Gleichgesinnten glaubt man gern

Blogs und das "Web 2.0" gelten als nächstes großes Ding im Internet. Verschläft die deutsche Buchwelt einen Trend?

Von Timo LeischnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Timo Leischner und Dennis SiepmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Siepmann

"Fast jeder Autor, der ein neues Buch veröffentlicht, tut es", gesteht Pamela Paul in der New York Times: "das unwiderstehliche Eintauchen in einen vom Internet evozierten Narzissmuss." Die amerikanische Sachbuchautorin nimmt sich selbst nicht aus: Auch sie sucht in Weblogs - oder kurz Blogs -, einfachen Notiz-, Kommentar- und Diskussionsseiten im World Wide Web, nach Reaktionen auf ihre Werke.

Innerhalb des deutschen Literaturbetriebes zunächst kaum beachtet, zeigt sich in Amerika die gewaltige Marktkraft der Blogs mittlerweile sehr deutlich. Das Buch "How Would a Patriot Act?" des amerikanischen Autors Glenn Greenwald ist das Paradebeispiel: Innerhalb von nur drei Monaten wurde es konzipiert, geschrieben, verlegt und veröffentlicht - eine bemerkenswerte Leistung. Viel beeindruckender erscheint aber die Tatsache, dass es das Werk im gleichen Zeitraum mit Hilfe der Blogger auf die amerikanischen Bestsellerlisten schaffte: Der Verlag war auf Autor Greenwald nicht nur durch dessen Blog aufmerksam geworden und hatte ihm vorgeschlagen, ein Buch zu schreiben. Er hatte zudem ein paar Meinungsführern der Szene das Buch vorab zugesandt, und in kürzester Zeit hatte die Diskussion in der so genannten Blogosphäre viele Leser auf das Buch neugierig gemacht.

Blogs gelten in der Welt des Internet als das nächste große Ding. Dabei haben sie durchaus schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Im Sommer 1990 tauchten die ersten Online-Tagebücher auf, Webseiten, auf denen Internetnutzer kurze Einträge über ihr Privatleben verfassten und so die Öffentlichkeit daran teilhaben ließ. Sechs Jahre später wurden die ersten benutzerfreundlichen Bedienoberflächen für solche Publikationen geschaffen. 1997 nannte Jorn Barger das Phänomen erstmals "Weblog", zwei Jahre später wurde aus diesem Tauf- der Rufname "Blog", und schon 2001 erschienen erste Artikel und Forschungsarbeiten über das Thema.

Derzeit zählt die auf die Blogosphäre spezialisierte Suchmaschine "Technorati" rund 63,2 Millionen Blogs weltweit. Als wäre diese Menge allein nicht schon beeindruckend genug: Statistisch gesehen verdoppelt sich die Anzahl veröffentlichter Blogs alle fünf Monate.

Mit dem Wachstum der Blogosphäre nimmt auch die Menge unterschiedlicher Weblog-Formen zu. Sie bestehen oft aus einer Mischung von Kommentaren, Tagebuch-Einträgen und Kuriositäten aus dem Netz und dienen in erster Linie der Unterhaltung oder der Selbstdarstellung im Internet. Neben diesen sehr persönlich gehaltenen Weblogs etablieren sich Fach-Blogs, welche Fakten, Trends und Tipps zu einem bestimmten Thema veröffentlichen. Auch anerkannte Medien sind ernsthaft an dem Phänomen interessiert: Immer wieder finden in Blogs diskutierte Themen ihren Weg in die etablierte Presse.

So ist es auch kein Wunder, dass nicht nur Journalisten, sondern auch Marketing- und PR-Spezialisten großer Unternehmen systematisch die Online-Diskussionen über ihre Produkte und ihr Geschäftsfeld verfolgen. Ihnen geht es wie Pamela Paul und ihren Kollegen: Sie versprechen sich schnelles und ehrliches Feedback.

Die Möglichkeit, den Erfolg eines Buches in einem so kurzen Zeitabschnitt interaktiv zu beeinflussen, ist in dieser Form absolut neu. Dennoch schenkt einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos zufolge bereits rund ein Viertel der europäischen Internetnutzer den in Blogs veröffentlichten Kommentaren und Beiträgen Glauben. Das meinungsbildende Potential ist unverkennbar. Wie aber setzen sich Verlage, Autorenschaft und interessiertes Lesepublikum mit der Blogosphäre hierzulande auseinander? Wann wird der deutsche Literaturbetrieb auf den bereits fahrenden "Blog-Zug" aufspringen? Für die Branche wird es jedenfalls Zeit, die Weichen zu stellen.

Besonderes Geschick im Umgang mit der jungen Publikationstechnik zeigen bislang einige große Zeitungen. So sind beispielsweise "Die Zeit" und das "Handelsblatt" mit Blog-Projekten beschäftigt. Sie nutzen den Hype - und die Möglichkeit, im Netz schnell und effektiv zu publizieren. Sie setzen Journalisten als professionelle Blogger ein. Und liegen damit völlig im Trend: Das patchworkartige Arbeiten, das sich im breiten Feld der Informationen vernetzt und die scheinbaren Originalitätsansprüche bei Seite lässt, wird sich auf Dauer durchsetzen. Gefragt sind Journalisten, die bereits vorliegende Materialien pointiert zuspitzen.

Täglich frisches Lesefutter

Die Möglichkeiten der Meinungsmache im World Wide Web haben nun auch immer mehr Autoren für sich entdeckt und stellen sich in persönlichen Blogs den Fragen des Lesepublikums. Andere schalten sich in einen Literaturblog ein, um die dort entstehenden Diskussionen zu verfolgen und eventuell eigene Ansichten zum Ausdruck zu bringen.

Für das Kollektiv der Lesebegeisterten gibt es durchaus interessante deutschsprachige Blogs. Auf Internetseiten wie "Dienstraum.de" oder "Literaturwelt.de" kann sich die bibliophile Internetgemeinde über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt austauschen. Die Werke werden dort bewertet, eventuell zum Lesen empfohlen - oder auch mal heftig kritisiert. Eine weitere Art der literarischen Vernetzung sind so genannte "Social Bookmark-Dienste" wie "Del.icio.us", "Furl" oder "Spurl", die nach dem Empfehlungsprinzip funktionieren. Jeder Nutzer hat dort ein eigenes Profil angelegt - so können sich Leseinteressierte mit ähnlichen Vorlieben finden und vernetzen.

Sie legen täglich Lesezeichen zu ihren Lieblingsartikeln im Internet ab und servieren den Gleichgesinnten unablässig frisches Lesefutter. Und für Schriftsteller, die im Internet nach Reaktionen auf ihre Werke suchen, fallen genug Krumen ab, um damit Ego oder Selbstzweifel zu nähren.