Das Museum als Erlebniswelt

Eine Studie von Brigitte Kaiser über "Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen"

Von Julia NovakRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Novak

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Museen verstehen sich längst nicht mehr als puristische, von wissenschaftlicher Begrifflichkeit bestimmte Bildungseinrichtungen. Ein verändertes Freizeitverhalten, geprägt durch eine erlebnisorientierte "Eventkultur", setzt neue Akzente im Ausstellungswesen. Faktoren wie Besucherorientierung und Kommerzialisierung gewinnen zunehmend an Bedeutung und diktieren Prämissen bei Zielbestimmung, Inhaltsauswahl und Gestaltungsmethoden. Als Folge lässt sich eine Abkehr von rein objektorientierten Ausstellungen beobachten - zugunsten von "inszenierten Erlebniswelten". Auch wenn sich der kulturell ausgerichtete Museumsbetrieb damit an Präsentationsstrategien kommerzieller Themenparks annähert, so grenzt er sich in Auftrag und Umsetzung doch stark davon ab.

An diesem Punkt setzt die Studie von Brigitte Kaiser an. Sie untersucht pädagogische und gestalterische Aspekte von Ausstellungsinszenierungen unter kommunikativen sowie metakommunikativen Gesichtspunkten. Der Fokus liegt dabei auf kulturhistorischen Ausstellungen, die seit den 1980er Jahren durch zeitgenössische Formen der Darstellung auf großes Besucherinteresse stoßen.

Die umfassende und fundierte Arbeit Kaisers liefert wertvolle Impulse auf einem Gebiet, das in der deutschen Museumsforschung bislang unterrepräsentiert ist. Strategien musealer Präsentation unter dem Blickwinkel der Ausstellungsgestaltung und -inszenierung werden in der Fachliteratur oft zugunsten inhaltlicher und objektbezogener Belange vernachlässigt. Angesichts der Tatsache, dass kulturhistorische Ausstellungen ihre öffentliche Wirkung in zunehmendem Maß vor allem durch die spezifische Eigenart der Darstellung beziehen und nicht daraus, "dass sie wissenschaftlich fundiert erscheinen", scheint das Buch überfällig.

Die Untersuchung gründet auf einer breiten theoretischen Auseinandersetzung mit museologischen Parametern. Im zweiten Teil der Studie nimmt Kaiser eine thematische Eingrenzung vor und fokussiert sich auf die Betrachtung musealer und kommerzieller Inszenierungen des Mittelalters. Diese vergleichende Darstellung unterschiedlicher Konzeptionen erfährt eine weitere Zuspitzung durch die kunstpädagogische Analyse der Ausstellung "Kaiser Heinrich II. 1002-1024". Die Analyse bezieht die theoretischen Darlegungen auf die Praxis und zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass pädagogische und gestalterische Fragestellungen im Mittelpunkt stehen.

Den Einstieg in das Thema bilden Überlegungen zur Erlebnisgesellschaft. Der Trend zu einem stark freizeitorientierten Verhalten und einer "konsumistischen Spielart der Kulturaneignung" ist unübersehbar. Auf die Praxis des Museumsbetriebs bezogen kristallisiert sich heraus, dass "die überwiegende Mehrheit der Besucher eher Abwechslung als Systematik sucht, eher Unterhaltung als Wissensvermehrung. Daueranregung und Neugiersättigung sind für die Besucher wichtiger als logisch-rationales Nachvollziehen von Exponatreihungen oder kontemplativ-sensitivierendes Betrachten von Objekten."

Doch wie lässt sich dieses Bedürfnis der Besucher mit dem gesellschaftlichen Auftrag eines Museums vereinbaren, das Geschichtserfahrung ermöglichen soll? Kaiser plädiert für ganzheitliche Konzepte: "Historisches Verständnis entsteht weder durch die bloße Zurschaustellung einzelner Objekte noch allein durch erläuternde Texte, sondern entsteht aus dem Erlebnis des gesamten sinnlichen Beziehungsgeflechts, in das die Exponate eingebunden sind." Hier sieht die Autorin ein großes Potential für Museumspädagogen. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen könnten entscheidende Impulse bei der Ausarbeitung einer Ausstellung liefern. Kaiser regt eine enge Kooperation zwischen fachwissenschaftlichem Kurator, Gestalter und Museumspädagogen bereits in der Konzeptionsphase an, um bei der Umsetzung den Bedürfnissen heterogener Besuchergruppen gerecht werden zu können. Aus der interdisziplinären Zusammenarbeit könnten Inszenierungen erwachsen, die es dem Besucher erlauben, Bezüge und Vernetzungen zu anderen Exponaten, Sachverhalten oder Ereignissen herzustellen. Basierend auf den erkenntnistheoretischen Thesen des Konstruktivismus spricht sich Kaiser für die Offenheit der Interpretation aus. "Die angemessene Form der Geschichtsdarstellung ist die offene Erzählung." Erreicht werden kann dies durch Ausstellungsgestaltungen, die "die Imaginationskraft aktivieren, jedoch keine starren Bilder entwerfen, sondern Leerstellen zum Weiterdenken eröffnen".

Welche Darstellungsformen bieten sich dafür an? Kaiser stellt vier kommunikative Strategien vor und gliedert sie unter den Gesichtspunkten Anschaulichkeit, Handlungsorientierung, Ganzheit und Differenzierung. Diese faktische Aufbereitung erfährt eine sinnfällige Ergänzung durch einen detaillierten Fragenkatalog. Die Auflistung vereint zielführende Fragestellungen, die für jede Ausstellung relevant und bei der Konzeption von unmittelbarem Nutzen sein können. Daran knüpfen sich konzeptionelle Überlegungen zu besucherorientierten Präsentationen. Kaiser unterscheidet zwischen einem narrativem Ansatz, bei dem die Darstellung der Historie und der Fachwissenschaft im Vordergrund steht, einem künstlerischen, von einer subjektiven Handschrift geprägten Ansatz sowie einem partizipativen Ansatz, der auf Integration des Publikums setzt.

Entscheidenden Einfluss auf den Museumsbetrieb haben metakommunikative Aspekte, insbesondere politische und ökonomische Faktoren. Die Ausführungen dazu münden in einer Gegenüberstellung musealer und kommerzieller Strategien. "Das Ziel kommerzieller Anbieter besteht meist darin, unter Einsatz quasi-authentischer historischer Facetten ein möglichst perfektes Vergangenheitsbild zu entwerfen". Ein vertiefendes Verständnis von Sachverhalten wird nicht angestrebt. Von der öffentlichen Hand getragene Einrichtungen folgen dagegen einem anderen Ziel. "Die Vorbildlichkeit und Autorität moderner Museen liegt darin, die Ordnungskriterien und Qualitätsentscheidungen wissenschaftlich, dies bedeutet durchschaubar und kritisierbar, zu begründen." Die Autorin geht noch einen Schritt weiter und fordert - neben der Offenheit der Narration - "eine das Verhältnis von Geschichte und Gegenwart problematisierende Fragehaltung". Zudem sollten kulturhistorische Ausstellungen die Vielschichtigkeit, Nuancen und auch Unwägbarkeiten der Überlieferung thematisieren. "Statt geschlossener Erzählungen in einer möglichst realitätsgetreuen Darstellung geht es um Offenheit der Interpretation, statt perfekten Traumwelten sollte die Konstrukthaftigkeit der Geschichte im Vordergrund stehen."

Brigitte Kaiser will mit ihrer Publikation kein Patentrezept für eine ideale Ausstellungsgestaltung liefern. Vielmehr bündelt sie überzeugende Argumente für besucherorientierte und ganzheitliche Ausstellungskonzepte, die Zusammenhänge auch emotional erfahrbar machen und den Besucher zur schöpferischen Auseinandersetzung ermuntern. Sie sieht hier ein noch lange nicht ausgeschöpftes Potential: "Die Museen sind gefordert, ihre alte Systematik zu überdenken und beweglich zu machen, nur dann können sie ihr schlummerndes Angebot an sinnlichen und anthropologischen Erfahrungen aktivieren."


Titelbild

Brigitte Kaiser: Inszenierung und Erlebnis in kulturhistorischen Ausstellungen. Museale Kommunikation in kunstpädagogischer Perspektive.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
430 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-10: 3899424522

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