Vermittler zwischen Mensch, Natur und Kultur

Ein Sammelband stellt den Spätaufklärer Georg Forster im Wissenschaftsfeld seiner Zeit vor

Von Gerhart PickerodtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gerhart Pickerodt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anlässlich des 250. Geburtstags von Georg Forster fand im November 2004 in Halle eine Tagung statt, die sich mit dem wissenschaftlichen und philosophischen Umfeld des Jubilars unter sehr konkreten und darüber hinaus spezifischen Fragestellungen befasste. Die Vorträge liegen nun in einem Sammelband vor.

Georg Forster, Naturforscher, Weltreisender, Politiker und Essayist, ein weiträumig agierender Intellektueller der Spätaufklärung, in England ebenso zuhause wie in Deutschland und in der französischen Kultur, war geradezu prädestiniert, als Vermittler wissenschaftlicher Tendenzen Gesamteuropas zu wirken. Allerdings begnügte er sich nicht damit, jene Tendenzen enzyklopädisch aufzuarbeiten und zu verwalten, sondern er war in seinem kurzen Leben (mit neununddreißig Jahren starb er in Paris) ein höchst aktiver Diskurspartner der europäischen wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Beispielsweise stellen seine Jahresberichte über englische Literatur eine kritische Auseinandersetzung mit Themen und Inhalten dar und dürfen daher als weitaus mehr gelten denn als referierende Berichte.

Mit Rücksicht auf diese Position Forsters als aktiver, urteilender, eingreifender Autor geht es den Verfassern des vorliegenden Bandes auch nicht lediglich um die Vermittlerrolle Forsters. Vielmehr steht er im Fokus weitverzweigter methodologischer, theoretischer und gegenständlicher Debatten über Anthropologie, Naturgeschichte, Kulturgeschichte, Zoologie, Ethnologie, Menschheitsgeschichte, Wahrnehmungsphysiologie und Ästhetik.

Dabei geraten den zehn hier versammelten Autoren grundsätzliche Kontinuitäten, jedoch auch Diversifikationen der europäischen Aufklärung in den Blick. Durchgängig wird etwa ein Menschenbild aufgezeigt, welches seine Kontur erfährt durch die Dialektik von Fremdem und Eigenem: "Die offene Auseinandersetzung mit der Mannigfaltigkeit der Menschheit, die maßgeblich durch die Entdeckung fremder Völker angestoßen war, wirkte zurück auf die Infragestellung geistiger und politischer Selbstverständlichkeiten der eigenen Gesellschaften. Dieses Aufbrechen des festgefügten Weltbildes wurde nicht nur als grundlegende Verunsicherung, sondern auch als Chance zur freien Gestaltung und Veränderung der Gesellschaft erkannt." (Annette Meyer) Insofern erscheinen Ethnologie, Affenforschung und Geschichtstheorie in enger Verzahnung, wenn auch die einzelnen Momente in verschiedenen Beiträgen abgehandelt werden, was indessen gedeutet werden kann als Zeichen dafür, dass die Autoren während ihrer Tagung intensiv an einem gemeinsamen Konzept gearbeitet haben.

Wie bald die anthropologisch ausgerichtete Theoriebildung der Aufklärung ihrerseits durch positivistische Ansätze naturwissenschaftlich bestimmter Sozialforschung kritisiert wurde, zeigt Jörn Garber, Mitherausgeber des Bandes, an Friedrich Buchholz, der 1808 bereits ein an Adam Smith orientiertes "Gemählde des gesellschaftlichen Zustandes im Königreich Preußen" publizierte, in dem er die Zurückgebliebenheit Preußens auf maßgebliche Daten der Sozialgeschichte und der politischen Geschichte gründete. Und dies geschah mitten in einem historischen Raum, der doch im allgemeinen Bewusstsein als 'Romantik' gedeutet wird und der nicht selten durch ein Rückstreben nach dem Mittelalter charakterisiert war!

Ein weiteres Resultat verdient festgehalten zu werden: Zwar gab es Zentren der europäischen Aufklärung wie Schottland und Frankreich, denen gegenüber sich die deutsche Aufklärung eher in einer rezipierenden Rolle sehen musste, zwar hängt es in deutlicher Weise mit der lokalen und intellektuellen Mobilität der Individuen zusammen, wenn sie, wie Georg Forster, sich auf der Höhe ihrer Zeit zu bewegen vermochten, doch lässt sich gleichwohl die europäische Aufklärung als eine Art gemeinsamer Gelehrtenrepublik erkennen, in der die Austauschprozesse ohne größere Verzögerungen stattfanden. Es sind ja nicht etwa die Autoren dieses Bandes allein, welche die geschichtlichen Phänomene zusammenrücken und Georg Forster in ihrem Zentrum fokussieren, sondern diese hängen auch ihrer eigenen Substanz nach zusammen. Bemerkenswert ist, dass die Autoren Forsters Rolle im Kräftespiel der Spätaufklärung nicht überbetonen, sie vielmehr im Kontext der Zeit auch relativieren. An einem Heroen-Bild ist ihnen nicht gelegen.

Die zehn Aufsätze zeichnen sich sämtlich aus durch eine präzise Gedankenführung und eine prägnante, nüchterne Sprache, die frei ist vom Wissenschaftsjargon, wie man ihn gerade im Bereich der Kulturanthropologie nicht selten findet. Sachinformation, Gewichtung, Historisierung sind die gemeinsamen Prinzipien, denen die Autoren folgen. Insofern hat man es mit einem Buch zu tun, das, äußerlich bescheiden aufgemacht, viel mehr zu vermitteln vermag als manches verlegerische Großereignis. Auch diese Erscheinungsform ist Georg Forster angemessen.


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Jörn Garber / Tanja van Hoorn (Hg.): Natur - Mensch - Kultur. Georg Forster im Wissenschaftsfeld seiner Zeit.
Wehrhahn Verlag, Laatzen 2006.
250 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3865250173

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