Nicht die DDR, sondern das "Dritte Reich" war die mörderischste Diktatur des 20. Jahrhunderts - Brigitta Huhnkes und Björn Krondorfers Sammelband "Das Vermächtnis annehmen"

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass es keine allgemeinen Formen des Erinnerns an die Shoah gibt, kann nicht oft genug betont werden. Brigitta Huhnke und Björn Krondofer versuchen dies in ihrem Sammelband "Das Vermächtnis annehmen. Kulturelle und biographische Zugänge zum Holocaust - Beiträge aus den USA und Deutschland" bewusst zu machen. "Im deutschen Diskurs über Holocaust und Nationalsozialismus vermissen wir im Wesentlichen zwei Punkte: Zum einen fehlt uns das Bewusstwerden darüber, wie die unterschiedliche Herkunft derer, die in den Holocaust involviert waren, d.h. die Frage, ob sie zu den Opfern, Tätern oder Mittäterinnen gehörten, auch die privaten und gesellschaftlichen Formen des Sich-Erinnerns bzw. der Abwehr und Amnesie geformt haben. Diese unterschiedliche Zugehörigkeit prägt unseres Erachtens weiterhin die Nachfolgegenerationen", schreiben die Herausgeber in der Einleitung. "Deshalb möchten wir zum anderen darauf hinweisen, wie sehr noch immer familienbiographische Verbindungen zum Holocaust auch in deutscher Politik, Kultur und Wissenschaft ausgeblendet werden."

Der Band enthält unter anderem Beiträge von Historikern, Psychoanalytikern und Literaturwissenschaftlern, ein dem typischen Betroffenheitsjargon verpflichtetes Grußwort der FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher und einen Aufsatz des international bekannten Holocaust-Forschers und Professors für English and Judaic Studies an der Universität Amherst (USA) James Y. Young. Angesichts der nach dem Mauerfall in Deutschland 1990 forciert begonnenen 'Konkurrenzerinnerung' an deutsche Opfer und die Geschichte der DDR warnt Young davor, dass Deutsche dazu tendieren könnten, "nach 'einem Schlussstrich unter die Vergangenheit' zu suchen".

So erinnert er etwa an Helmut Kohls fatale Geste, als dieser im ehemaligen KZ Buchenwald "lediglich Blumen für die Opfer des NS-Terrors niederlegte", für die 8.000 bis 13.000 Deutschen, die im selben Lager nach 1945 unter der Ägide Stalins umgekommen waren, jedoch gleich einen großen Kranz spendete. Huhnkes und Krondorfers Band erschien bereits im Jahr 2002 - inzwischen hat sich die Differenzierungsleistung deutscher Erinnerungskultur, die in ihrem Buch angemahnt wird, keineswegs erfüllt. Die Lektüre lohnt sich also nach wie vor.

Georg D. Henn


Titelbild

Brigitta Huhnke / Björn Krondorfer (Hg.): Das Vermächtnis annehmen. Kulturelle und biographische Zugänge zum Holcaust - Beiträge aus den USA und Deutschland.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2002.
369 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3898061310

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