisbollah berichtet.

"hinter einem panzer versteckt/ oder am Boden liegen/ mit weste, helm/ einem mikrofon bewaffnet".

Allerdings nicht mehr so objektiv wie ein Berichterstatter schildert Hackensberger in diesem lyrischen Tagebuch die vom Westen her importierte libanesische Freiheit und das Streben des Landes nach einer vermeintlich besseren Identität - Mädchen in Fitnesscentern, "neue Nasen, Brüste, falscher Pferdeschwanz" - die im starken Widerspruch zu der konservativ-religiösen Basis des Landes stehen.

"diese unerbittlichkeit, diese bereitschaft/ zu sterben, woran man glaubt" (...)/ "nur allzu schade/ dass sie es nicht für sich selbst tun/ leider für irgendeinen gott".

Nicht nur den "Basisrhythmus I"- einen von insgesamt 14 Teilen des Buches - konstruiert Hackensberger als eine Gegenüberstellung des selbstzerstörerischen Libanons und des Genuss liebenden Marokkos, wenn er in stark atmosphärischen Bildern und mit viel Liebe zum Detail den Original-Sound der marokkanischen Schauplätze wiedergibt, während der libanesische Alltag "nur mit einem Hang zum Zynismus" zu ertragen sei. Überhaupt ist das ganze Buch als ein Vergleich zwischen dem orientalischen und dem abendländischen Lebensrhythmus angelegt, wobei sich Hackensberger offen auf der antieuropäischen Seite positioniert. Wie der Autor im Jahre 2005 entscheidet sich auch der Erzähler für eine Rückkehr nach Marokko und kehrt mit einem selbstkritischen Blick seiner allzu angepassten und zu gleichförmigen Heimat Deutschland den Rücken. Dies mag nicht zuletzt als Folge der politischen Konflikte geschehen worden sein - wie ein roter Faden ziehen sich auch der 11. September und der Bagdadkrieg durch das Geschehen.

"Zurück, zurück in eine scheinheilige Welt/ wo die Differenz noch einen Platz hat/ moderne Befehle nicht greifen/ Bausteine einer Welt/ die noch vor sich hin lebt/ in der es noch Geschichte gibt".

Einen Hang zum Sarkasmus hat der Erzähler, wenn er sich für das schwierige Leben in dem geliebten Land entscheidet, das er aber zugleich leiden sehen muss, wenn er dort bleibt. Daher ist die Melancholie, die alle Schilderungen der marokkanischen Hochzeiten, Begräbnisse, mit Innereien wie Herz, Leber und Hirn überfüllten Marktstände oder des mittlerweile technisch verstärkten Weckdienstes der Muezzine überschattet, zu seiner ständigen Begleiterin geworden.

Neben den symbolischen männlichen Freunden - namentlich wechselnden Barbersitzern, Zahnärzten, Boxern wie Adil, Hussein, Toufek oder Hashmi - fehlt es dem Erzähler nicht an reizenden Begleiterinnen, die ihn in die Geheimnisse der Magie und der arabischen Sexualität einweihen. Letzteren widmet Hackensberger das erheiternd-ernüchternde Kapitel "Liebe, Sex und andere Gepflogenheiten".

Neben dem Exzentriker David Herbert, dem Liebhaber der Einsamkeit Samuel Beckett, dem bis 1999 in Tanger lebenden US-amerikanischen Schriftsteller und Komponisten Paul Bowles und schließlich den vielen verachtungswürdigen Prominenten und neugierigen Touristen ist der Erzähler nicht der einzige in Tanger lebende Nicht-Araber. Doch nicht mit einem Ausländer wie ihm, sondern ausgerechnet mit dem 2003 verstorbenen marokkanischen Schriftsteller Mohamed Choukri hat ihn eine besondere Freundschaft verbunden. Mit "Der einzig wahre Schriftsteller von Tanger" hat ihm Hackensberger ein Denkmal gesetzt.

Nicht nur inhaltlich ist das Buch durch die unkonventionelle Vermittlung der arabischen Kultur etwas Besonderes. Auch optisch wirkt es durch die arabesk gestalteten Überschriften sehr anziehend. Mit dem "Intro", "Atmo", mehreren Zwischenspielen und vielen "Extras": der Playlist (Verzeichnis der als Backround gewähten Texte und Musiken), dem Fremdwörter erklärenden Glossar und einem Verzeichnis arabischer Sprichwörter ist die Gedichtsammlung wie ein Drehbuch konzipiert, das sich vorzüglich für eine szenische Aufführung eignet.

Hier betritt der Autor Hackensberger allerdings keineswegs Neuland. Sein Drehbuch "Tanger - Legende einer Stadt" wurde bereits mit Armin Mueller-Stahl verfilmt. Dass es mit "Arabien remixed" auch geschehen könnte, ist zumindest gut vorstellbar.


Titelbild

Alfred Hackensberger: Arabien Remixed.
Heinz Wohlers Verlag, Harrlach 2006.
175 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3937260129

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