Mutter Courage und Kommissar Charitos

Zum 70. Geburtstag des griechischen Erfolgsautors Petros Markaris

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So wie Henning Mankell will auch der griechische Autor Petros Markaris in seinen Krimis nicht nur eine spannende Geschichte erzählen, sondern überdies auch die Schattenseiten der Gesellschaft ausleuchten. Und so wie Mankells Kurt Wallander ist auch Markaris' Protagonist Kostas Charitos ein etwas kauziger, zur Eigenbrötlerei neigender Ermittler. Charitos schmökert mit Vorliebe in Lexika, hat ein zwiespältiges Verhältnis zu Frauen, obwohl er seine Tochter abgöttisch liebt, und ist ein exponierter Gerechtigkeitsfanatiker.

Die Liebe zu seiner Tochter steht auch im Mittelpunkt des jüngsten Romanes, der im April in deutscher Übersetzung erscheint (wie alle Werke bei Diogenes). In "Der Großaktionär" gerät Katerina Charitos in die Hände von brutalen Terroristen.

Petros Markaris interessiert die "Globalisierung der kriminellen Tätigkeit, die parallel zur wirtschaftlichen Globalisierung läuft." Die Luft ist stickig, die Hitze unerträglich, die Müllabfuhr streikt, die Straßen sind dauerverstopft, und hinter den Fassaden blühen Korruption und Missmanagement in seinen Kriminalromanen ("Hellas Channel", "Nachtfalter", "Live"), die im urbanen Moloch Athen angesiedelt sind. Eine Stadt, in der der Autor seit vielen Jahren lebt und mit der ihn eine Art Hassliebe verbindet.

"Eines schönen Tages, ich schrieb gerade ein Drehbuch für eine Fernsehserie, da tauchte vor meinem geistigen Auge ganz deutlich das Bild einer typischen, kleinbürgerlichen griechischen Durchschnittsfamilie auf. So kam diese Konstruktion zustande, aus einer Verbrechens- und einer Familiengeschichte, die parallel, nicht ineinander verflochten, erzählt werden", erklärte Markaris über das Entstehen seines Kommissars Charitos.

Petros Markaris, der am 1. Januar 1937 in Istanbul als Sohn einer Griechin und eines Armeniers geboren wurde, hat nach dem Volkswirtschaftsstudium als Drehbuchautor (zusammen mit Theo Angelopoulos), Übersetzer (Goethe, Brecht, Thomas Bernhard) und Dramatiker gearbeitet.

"Mutter Courage sah ich 1957 im Berliner Ensemble, ein Jahr nach Brechts Tod. Ich war theaterkrank, habe alles gesehen. Nach der ,Mutter Courage' wusste ich: das ist das, was ich gern machen möchte", berichtet Markaris über sein künstlerisches Initialerlebnis.

In elf Sprachen sind seine Bücher mittlerweile übersetzt worden, allein im deutschsprachigen Raum gingen 220.000 Exemplare über die Ladentische. Athener Lokalkolorit, der stets missmutige, aber nicht unsympathische Protagonist Charitos, das Gespür für spannende, lebensnahe Geschichten im Normale-Leute-Milieu - das ist das Erfolgsrezept von Petros Markaris, einem überzeugten Mittler zwischen deutscher und griechischer Kultur, der 2004 während der Olympischen Spiele in Athen höchst lesenswerte Kolumnen für die "Neue Zürcher Zeitung" verfasste.

Seine biografischen Wurzeln verleugnet der kosmopolitische Erfolgsautor indes nicht: "Ich habe den Kontakt zu meiner Geburtsstadt aufrechterhalten. Ich fahre drei bis vier Mal im Jahr nach Istanbul. Ich finde Istanbul eine spannende, eine ausgesprochen erotische Stadt." So emphatisch urteilt nicht einmal Nobelpreisträger Orhan Pamuk über Istanbul.


Titelbild

Petros Markaris: Der Großaktionär. Roman.
Übersetzt aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger.
Diogenes Verlag, Zürich 2006.
480 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257861559

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