Gelungene Reduktion

Werner Faulstich hat eine Mediengeschichte bis ins Handy-Zeitalter vorgelegt

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die gegenwärtige Umstellung der Studiengänge von den klassischen Diplom- und Magister- auf BA- und MA-Abschlüsse hat nicht nur die universitäre Lehre vor grundlegende Veränderungen gestellt, sondern auch die Verlage bei der Lehrbuchproduktion. Die Dozenten müssen in noch kürzerer Zeit hochgradig standardisierte Stoffe vermitteln können, die noch dazu in das nun auch bei Geistes- und Sozialwissenschaften unvermeidliche Klausurformat passen müssen. Auch die Integration einzelner fachwissenschaftlicher Module in interdisziplinäre Studiengängen erhöht den Druck, das Wissen in neuen, ansprechenden und leicht lesbaren Formaten zu präsentieren.

Was die meisten Zeitungsmacher bereits wissen, dass nämlich kaum ein Leser ein Blatt von Anfang bis Ende liest, sondern sehr von Illustrationen, Überschriften, Leads und Bildlegenden zum Lesen einzelner Artikel animiert werden muss, scheint sich nun auch in den Lehrbuch-Verlagen durchzusetzen. Vor allem Farbbilder wirken in Zeitungen als Blickfang und Bildunterschriften entscheiden oft mehr als Artikelüberschriften, ob ein Text gelesen wird oder nicht. Man findet diese Anpassung an die (neuen) Lesegewohnheiten zum Beispiel sehr deutlich bei der graphischen Umgestaltung der FAZ im letzten Jahr. Auch in den eigentlichen Text eingestreute und grafisch hervorgehobene Kurztexte lenken die Aufmerksamkeit auf sich und steuern so das Rezeptionsverhalten mit. Diese Ergebnisse der Medienwirkungsforschung haben die Macher des neuen Formates "UTBbasics" vermutlich zu ihrem neuen Format bewogen.

Die zwei Bände der Mediengeschichte von Werner Faulstich in der Reihe UTBbasics haben diese Gestaltungsmerkmale in einem Ausmaß genutzt, die nach Ansicht des Rezensenten fast schon vom Inhalt ablenkt, in jedem Fall das nüchterne, kontinuierliche Lesen irritiert. So werden Kurztexte der Rubriken "Definition", "Merksatz", (als ob man sich Definitionen nicht merken müsste) "Übersicht" und "Gesetzesannahme" ebenso wie zahlreiche Abbildungen in den Text eingerückt, ebenfalls grafisch hervorgehobene "Übungs- und Wiederholungsfragen", "Zusammenfassung" sowie der stichwortgespickte Seitenrand und sinnlose Blaufärberei wirken auf den Rezensenten in der Summe völlig überzogen. Man scheint sich hier auf Leser einzustellen, denen es zunehmend schwer fällt, einen längeren Fließtext zusammenhängend zu lesen, ohne "wegzuklicken" oder zum nächsten Stichwort, dem nächsten Merksatz oder der nächsten Abbildung vorzuspringen. Entsprechend sind die einzelnen Teilkapitel im Durchschnitt nicht länger als drei bis vier Seiten. Ob sich dieses neue Format wirklich positiv auf die Lernergebnisse auswirkt, wie dies von den Verlagen versprochen wird, bleibt abzuwarten.

Glücklicherweise lässt sich diese formale Kritik nicht auf die Inhalte übertragen. Faulstichs zweiter Band der Mediengeschichte setzt mit dem Umschwung um 1700 von der Dominanz von Primärmedien ("Medium Mensch") zur Dominanz von Sekundärmedien (Druckmedien) ein, verbunden mit dem Aufstieg und der Dominanz der bürgerlichen Gesellschaft (1700-1830). Statt mit Jürgen Habermas vom "Strukturwandel der Öffentlichkeit" mit der Dominanz der bürgerlich-literarischen Öffentlichkeit in dieser Formatierungsphase zu sprechen, geht Faulstich von einem Strukturwandel des Öffentlichen aus, bestehend aus mindestens fünf Teilöffentlichkeiten. "Der Wandel des Öffentlichen verlief also nicht vom Repräsentativen zum Bürgerlichen, sondern quasi vom absolutistischen Geheimen zum neuen bürgerlichen Privaten. Man hat diese neue Privatsphäre auch als Frauen- oder Familienöffentlichkeit bezeichnet." Der Aufschwung des Literarischen lasse sich weniger als literarische Öffentlichkeit denn als literarischen Markt beschreiben. Die Zeitschrift avanciert zum bürgerlichen Schlüsselmedium der Selbstvergewisserung, Zeitung, Brief, Flugblätter, Bücher und die Handlungsrolle des Kritikers bilden weitere Strukturkomponenten des Öffentlichen. Den nächsten Übergang setzt Faulstich um 1830 an mit dem Aufstieg der neuen Mittelschichten, der Industrialisierung und Bevölkerungsexpansion. Medientechnische Innovationen dieser Entwicklungsphase sind die Erfindung von Telegrafie und Fotografie, Telefon und Schallplatte, die Anfänge des Films sowie die Ausdifferenzierung journalistischer Berufe. Faulstich charakterisiert diese Periode auch als "Industrie- und Massenzeitalter"; die einzelnen Teilkapitel sind hier sehr konzis und informativ gelungen.

In der Phase der neue elektronische Medien (1900-1990) legt der Autor den Akzent auf politische und ökonomische Instrumentalisierung der Medien und sieht eine "generelle Theatralisierung" auf dem Vormarsch, eine Entgrenzung des (klassischen) Theatermediums hin zu einer Theatralisierung und Inszenierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens. Am schlechtesten gelingt Faulstich die Phase der Globalisierung und Digitalisierung seit 1990. Dies ist umso enttäuschender, da im Titel ja vollmundig die Mediengeschichte "bis ins 3. Jahrtausend" angekündigt wird. Interessant gewesen wären hier Hinweise auf verändertes Rezeptionsverhalten, wie es nicht zuletzt durch das "offenere" Format des Buches selbst antizipiert wird, oder weitere Hinweise auf die Veränderungen in den "alten" Medien, zum Besipiel den Printmedien, die durch die digitale Revolution ausgelöst worden sind. Faulstich weist zwar darauf hin, dass die Geschichte der "alten" Medien auch im 3. Jahrtausend fortgeschrieben werden muss, bleibt in der Charakterisierung der Periode ab 1990 insgesamt aber eher schwach. Einen Hinweis auf die "digitale Spaltung" im sozialen System sucht man vergebens.

Das vorläufig letzte Kapitel der Geschichte der Medien ist sicherlich auch am schwierigsten zu schreiben. Der dennoch insgesamt sehr gelungene Eindruck dürfte nicht zuletzt damit zutun haben, dass das vorliegende Bändchen eine Zusammenfassung der letzten drei der auf sechs Bände angelegte "Geschichte der Medien" ist, die Faulstich zwischen 1997 und heute veröffentlicht hat. Durch diese Reduktion ist es ihm zum einen gelungen, die Fülle der kurzen, luziden Charakterisierungen einzelner Medien (zum Beispiel "Die Fotografie - Medium des Kleinbürgers") in ihrem historischen Kontext in einem letztlich kultursoziologischen Zugriff miteinander zu vernetzen und dabei den Leser nicht in einer Flut von mehr oder weniger relevanten Details untergehen zu lassen. Diese Einführung ist trotz des übertriebenen grafischen Formats sehr empfehlenswert.


Titelbild

Werner Faulstich: Mediengeschichte von 1700 bis ins 3. Jahrtausend.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2006.
192 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3825227405

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