Elegante Einführung in eine virtuelle Disziplin

Martin Schulz' überzeugend parteiliches Buch "Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft"

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Einführung in die Bildwissenschaft? Der so selbstverständlich daherkommende Untertitel des Buches führt zu einer ersten Irritation, denn wenn man nach einer so lautenden Wissenschaft in den akademischen Institutionen sucht, stellt man schnell fest, dass es sie als solche gar nicht gibt. Seit der Proklamation des iconic oder pictorial turn vor etwa einer Dekade wird allerdings von verschiedenen Seiten verstärkt versucht, die diversen unterschiedlichen bildtheoretischen Diskurse sämtlicher akademischen Disziplinen in einem interdisziplinären Projekt "Bildwissenschaft" zu versammeln. Der jüngst von Klaus Sachs-Hombach herausgegebene und im Suhrkamp Verlag erschiene Band "Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden" veranschaulichte dabei eindrucksvoll die Schwierigkeit des Unterfangens, sehr verschiedene Herangehensweisen und Verständnisse von Bildern, wie sie etwa Kunstgeschichte, Medizin und Mathematik besitzen, mittels eines semiotischen Ansatzes sinnvoll zusammenzuführen.

Martin Schulz folgt dagegen dem Gedanken Hans Beltings, den dieser vor allem in dem Werk "Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft" formulierte, die tiefen Klüfte zwischen den unterschiedlichen Bildgattungen und -zugängen durch eine historisch-anthropologische Perspektive zu überwinden. Während bei Sachs-Hombach die Zugänge und Methoden der einzelnen Wissenschaften unsynthetisiert nebeneinander stehen bleiben, gelingt es Schulz in überzeugend klarer Weise den mittlerweile unübersehbaren Wust der bildtheoretischen Diskurse mit Hilfe der Übernahme Beltings sich gegenseitig bedingenden und ineinander überfließenden zentralen begrifflichen Kategorien "Bild", "Körper" und "Medium" nicht nur zu ordnen, sondern auch sinnvoll in Bezug zu setzen. Dass dabei die kunst- und medienphilosophischen Debatten klar im Fokus des Buches stehen, ist weniger Anzeichen eines Mangels als einer notwendigen Schwerpunktsetzung. Die knappe, präzise und distinktive Darlegung komplexer bildtheoretischer Konzepte von Platon über Merleau-Ponty bis zu zeitgenössischen Bild- und Medientheoretikern wie Gottfried Boehm, Reinhardt Brandt, Niklas Luhmann oder Marshall McLuhan übersteigt bei weitem den Charakter einer "Einführung", da diese fließend in die programmatische Argumentationslinie einer historisch-anthropologischen Bildwissenschaft übermündet.

Die Anschlussfähigkeit etwa von naturwissenschaftlichen Bildbegriffen wird durch das vertretene Konzept ohnehin deutlich. Dieses ist jedoch keineswegs unproblematisch. Schulz selbst bezeichnet es in der Einleitung des Buches als "unordentlich" und "undiszipliniert", da es nicht über die klinische Hermetik etwa des semiotischen Ansatzes verfügt. Als Nachteil der flexiblen Ausrichtung bleiben die Schlüsselbegriffe "Bild", "Körper" und "Medium" ohne große Trennschärfe: So wird wie bei Belting der Körper hier zugleich als Bildmotiv, Ort der Entstehung innerer Bilder, Platz für Körperbilder wie unter anderem Tatoos als auch als Bildkörper, ein materielles Medium für Bilder der Außenwelt verstanden. Dabei ist es ersichtlich, dass eine Leinwand nicht ohne weiteres mit einem Torso und dieser nicht mit dem Gehirn gleichgesetzt werden kann, sodass weitere begriffliche Differenzierungen wünschenswert wären. Doch die kritisch als sprachspielerischer Baukasten ansehbare Verkettung von Bild, Körper und Medium ermöglicht immerhin eine offene Sichtweise auf die Bilder unter einer Perspektive, welche das Projekt "Bildwissenschaft" nicht von vorneherein als unmöglich erscheinen lässt.


Titelbild

Martin Schulz: Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2005.
163 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3770542061

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