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Zum Briefwechsel zwischen Karl Varnhagen von Ense und Johann Friedrich und Georg von Cotta

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Korrespondenz aus der Zeit des Biedermeier wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. Karl Varnhagen von Ense (1785-1858) ist der eine der Korrespondenzpartner, Schriftsteller, Journalist und Diplomat in Berlin, der andere lebt und arbeitet als Verleger in Stuttgart und gehört 1810, in dem Jahr, in dem der Briefwechsel einsetzt, zu den angesehensten Verlegern des deutschsprachigen Raumes. Den Briefwechsel eröffnet Johann Friedrich Cotta (1764-1832), der Verleger der deutschen Klassiker und sie wird, im Rahmen des Verlages, von Georg von Cotta (1796-1863) weitergeführt. Es ist somit eigentlich die Korrespondenz eines Verlages mit seinem Autor, wenn denn die mitgeteilten Sachverhalte nicht weit über das geschäftliche Verhältnis von Verleger und Autor hinausgehen würden. Diese Überschneidung der Interessen macht denn auch den Reiz der vorliegenden Bände aus.

Die Edition dieses Briefwechsels konnte nur entstehen, weil sich die Herausgeber, alles Fachleute in ihrem Spezialgebiet, über ihre Grenzen hinweg mit ihren Mitherausgebern verständigten - was sich im Ergebnis dieser Zusammenarbeit niederschlägt: "Bernhard Fischer bearbeitete vor allem die Cotta betreffenden Teile des Kommentars [...]. Die einzelnen Abschnitte der Einleitung gehen je auf die drei beteiligten Herausgeber zurück, die sich in den jeweiligen Sparten ihrer Arbeitsbereiche, aber immer auch gegenseitig durch kritische Auseinandersetzung ergänzten. Deswegen haben sich die Herausgeber entschlossen, ihre Edition gemeinsam ohne Rangfolge und ohne Kenntlichmachung der Anteile zu gleichen Teilen zu verantworten". Diese kollegiale Kooperation hat sich positiv auf die vorliegende Edition ausgewirkt.

Der Leser hat zwei Bände vor sich liegen. Der erste enthält die Briefe, der zweite Kommentar, Einleitung, Erläuterungen und Register. In der Einleitung wird der Leser in Kenntnis gesetzt vom biografischen Hintergrund der Protagonisten und dem historischen und wirtschaftlichen Kontext der vierzig Jahre, auf die sich die Briefe beziehen. Aufgenommen haben die Herausgeber nicht nur die Briefe, sondern auch ergänzende Dokumente: "Vorliegende Edition umfaßt alle Briefe, die zwischen Karl August Varnhagen von Ense und den Verlegern Johann Friedrich und Georg von Cotta samt ihren Ehefrauen gewechselt wurden; eingearbeitet sind die überlieferte Korrespondenz zwischen Varnhagen und der J. G. Cotta'schen Buchhandlung sowie den Redakteuren der 'AZ' [Allgemeinen Zeitung] und des 'Morgenblatts', zudem jene handschriftlich im Original überlieferten, teilweise noch ungedruckten Manuskripte von Varnhagenschen Beiträgen für die 'AZ', die sich in seinem Nachlass oder in der Cottaschen Verlagsregistratur fanden." Insgesamt wurden 398 Stücke in den vorliegenden Bänden zum Abdruck gebracht.

Den gewechselten Briefen ging die persönliche Begegnung zwischen Johann Friedrich Cotta und Karl August Varnhagen von Ense voraus. Varnhagen war 1808 mit Empfehlungen von Jean Paul nach Tübingen gekommen und eröffnete schon bei diesen ersten Begegnungen mit dem Schwaben ein andauerndes Vertrauensverhältnis. Zwei Jahre später sollte die Korrespondenz einsetzen und Cotta die Kontaktaufnahme von Seiten Varnhagens zum Anlass nehmen, ihn als Mitarbeiter für das 'Morgenblatt' zu gewinnen. Am 10. Oktober schreibt er an Varnhagen: "Unter meiner gehorsamen Empfehlung möchte ich die Bitte machen, ob Sie nicht Lust u. Musse hätten, während Ihres dortigen Kuraufenthalts mich zum Behuf des Morgenblatts mit Nachrichten aus dortigen Gegenden zu beehren."

Der Briefwechsel liegt eigentlich abseits der Briefstandards des 19. Jahrhunderts, die sich vor allem in epischer Breite und detaillierten Beschreibungen ergehen. Es geht bei Cotta und Varnhagen nicht vorrangig um den Austausch von politischen Einschätzungen oder Entwicklungen, sondern vor allem um praktische Tagesgeschäfte, gekoppelt an das Tagesgeschehen. Dies ist vor allem durch den Duktus der Briefe Cottas vorgegeben, der einen expressiven, schnellen, oft gehetzten Stil mit vielen Abkürzungen und verschliffenen Buchstaben in seiner Korrespondenz pflegt und diese "Kurzform" offensichtlich auch seinem Korrespondenzpartner Varnhagen aufnötigt.

Erst nach Varnhagens Abberufung aus dem diplomatischen Dienst nimmt der Briefwechsel an inhaltlichem Gewicht zu, zumal Cottas "zunehmend auf die aktive Beeinflussung der deutschen zwischenstaatlichen Politik gerichtetes Wirken" zu einem wichtigen Thema der späteren Briefe wird. Sehr lobenswert und durchweg aufschlussreich, an vielen Stellen weit über einen Stellenkommentar hinausführend ist der Kommentar des Briefwechsels: "Der Briefwechsel ist engstens bezogen auf die publizistischen und verlegerischen Aktivitäten der miteinander und gelegentlich auch gegeneinander agierenden Korrespondenzpartner, und diese Aktivitäten finden innerhalb eines Netzes weiterer privater und öffentlicher Kommunikation statt, in dem der Austausch von Briefen zwischen Cotta und Varnhagen nur ein besonderer Teil ist. Lassen sich die Kommunikationsakte - Briefe und Zeitungsartikel - als Züge innerhalb eines großangelegten Manipulationsspiels begreifen, so ist es die Aufgabe des Kommentars, dieses Spiel im einzelnen Fall so weit zu rekonstruieren, wie es notwendig ist, um den Stellenwert einer Äußerung einsichtiger zu machen. Daher führen die Angaben oft weiter als es das einfache Verständnis der Stelle selbst erforderlich zu machen scheint und skizzieren auch weitergehende biographische oder historische Bezüge, die für Varnhagens oder Cottas Handeln von Bedeutung waren."

Damit wird der Kommentar zwar so umfangreich wie der Textkorpus, ist aber für den Leser eine unschätzbare, für Literatur-, Kultur- und Buchwissenschaft wertvolle Informationen aus dem Spannungsfeld zwischen Kultur und Politik entbergende Quelle für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Namensregister und der "Bibliografie von Varnhagens Beiträgen zur 'AZ'" am Ende des zweiten Bandes ist es eine leserfreundliche Edition. Vielleicht hätten noch einige Abbildungen das Lesevergnügen erhöhen können, aber es ist trotzdem ein Buch geworden, das viele Leser aus den Kultur-, Geschichts-, Buch- und Literaturwissenschaften verdient hat.


Titelbild

Karl August Varnhagen von Ense / Johann Friedrich Cotta: Briefwechsel 1810-1848. 2 Bände.
Textkritisch herausgegeben und kommentiert von Konrad Feilchenfeldt, Bernhard Fischer und Dietmar Pravida.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2006.
1030 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 376819700X

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