Schwestern in einer bernsteinblauen Krise

Silke Scheuermann legt ihren ersten Roman vor

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bernsteinfarben sind die bevorzugten Getränke, die Ines, eine erfolgreiche Malerin um die 35, in sich hineinschüttet. Sie säuft bis zum Umfallen und wird aufgefangen von ihrem Freund Kai, einem Fotografen, und ihrer Ex-Affäre Carol, mit der sie eine Nacht verbrachte, an die sich Ines zwar nicht erinnern kann, die aber Carol das Herz gebrochen hat. In diesen Scherbenhaufen an Beziehungen tritt die Ich-Erzählerin, jüngere Schwester von Ines, eine Journalistin, die gerade von Rom nach Frankfurt gezogen ist. Sie begreift erst allmählich, was ihrer bewundert-gehassten Schwester widerfährt. Und obwohl sie die "Prinzessin" nicht ausstehen kann, in deren Schatten sie seit 30 Jahren steht, fühlt sie sich auf eine diffuse Weise verpflichtet, zu helfen. Was dazu führt, dass sie sich in Kai verliebt und, während Ines nach einem Unfall im Krankenhaus liegt, mit ihm schläft.

Silke Scheuermann, als Lyrikerin bereits mit vielen Preisen und Stipendien ausgezeichnet und ebenfalls mit ihrem Erzählband "Reiche Mädchen" aufgefallen, legt mit "Die Stunde zwischen Hund und Wolf" einen erstaunlich nuancierten Roman vor. Das Beziehungsgeflecht der Figuren wird punktgenau ausgelotet, Bilder und Szenen fügen sich zwar ineinander, verweigern sich aber einem Gesamtbild, was im Titel bereits angelegt ist.

"Die Stunde zwischen Hund und Wolf" ist der Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft, das, was wir gemeinhin Gegenwart nennen. Hier wird sie stilsicher vorgeführt, ein Hin und Her wie die irritierenden Muster sind auch die nächtlichen Streifzüge durch die Stadt von einer Wohnung zur anderen: Innenlandschaften werden durch Äußeres vage angedeutet. Die Geschichte ist stimmig und ausbalanciert, dabei genussvoll zu lesen. Schließlich bringt die Ich-Erzählerin, die sich ihrer Schwester nicht nur durch das Tragen von deren Kleidung annähert, Ines in eine Entzugsklinik im Taunus.

Geklärt scheint damit nichts, Anspielungen auf den weiteren Verlauf der Handlung, der Beziehungen sind ausgespart. Genau das ist eine der Stärken des Romans. An den richtigen Stellen lässt die Autorin alles offen, setzt hier ein Detail, bringt dort eine längere Szene, die sich nahtlos ineinander fügen. Die Figuren agieren ziellos, zwar haben sie Jobs, die ihnen gefallen, aber Emotionen und soziale Kontakte sind schwierig, holprig, Kommunikation bleibt an der Oberfläche und berührt nicht das Wesentliche. Sie alle spielen ihr Spiel, so scheint es, bei dem niemand gewinnen kann. Ihre Bedürfnisse bleiben unausgesprochen und damit ungeklärt. Diese Atmosphäre ist spielerisch eingefangen und sprachlich sicher und dicht umgesetzt.

Silke Scheuermann gehört zu den besten Autorinnen ihrer Generation, das hat sie mit diesem Roman ein weiteres Mal unter Beweis gestellt.


Titelbild

Silke Scheuermann: Die Stunde zwischen Hund und Wolf. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
174 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3895613711

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