Disziplin und Menschlichkeit

Ludwig Renns Bericht über den spanischen Bürgerkrieg

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der spanische Bürgerkrieg war nicht nur ein Vorgefecht des Zweiten Weltkrieges; in ihm überkreuzten sich auch Konfliktlinien, die noch in der Gegenwart von Bedeutung sind. Dabei sind zwar, zumindest im deutschen Sprachraum, Anhänger Francos und seiner faschistischen Verbündeten marginal. Doch bildeten diejenigen, die damals auf der Seite der demokratisch gewählten Regierung kämpften alles andere als einen einheitlichen Block und bis heute werden, je nach politischem Standpunkt, die einen oder anderen unter den Antifaschisten bevorzugt. Genossen die kommunistischen Spanienkämpfer in der DDR größtes Ansehen, so dominierte im Westen die exemplarisch von George Orwell verbreitete Lesart: So erschienen die spanischen Kommunisten, mit ihren sowjetischen Beratern, ihrerseits als totalitäre Macht, die vorgebliche Abweichler rücksichtslos beseitigte.

Von Ludwig Renn ist eine solche Denunziation nicht zu erwarten. Renn, der als zunächst kaisertreuer Offizier im Ersten Weltkrieg militärische Erfahrungen gesammelt und sich in den zwanziger Jahren immer weiter nach links bewegt hatte, wurde nach der Machtübergabe an die NSDAP verhaftet. Nachdem er 1935 freikam, reiste er in die Schweiz aus. Ende 1936 gelang ihm die Reise nach Spanien, wo er bis 1939 auf Seiten der Republikaner kämpfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Exil zurückgekehrt, fasste er seine spanischen Erfahrungen in einem umfangreichen Buch zusammen, das nach längeren Auseinandersetzungen in der DDR 1955 erschien, allerdings in einer um etwa ein Drittel gekürzten Fassung. Die vorliegende Neuausgabe macht nun den Gesamttext zugänglich, wie Renn ihn vor Beginn der Diskussionen dem Aufbau Verlag vorgelegt hatte.

Renn war Offizier und überzeugter Kommunist; diese beiden Ebenen bestimmen seine Wahrnehmung. Als Offizier war er vor allem in den ersten Monaten des Kampfes mit kaum lösbaren Aufgaben konfrontiert. Er musste Freiwillige aus verschiedenen Ländern zu einem einsatzfähigen Bataillon formieren. Die Soldaten verstanden keine gemeinsame Sprache, kaum jemand hatte Kampferfahrung und die Kriegslage war derart bedrohlich, dass der erste Fronteinsatz befohlen wurde, bevor auch nur die Kompanieführer bestimmt waren. Die Landkarten waren schlecht, das Gelände war so unbekannt wie die Stellung des Feindes, die Versorgung selten gesichert und mangels Funkausrüstung verlor Renn mehr als nur einmal den Überblick, wie sich seine eigenen Leute im Gelände verteilten.

Jahre später wählt er eine Darstellungsweise, die dieser Lage entspricht. Die Aufzeichnungen wirken über weite Strecken tagebuchartig. Nur ganz selten bringt Renn Informationen, die er erst später bekam. So entsteht ein eindrucksvolles Bild vom Alltag des Krieges. Heroischer Angriff ist dabei die Ausnahme; zuallererst ist eine Truppe damit beschäftigt, sich zu versorgen, zweitens mit blindem Herumtappen aufgrund häufig unverständlicher und bald wieder geänderter Befehle und drittens damit, die gröbsten Fehler zu beheben, die nur darum selten zu Katastrophen führen, weil der Feind mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hat.

Renn war ein Taktiker vor allem der Defensive; sicher wegen seiner Weltkriegserfahrung und später, weil die republikanischen Truppen gegenüber den Faschisten immer seltener die Initiative ergreifen konnten. Der Kommunist Renn benennt klar, warum das so war: Deutschland und Italien unterstützten Francos Truppen massiv, während die westlichen Demokratien ein Waffenembargo verhängten, das nur der spanischen Republik schadete. Wirksame Unterstützung erhielt die gewählte Regierung allein von der Sowjetunion.

Schon deshalb sollte man heute nicht leichtfertig anarchistischen Freiheitswillen gegen angeblichen stalinistischen Terror ausspielen. Renn bezieht allerdings in diesem Konflikt klar Position. Aus seiner Sicht sind die anarchistischen Anführer meist Maulhelden oder gar Saboteure, während ihre Gefolgschaft aus Verführten besteht, die sich aus revolutionärem Elan und mangels besserer Alternative den verbal Radikalsten anschlossen und nun für die kommunistische Seite zu gewinnen sind. Dabei urteilt Renn nie als Dogmatiker, der irgendwelche politischen Direktiven umsetzen will. Entscheidend ist für ihn als Fachmann, welchen Wert ein Verhalten in jener Kriegssituation hat, die die Faschisten den Republikanern aufgezwungen haben: Im Krieg entscheidet es eben über Leben oder Tod, ob die benachbarte Einheit diszipliniert vorgeht oder spontan irgendetwas tut - denn im zweiten Fall hat man eben plötzlich den Feind nicht mehr nur vor sich, sondern in der Flanke stehen.

Deshalb erkennt Renn militärische Leistungen von Anarchisten dort an, wo deren Einheiten ein notwendiges Maß an Organisation erreicht haben. Ebenso begrüßt er den Regierungswechsel vom Linkssozialisten Caballero, der früher einmal als spanischer Lenin bezeichnet worden war, zum Rechtssozialisten Negrín, der ihm politisch viel ferner steht, denn die neue Regierung organisiert den Kampf effektiver.

Als Offizier der internationalen Brigaden hatte es Renn mit Kämpfern aus vielen Ländern zu tun. Soweit wie möglich wurden die Freiwilligen in nationale Gruppen zusammengefasst, um die Kommunikation zu erleichtern. Minutiös notiert Renn, wann sich welche Kompanie hervorgetan hat. Was als Fixierung auf nationale Leistungen erscheint, ist doch mehr als eine Kampfolympiade unter Kriegsbedingungen: Es handelt sich gleichzeitig um einen Kursus in Internationalismus für die Bevölkerung der DDR, die 1955 wie auch die im Westen noch einiges an völkischen Vorurteilen in den Köpfen gehabt haben dürfte und nun bei Renn etwas über die Tapferkeit polnischer oder italienischer Einheiten lesen konnte.

Der präzise Blick des Spezialisten erkennt die Leistungen, die wiederum den Internationalismus konkret anschaulich werden lassen: in solchen Passagen wird deutlich, dass Kommunismus nicht eine Angelegenheit von Theoretikern sein kann, sondern von Spezialisten, die ihn machen, weil er ihren sachlichen Anforderungen entspricht. Dabei vergisst Renn über der Sache auch nicht die einzelnen Menschen. In vielen Passagen skizziert er einzelne Personen, Offiziere wie einfache Soldaten, die er ausbildet. Dabei gibt er nie der Versuchung nach, falsch zu heroisieren; indem er auch Schwächen benennt, wird umgekehrt die Leistung deutlich, dennoch weiterzukämpfen. Der Leser erfährt von zahlreichen und ganz unterschiedlichen Lebenswegen. Kriegsbedingt droht dabei stets der Tod; Renn, der gegen Ende des Krieges in Offizierslehrgängen sein taktisches Wissen weitergibt, weiß ganz genau, dass viele derjenigen, die er persönlich fördert, schon die ersten Kämpfe nicht überleben werden. Dennoch bewahrt er sie in seinem Text in ihrer Individualität. Vergleicht man dies etwa mit Ernst Jüngers Kriegsbüchern, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied, der vielleicht als einer zwischen einer rechten und einer linken Sicht auf den Krieg verallgemeinert werden könnte: In Jüngers "Stahlgewittern" kommen zahlreiche seiner Kameraden nur im Moment ihres Todes vor und sind auf die Funktion reduziert, den Schrecken der Materialschlacht und das heroische Opfer in ihr zu beglaubigen. Bei Renn aber ist der Tod fast stets nur lapidar festgehalten; dagegen geht es ihm darum, das individuelle Potential der Lebenden zu erkennen und zu entwickeln.

All dies zeigt ohne politische Rücksichtnahme der ungekürzte Text, für den sich der Herausgeber Günther Drommer zurecht entschieden hat. Dies entspricht sicher Renns Absichten und macht wichtige Informationen über den Krieg zugänglich. Verdienstvoll ist es auch, zudem die völlig neu geschriebenen Eingangskapitel der Druckfassung aufzunehmen. Davon abgesehen, ist die Ausgabe für diejenigen, die sich für die Druck- und Zensurgeschichte des Werks interessieren, unzulänglich. Leider ist weder im Detail markiert noch im Vorwort angegeben, welche Passagen der Überarbeitung zum Opfer fielen; Drommer nennt nur summarisch Bewertungen von Mitkämpfern, die zu Funktionären in der DDR der fünfziger Jahre aufgestiegen waren. Erst ein genauerer Vergleich könnte ergeben, inwieweit Renn neben der Rücksicht auf persönliche und politische Empfindlichkeiten in der Neufassung auch literarische Einwände berücksichtigte. Der vorliegende Text weist nicht nur manche stilistischen Schwächen auf, sondern auch etliche Redundanzen. Nicht jede Einzelheit ist notwendig, um die Lage im Krieg anschaulich zu machen, und die für sich genommen sinnvolle Protokollform verselbstständigt sich zuweilen.

Das geschieht zum Nachteil jener Szenen, die als Einzelnes das Ganze schlaglichtartig beleuchten. Inwieweit die Druckfassung von 1955 demgegenüber nicht nur politische Beschränkung, sondern auch ästhetischen Gewinn bedeutete, erfordert eine eigene Untersuchung, für die die vorliegende Präsentation des Texts leider nur wenig hilft. Gleichwohl ist die Erstpublikation der Urfassung zu begrüßen. Renns Buch, in welcher Form auch immer, erlaubt eine wertvolle Perspektive auf eine der wichtigsten Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts.


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Ludwig Renn: Der spanische Krieg.
Herausgegeben von Günther Drommer.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2006.
511 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3360012879

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