Von singenden Knochen, Höllenhunden und schwarzen Sternen

F. K. Waechters Theatermärchen zeigen die vielfältigen Möglichkeiten einer alten Erzählform

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war einmal ein Gründungsmitglied der Neuen Frankfurter Schule. Das nahm sich der Urform allen Erzählens, dem Märchen, an und adaptierte es in seiner ganz eigenen Sprache für die Bühne. Manchmal reimte sich diese Bühnensprache. Manchmal spielten diese Märchen auch gar nicht auf einer Bühne, sondern auf einem Sessel. Manchmal führten sie auch Puppenspieler auf, keine Schauspieler. Und manchmal mit Likörgläsern anstatt mit Puppen. Dazwischen zeichnete er. Und das, was er schrieb, nannte er Theatermärchen.

Friedrich Karl Waechter beschäftigte sich schon seit 1972 mit der Gattung Märchen - die meisten verfasste er für die Bühne, viele davon für das Puppentheater. Seine Faszination für die alte Gattung erklärt F. K. Waechter selbst so: "Märchen sind in ihrer Vielschichtigkeit auch eine nahrhafte Kost für Erwachsene. Für Kinder taugen sie, weil ja schon die kleinen Menschen über Liebe, Hass, Eifersucht, Angst, Mut, Habgier, Machtgier, Ohnmacht, Hoffnung, Not, Neid, Ungerechtigkeit und so weiter eine Menge erfahren haben, und weil über diese menschlichen Zustände in Märchen sehr einfach und anschaulich die Rede ist."

Die elf Theatermärchen, die sich in dem Band "Der singende Knochen und andere Theatermärchen" versammeln, sind allesamt Erstveröffentlichungen und ab dem Jahr 2001 entstanden. Sie lassen sich in drei Werkgruppen ordnen: Varianten von Stoffen, mit denen sich Waechter schon vorher beschäftigt hatte (wie zum Beispiel "Der alberne Hans" oder "der Narr des Königs"), einige Märchen sind neue Varianten von Grimm'schen Stoffen und drei der Stücke sind vollkommen eigene Schöpfungen Waechters. Auch wenn er sich nur den kleineren Teil der Märchen komplett selbst ausdachte, gewinnen auch seine Bearbeitungen von Grimm'schen Märchen eine völlig eigene Qualität, da Waechter teilweise die Erzählperspektive, die Figurenkonstellation oder auch den Ausgang des Märchens ändert. Auch sind seine Märchenfiguren viel selbstreflexiver als andere. Wenn der Puppenspieler aus dem als Musical bezeichneten Stück "Der alberne Hans" sagt: "Ich bin das saure Leben leid, das Puppenspiel, Kulturarbeit. [...] Ich will aus meinem würdelosen Tun bei Zeiten hinaus [...] Hab ich auf Erden wenig überzeugt und hergemacht, so will ich doch als feiner Herr voll Stolz und Pracht ins Reich der Toten und dort eine Bombenrolle spielen. Ich sehne mich nach Anerkennung, Glanz und Hochgefühlen [...]", dann ist er nicht nur eine typisch zeitlose Märchenfigur, sondern zugleich auch ein zeitgenössischer, kritischer Charakter.

Das, was nicht gesagt wird, ist das, was Waechters Märchenversionen stärker macht als althergebrachte Märchen. Die Hinweise, die Waechter gibt, erklärt er nicht, sie ergeben sich von selbst. Und auch wenn seine Theatermärchen beim ersten Lesen durch die dramatische Form und die teilweise gereimte und auch verkünstelte Sprache sehr anstrengen mögen, erzeugen sie beim erneuten Lesen ein unheimliches Vergnügen, weil man Stück für Stück immer mehr versteht und immer mehr Botschaften begreift.

Die beeindruckenden Zeichnungen, die aus Waechters unvollendeten Zyklus "Der Höllenhund" stammen, vervollständigen den Band zu einem gelungen Gesamtkonzept.

Mit seinen Theatermärchen hinterlässt F. K. Waechter der Welt ein wunderbares Spiel mit einer alten Gattung.


Titelbild

Friedrich Karl Waechter: Der singende Knochen und andere Theatermärchen.
Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 2006.
292 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3886612937

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