Dramatisch, altmeisterlich, komisch

F. W. Bernsteins "Die Superfusseldüse" bringt "19 Dramen in unordentlichem Zustand" auf die Bühne

Von Lino WiragRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lino Wirag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

F. W. Bernstein hat leider nie so viel öffentliche Aufmerksamkeit erfahren wie Robert Gernhardt und F. K. Waechter, mit denen zusammen er schon zu Studentenzeiten als Triumvirat der Nonsenskomik reüssierte. Das ist ungerecht, denn Fritz Weigle (wie F. W. Bernstein im bürgerlichen Leben heißt) kann auf ein ebenso vielfältiges grafisches, lyrisches, essayistisches und nun auch dramatisches Schaffen zurückblicken wie seine zwei (bereits verstorbenen) Kollegen. Für das Bändchen "Die Superfusseldüse" hat er den Fundus seines jahrzehntelangen literarischen Wirkens durchkämmt: Nur drei der insgesamt neunzehn Dramen sind Erstveröffentlichungen, die anderen erschienen in Sammelbändern und Zeitschriften, oder wurden, wie es sich für dramatische Werke gehört, bereits (ur)aufgeführt.

Der Band avisiert "19 Dramen in unordentlichem Zustand". Moment einmal - Dramen, unordentliche gar? Das ist natürlich Ironie, ist Bernsteins grafisches wie literarisches Werk doch immer von einem augenzwinkerndem Over- oder Understatement gezeichnet. Will man es germanistisch und genau nehmen, sind die komischen Preziosen der "Superfusseldüse" sogar eher Dramolette, Drämchen gar. Am besten sind sie mit den gleichen Adjektiven zu beschreiben, die auch auf die Person des Autors zutreffen: bescheiden, dabei immer hell, schnell und intellektuell. Wobei bescheiden hier nicht 'armselig' meint, sondern 'unprätentiös': Die schlackenlosen Einakter (oft nur einzelne Szenen) reißen ihre Handlung samt Klimax mitunter auf drei Seiten ab - um dann ebenso unvermittelt abzubrechen. Und das stets zum Nutzen und zur Freude des Lesenden, dem jegliches langweilende Beiwerk erspart bleibt.

Doch was ist drin, in den unordentlichen Dramen? Wer Bernsteins Frühwerk kennt, weiß, dass er das Verfahren der Parodie, den komischen 'Gegengesang', wie kaum ein anderer pflegt und beherrscht. Bereits im ersten Drama (der titelgebenden "Superfusseldüse") fällt eine der Figuren ("Der Autor") in den vertrauten Faust-Sound zurück: "Habe nun - pfffff! - so manches Stück / durchaus verfertigt auf gut Glück. / Und dachte nun, da wird was draus: / Proben, Premiere, Buh und Applaus!". Da lassen "die Verehrer" natürlich nicht lange auf sich warten: "Meister - Ihr werdet entschuldigen! Wir kommen nur, um kurz zu huldigen / Ihr seid der Größte im Revier - / kriegen wir jetzt endlich unser Bier?"

Mit der unerwarteten Wendung, dem Einbruch des Trivialen ins Hehre, der plötzlich eingezogenen Fallhöhe, kippt das (Bühnen-)Geschehen ins Komische. So unverfangen Bernsteins daherzudichten scheint, so kunstvoll und anspielungsreich richtet er sein literarisches Menu an: Konvention wird angedeutet, um sie zu brechen (im Nachwort schreibt Bernstein, er habe die "Superfusseldüse" nur verfasst, "um Eindruck bei der Verlegerin zu schinden"). Dabei setzen die Dramen auf Selbstironie und Verspieltheit, Grundbedingungen für die Verfertigung des (vermeintlich) Leichten.

Bernsteins tour de comique operiert mit dem satirischen Verfahren des Zitierens und Anspielens; dabei muss ein bildungsbürgerliches Grundwissen besitzen, wer alle Hinweise verstehen will. Im zweiten Drama des Bändchens messen sich beispielsweise Wolfram von Eschenbach, Tannhäuser und Hugo von Hofmannsthal [sic!] beim Sängerkrieg auf der Wartburg. Und zwar im Aufsagen mittelhochdeutscher Ablautreihen. Die anwesenden "zween Schiedsrichter" urteilen milde ("Besonders die Prägnanz der O-Hochstufe. Und die verspielte Pointe des Schlussrufes! Mhm!"), bis Tannhäuser den Dichterwettstreit eskalieren lässt: "Der Frühling ist ein fetter Mann, / so recht aus Bier und Butter. / Er hat ein rotes Köpfchen an / als wie der Doktor Lutter." Sein Beitrag wird abgelehnt, und Weigle-Bernstein coupiert die dramatische Handlung so wenig normgerecht wie möglich: "Hinter einem Haus kommt ein schwarzes Pferd hervor, geht über die Bühne. Das Licht erlischt. Aus der Ferne Geschrei." Finis operis.

Besonders Goethe und Schiller haben es ihm, Bernstein, angetan; bietet sich doch gerade die eingefahrene (und damit eingleisige) Sichtweise der Weimarer Dioskuren an, um aufgemischt zu werden. Folgerichtig also, dass Goethe-Schiller "in wechselnden Denkmalsposen" agieren, sich über ihre Xenien kaputtlachen, und Goethe in einem der Stücke 'seinem' Eckermann die Besetzungsliste des (tatsächlich existierenden) Stückes "Hanswursts Hochzeit" vorlesen darf ("Schweinigel, Scheißmaz, Lauszippel"). Ein Stück im Stück sozusagen, da darf auch ein Cento aus Klassikerzitaten ("Warten auf Goethe") nicht fehlen.

In der Welt der Bernstein'schen Dramen stehen die Dinge schief zueinander, obwohl sie für die Beteiligten gerade aussehen; literarischer Nonsens lebt gerade davon, dass die vom Autor erschaffene, scheinbar unsinnige Welt für ihre Bewohner normative Gültigkeit besitzt: Da muss ein Zugereister seine Dialektkenntnisse beweisen, um einen "Kommunizierschein III" ausgestellt zu bekommen, in einem anderen Stück fallen "die Scheißkerle" bei "Familie Lediglich" ein, um in deren Wohnzimmer mehrere Kübel mit Fäkalien zu verbrennen. Hinterher wird natürlich alles ordentlich quittiert. Am schönsten aber - weil am wildesten - ist die "pornographische Zauberposse" mit dem Titel "Im Schülerklo", die mit der Regieanweisung aufwartet: "Alles vögelt durcheinander. Besonders der Lehrer."

Wer Bernsteins (vor allem auch lyrische) Arbeiten kennt, dem wird auffallen, dass sich mit den Jahren ein ebenso typisches wie sympathisches Repertoire an Stilmitteln herausgebildet hat. Zu nennen wären beispielsweise die Bernstein'sche Interjektion ("Nicht drängeln!"), der Bernstein'sche Unerwartete-Abbruch ("Und was wird nun aus meinem Frühstück?" als letzter Satz eines Stückes), die Weigle'sche Reimklammer ("Sushi vom feinsten / was meinsten?") und Vokaldehnung ("Vogt. Vohoogt!"). Und zu guter Letzt die Bernstein'sche variierte Wiederaufnahme, hier am Beispiel des bereits erwähnten Dramas "Herr Lediglich und die Scheißkerle", in dessen Verlauf Frau Lediglich immer wieder mit variierten Regieanweisungen konturiert wird: "Frau L. kriegt einen Schreikrampf währenddessen. [...] Frau L. schreit fortwährend weiter. [...] Frau L. schreit und schreit egalweg. [...] Frau L.: NEIN! [...] Frau L. kriegt einen Weinkrampf [...]Frau L. hat Weinkrampf. [...] Frau L.: Erwin, ich glaube, mir wird schlecht. Sie speit."

Und nun, Herr Bernstein, was folgt nun? "Dann ist Ruhe im Objekt." Ach so. Einverstanden.


Titelbild

F. W. Bernstein: Die Superfusseldüse. 19 Dramen in unordentlichem Zustand.
Verlag Antje Kunstmann, München 2006.
199 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 388897450X

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