Liebestöter

Carolin Biewer schafft selbst Shakespeare

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein grandioses Thema, ohne Zweifel. Man betrachte nur die Begriffe und Namen, die hier zusammenkommen: Liebe, Sprache, Shakespeare und Komödien. Leidenschaft und dann auch noch deren Semantik und Pragmatik. Mit solchen Büchern kann man durch wildfremde Fußgängerzonen wandeln und die Aufmerksamkeit von jüngeren und älteren Damen auf sich ziehen, ohne allzu schnell als Wüstling zu gelten. Wer so etwas liest, kann kein wirklich schlechter Mensch sein, so ein Buch zeichnet aus, wie auch ein solches Thema.

Daraus sollten sich doch in jedem Fall Funken schlagen lassen und das wie von selbst. Stattdessen steht, und ich darf das zitieren, im "Vordergrund" der Studie von Carlon Biewer, die all diese schönen Stichwörter im Titel führt, "eine linguistische Analyse der Sprache der Liebenden in den Komödien AYL, Ado und TN, die sowohl die Besonderheiten des Frühneuenglischen als auch psychologischer Konzepte der Frühen Neuzeit berücksichtigt."

Aha. Nun muss man keine Angst um Shakespeare haben. Aber hat er es verdient, dass jemand aus "As You Like It" ein heulendes "AYL" macht, aus "Much Ado About Nothing" ein "Ado" und aus "Twelfth Night" "TN", was auch die Abkürzung für einen Sprengstoff sein könnte, beinahe zumindest? Wohlgemerkt, und alle Abkürzungen sind auch noch kursiv gesetzt, als könnte man sie sonst übersehen. Nun ist das nicht lustig gemeint, sondern gilt als Wissenschaft. Auch wenn es sich nur um eine einigermaßen lustlose Wortfeldstudie handelt, die in seligem Einerlei Wortfelder wie "face", "passion", "heart", "liver" und "brain" abklappert, um am Ende, nach einem Seitensprung zur Paarkommunikation nach Ernst Leisi, zu der Behauptung zu kommen, dass der reifere Shakespeare es geschafft habe, über die Spezialcodes von Liebespaaren deren Individualisierung zu betreiben.

Es ist ohne Zweifel wissens- und bedenkenswert, dass Shakespeare konzeptionell und sprachlich ein Kind seiner Zeit war und kein exzeptionelles Genie, das auf seine eigene Gegenwart einigermaßen gut verzichten konnte. Insofern ist ein Rückgriff auf die anthropologischen Vorstellungen der Frühen Neuzeit aufschlussreich, um das Phänomen Shakespeare oder wenigstens seine Texte besser zu begreifen. Schwierig ist es aber, Texte von Intellektuellen, ja wissenschaftliche Abhandlungen zum direkten Referenzraum eines Theaterautors zu machen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob das so überhaupt funktionieren kann. Vor allem dann, wenn sie lediglich der Einordnung dienen und nicht dazu, den Handlungsentwurf und die Konfigurationen zu erklären, die Shakespeare installiert.

Spätestens nach 120 Seiten Wortfeldbeschreibung ist dann nämlich nichts mehr von der Funktion übrig, die das Auge, das Gesicht, das Erröten oder die enge semantische Bindung von Liebe und Mahlzeiten haben. Spätestens dann bleiben nur noch kommentierte Wortlisten, die zwar von der Leidenschaft zu handeln vorgeben, sie aber dem Text mit aller wissenschaftlichen Gewalt austreiben. Soll heißen: Die Sprache der Liebe ist dieser Studie nicht zu entnehmen. Aber nicht deshalb, weil sie wissenschaftlich, analytisch oder linguistisch vorgeht, sondern aus dem einfachen Grund, dass sie genau das nicht macht. Dazu gehörte nämlich, nicht nur den Einsatz von Begriffen lokalisieren und benennen zu können, von welchem intellektuellen Höhenkamm der Renaissance diese Vorstellung stammt (und wenn es sich nicht um Höhekämme sondern um die textlichen Gebrauchstäler der Zeit handelte, wäre auch das zu problematisieren). Dazu gehörte vor allem eine an Funktionen und Variationen orientierten Analyse, die den Text mit seinen Subtexten zum Sprechen bringt.

Dabei soll hier keineswegs einem antianalytischen Verfahren das Wort geredet werden, das in Bausch und Bogen über Texte fährt und sie wunderbar nacherzählt, vielleicht gar zum Klingen bringt, ohne sich die Mühe im Wortdetail zu machen. Ganz im Gegenteil. Auch das hätte mit Wissenschaft nichts zu tun. Ein methodisch belastbares, analytisch wie synthetisch, stilistisch dem Gegenstand angemessenes wie systematisch vorgehendes Verfahren hingegen beschränkte sich nicht damit, die Texte auseinander zu schlagen wie einen alten Schrank und nachzusehen, aus welcher Fabrik die einzelnen Teile kommen. Stattdessen sollten Texte nach ihrer internen Organisation, ihrer Inszenierung, ihren Elementen, ihren Traditionsbeständen, ihrem - eine schöne Wendung - "Sitz im Leben" und nach ihren Funktionen befragt werden.

Und das bleibt Biewer hier schuldig. Ihre Studie pendelt zwischen Kulturgeschichte, Literaturgeschichte und historischer Linguistik, ohne eines dieser Fächer wirklich zu bedienen. Auf der Strecke bleibt dabei der Erkenntnisgewinn. Dass Shakespeare an Renaissance-Gedankengut und antiken Vorbildern orientiert war? Dass seine späteren Komödien besser geschrieben sind als die jüngeren? Geschenkt. Hinzu kommt, dass Biewer zwar die Texte zu den antiken Traditionen und den zeitgenössischen Psychologien berücksichtigt, sich aber um die nähere literarische Nachbarschaft kaum kümmert. Die aber ließe das gesamte Begriffsspektrum, das Biewer mustert, noch weniger originell erscheinen. Shakespeares Schönheitskataloge sind bestes Mittelalter, die Sinnlichkeit der Texte (wenn nicht teilweise Derbheit) hat gleichfalls ihre Vorbilder - und die Fälle, die es mit diesen Paargeschichten zu lösen gilt, schließen eng an mittelalterliche Fragestellungen an.

Wie auch anders? Dass Shakespeares Texte aber darüber hinausgehen, wird spätestens dann klar, wenn der Blick auf die textlichen Inszenierungen fällt, also auf die Textstruktur, mit denen Varianten vorangetrieben und Lösungen ausprobiert werden. Hier erfahren sie eine Dynamik und einen Variationswitz, der ihnen nicht zuletzt ihre Haltbarkeit sichert.


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Carolin Biewer: Die Sprache der Liebe in Shakespeares Komödien. Eine Semantik und Pragmatik der Leidenschaft.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006.
358 Seiten, 54,00 EUR.
ISBN-10: 3825351920

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