Mit beschränkter Haftung

Wie "Amazon.de" mit seinen Kundenrezensionen verfährt - und mit seinen Kritikern

Von Stefanie HohRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hoh und Daniel HockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Hock

Wer den Namen "Amazon" hört, denkt an virtuelles Shopping rund um die Uhr und kurze Lieferzeiten ohne Versandkosten. Doch nicht jeder kann der Internetverkaufsplattform nur Positives abgewinnen.

Für den herkömmlichen Buchhandel ist "Amazon" ein Schreckgespenst. Wer seinen Einkauf mit zwei Mouseklicks von zu Hause aus erledigen kann, spart sich gern den Weg zur nächsten Buchhandlung. Auch manchen Verlagen schlottern die Knie: Nach einer Flut negativer Kundenrezensionen seiner Bücher auf "Amazon.de" warf der Rockbuch-Verlag dem Versandriesen im Februar 2006 vor, auf seinen Seiten werde in "extrem geschäftsschädigender Weise Rufmord betrieben". Und Rockbuch sieht sich in bester Gesellschaft: Econ, einer der führenden Sachbuchverlage, erlitt ähnliche Angriffe. Nachdem sein Autor Boris Reitschuster in Amazon-Rezensionen für sein kritisches Buch "Putins Demokratur" unter anderem als "Teufelsanbeter" beschimpft worden war, schaltete der Verlag einen Anwalt ein. Der Versandhändler sperrte die schärfste Kritik.

Kundera ein Norweger? Kein Problem Darf jeder bei Amazon schreiben, was er will? Im Prinzip: ja. Jeder registrierte Nutzer hat die Möglichkeit, seine persönliche Kritik zu einem Buch auf der zugehörigen Artikelseite zu artikulieren. So besteht für Hinz und Kunz die Chance, mit der selbst verfassten Buchrezension auf einer von Millionen von Menschen besuchten Internetplattform nach Aufmerksamkeit zu haschen. Dabei ist zwar nicht alles erlaubt, da eine Kundenrezension bestimmte Richtlinien einhalten muss. Wie aber reagiert "Amazon.de", wenn sie überschritten werden? Im Selbstversuch haben wir die Grenzen der Akzeptanz auf die Probe gestellt. Nichts blieb dabei unversucht: Eine erste Kritik, in der andere Rezensenten beleidigt wurden, wurde wie erwartet nicht veröffentlicht. In einer zweiten wurde Milan Kunderas Roman "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" mit den Worten "Der Titel passt voll" gelobt und sein Autor als Norweger bezeichnet. Kein Problem für "Amazon.de": Schon wenige Stunden nach dem Absenden war die Kritik auf der Artikelseite zu lesen.

"Amazon" hat damit nichts zu tun Selbst derart grobe inhaltliche und stilistische Schnitzer ließen beim Versandhändler nicht die Alarmglocken läuten. Also wollten wir für Lärm von außen sorgen: Aus dem Online-Archiv einer Tageszeitung kopierten wir eine professionelle Literaturkritik, die wie erwartet den Weg auf die "Amazon.de"-Seite fand. Unter Protest meldete sich dann der echte Verfasser, um den Konzern auf seinen Nachlässigkeit aufmerksam zu machen. Der Text wurde gelöscht und die Servicezentrale des Händlers versprach bedauernd, den Kundenrezensenten zu ermahnen. Allerdings ohne es dann auch zu tun.

Was würde eigentlich passieren, wenn der eigentliche Verfasser wegen Verletzung des Urheberrechts gegen "Amazon.de" geklagt hätte? Der Buchversender fühlt sich nicht zuständig: "Amazon.de stellt in diesem Fall die Plattform dar", antwortet sie dem Journalisten. "Wenn von Ihrer Seite eine Anzeige vorliegen würde, müssten wir die Daten des Rezensenten angeben. Eine Regresspflicht würde uns allerdings nicht treffen."

Vielleicht sollten sie lieber Staubsauger rezensieren

Der Internethändler kümmert sich offensichtlich wenig um die Qualität und Seriosität seiner Kundenrezensionen. So unterscheiden sie sich stark von Kritiken, die man aus den Feuilletons von Zeitungen und Magazinen kennt.

Während professionelle Literaturkritiker mit ihrer Meinung ganze Zeitungsseiten füllen können, kommentieren "Amazon.de"-Nutzer ein Werk hingegen oft nur mit wenigen Phrasen. Meist ist es ein locker formuliertes Statement, das nur den subjektiven Leseeindruck schildert. Die Bewertung beschränkt sich auf kurze Prädikate wie "lustig", "spannend", "unterhaltsam". Von hohem literarischen Anspruch, wie ihn professionelle Rezensionen an sich selbst stellen, keine Spur. Während Ijoma Mangold in seiner Rezension zu "Beim Häuten der Zwiebel" im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" Grass' Sprachstil beziehungsweise die literarische Form seines Werks geschliffen und detailliert beschreibt und bewertet, kommentiert ein "Amazon.de"-Kunde das Werk knapp und lakonisch: "Günter Grass hat hier seine wunderbare Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch ist mitreißend, fesselnd und absolut authentisch. Die Kapitel über die Jugend, den Krieg lassen mich als jungen Menschen nicht mehr los. Die rhetorischen Fähigkeiten Grass' werden in diesem Buch ein weiteres Mal bewiesen."

Der Wert einer solchen Rezension für Kunden, die sich ausgiebig über die Qualität eines literarischen Werks informieren wollen, ist eher zweifelhaft. Vielleicht ist die Funktion "Kundenrezension" auch eher für die Bewertung eines Staubsaugers geeignet als für die eines literarischen Werkes. Wahrscheinlich genau aus diesem Grund findet man auf den Produktseiten zu Büchern oftmals noch eine Kritik der "Amazon.de-Redaktion", die sich eher an feuilletonistische Literaturrezensionen anlehnt.

Im Redaktionsbunker unter Bad Hersfeld

Das klingt nach journalistischer Routine und weckte unser Interesse. Der Kontakt lässt sich allerdings nur mühsam herstellen: Mit etwas Glück finden wir auf der "Amazon.de"-Website eine Adresse, das Unternehmen lässt sich mit der Antwort jedoch Zeit. Nach Tagen dann eine spärliche E-Mail: Auf Grund der vielen Anfragen könne Amazon nicht ausführlich antworten. Außerdem handle es sich bei der Redaktion um Firmeninterna.

Das Mysterium um diese ominöse Arbeitsgruppe der Verkaufsplattform wächst. Sitzen die Redakteure in einem abgeschotteten Bunker unter den Amazon-Lagerhallen in Bad Hersfeld? Werden sie als Amazon-Geheimagenten von der Öffentlichkeit ferngehalten, um für die Verlage werbewirksam eine pseudo-objektive Meinung zu präsentieren? Unter manchen Texten findet sich zumindest der Name des Verfassers. Doch die Redaktionsmitglieder, die wir privat ermitteln und ansprechen, weigern sich, Informationen preiszugeben. Einer von ihnen ist Thomas Köster, der unter anderem immerhin für "Die Zeit", die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel" geschrieben hat. Von ihm stammt auch die "Amazon.de"-Kritik zu "Beim Häuten der Zwiebel".

Doch nur für die Rezensionen wichtiger Werke mit Bestsellerpotential beauftragt der Internethändler Journalisten. Bei weniger erfolgreichen Büchern beschränkt sich "Amazon.de" auf den Abdruck des Verlags- oder Klappentexts und überlässt das Feld den Nutzern.

Unkontrolliert, unzuverlässig und unseriös, wie sich die Kundenrezensionen auf "Amazon.de" zeigen, ist das Angebot des Versandhändlers trotz gelegentlicher Ausnahmen keine Konkurrenz für den klassischen Literaturjournalismus. Zumindest solange potentielle Leser auch im Internet ausführliche Information und sorgfältiges Urteil dem schnellen Schlagwort vorziehen.