Einer bleibt immer

Über die Neuauflage von Hannah Arendts "Eichmann in Jerusalem"

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"In einem kurzen Weilchen, meine Herren, sehen wir uns ohnehin alle wieder. Das ist das Los aller Menschen. Gottgläubig war ich im Leben. Gottgläubig sterbe ich. (...)" Jeder, der diese letzten Worte Adolf Eichmanns, die gleichzeitig das Ende der gegen ihn geführten Prozesse markierten, hört, kommt nicht umhin zu bestätigen, was Hannah Arendt in ihrem brillanten Bericht "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen" beschreibt. Zuerst in mehreren Folgen im amerikanischen Magazin "New Yorker" und dann als Buch erschienen, ist er jetzt - zum 100. Geburtstag Hannah Arendts - neu auflegt worden.

Das Buch, das heute nicht weniger Bedeutung hat als zur Zeit seiner Erscheinung, ist ein Musterbeispiel für genialen, politisch-aufklärerischen Journalismus. Denn Arendt beschreibt nicht nur den Prozess, sondern auch die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten und eruiert Eichmanns tatsächliche Taten. Sie entlarvt den SS-Obersturmbannführer und vermeintlichen Drahtzieher des Holocaust als nicht viel mehr als einen "normalen Menschen" - was jedoch angesichts der Unbeschreiblichkeit der von ihm verübten Verbrechen umso mehr entsetzt. Fakt ist, dass er die Deportation von Millionen von Juden organisierte - sie also in den sicheren Tod schickte. Wenn er auch nicht mit ihrer unmittelbaren Vernichtung betraut war, gewusst hat er davon: "Als ich hinkam, sah ich aber gerade noch, wie junge Schützen [...] mit dem Totenkopf auf den Spiegeln in einer Grube schossen [...] Schossen hinein, und ich sehe noch eine Frau, Arme nach rückwärts, und dann sind mir auch die Knie abgewankt und ich bin weg."

So sehr Eichmann sich seiner Schuld zu entziehen suchte, die Beweise, vor allem aber seine eigenen Aussagen, sprachen gegen ihn: "Ich bin nicht mehr rangegangen, um das alles zu sehen! Habe gesehen, wie dort durch Laufstege, die mit Stacheldraht eingefasst waren, eine Kolonne von nackten Juden in ein Haus nach vorne [...] ein saalähnliches Gebäude gegangen sind, zum Vergasen. Dort aber wurden sie, soviel man mir erzählt hat, mit - wie heißt dieses - Zyan ... Zyankali oder - Säure...".

Der Klappentext der Neuauflage, der ein Essay von Hans Mommsen beigefügt ist, zitiert den Epilog des Berichts, in dem es heißt: "Das Beunruhigende an der Person Eichmanns war doch gerade, dass er wie viele und diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal war und ist. Vom Standpunkt unserer Rechtsinstitutionen und an unseren moralischen Urteilsmaßstäben gemessen, war diese Normalität viel erschreckender als all die Greuel zusammengenommen, denn sie implizierte [...], dass dieser neue Verbrechertypus [...] unter Bedingungen handelt, die es ihm beinahe unmöglich machen, sich seiner Untaten bewusst zu werden."

Eichmann tat wie ihm geheißen und rechtfertigte seine Taten durch diesen Befehlsgehorsam, zog gar Kants kategorischen Imperativ heran, eine Position, die jedoch sowohl vom Gericht als auch von Arendt leicht entkräftet werden konnte. Die Normalität und die fehlende Fähigkeit zur Reflexion oder zum Gewissen werden in Arendts Bericht sehr deutlich, gerade weil sie über eine rein juristische Berichterstattung hinausgeht und neben der juristischen Seite die nationalsozialistische Politik der "Endlösung" aufschlüsselt. Diese daraus gewonnene, erschreckende Erkenntnis der "Banalität des Bösen" Eichmanns möge, so bleibt zu hoffen, die Zeit überdauern. Arendt ist da optimistisch: "So tief ist keine Versenkung, dass alle Spuren vernichtet werden könnten, nichts Menschliches ist so vollkommen; dazu gibt es zu viele Menschen in der Welt, um Vergessen endgültig zu machen. Einer wird immer bleiben, um die Geschichte zu erzählen."


Titelbild

Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Granzow.
Piper Verlag, München 2005.
434 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3492248225

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