Goethe als solcher

Längst Bekanntes neu verpackt - Gero von Wilperts 101 Fragen zu Goethe privat

Von Almut VierhufeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Vierhufe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

101 Fragen - 101 Antworten, und alle drehen sich um "Goethe privat". Anders formuliert: Was wir schon immer über Goethe wissen wollten. Was hatte Goethe mit Frau von Stein?, Rauchte Goethe viel?, Wie kleinlich war Goethes Haushaltsführung? Bei Fragen wie diesen dürfen neben Einsichten in Vorlieben und Sympathien, Abneigung und Animosität, Alltägliches und Häusliches natürlich auch Auskünfte über Pikantes, Intimes und - so von Wilpert in einem seiner Fragenkataloge - über "Kuriosa" nicht fehlen. In neun Kapitel unterteilt stellt von Wilpert Fragen an den unverhohlen auch als "Mensch" sehr verehrten Dichter. Und dass die Antworten bei aller Seriosität, wie der Klappentext ausdrücklich betont, freilich auch cum grano salis zu nehmen und zu lesen seien, versichert der Autor bereits im Vorwort.

Es ist nicht uninteressant zu erfahren, ob Goethe von seinem schriftstellerischen Einkommen hätte leben können, ob und wie viel Steuern er zu zahlen hatte oder welche Ämter er in Weimar unter Carl August innehatte. Auch Antworten auf Fragen nach Aussehen, Kleidung und Charakter, Trink-, Ess- und Arbeitsgewohnheiten, Überlegungen zu den Gründen seines Hasses auf Raucher oder zu seiner Abneigung gegen Brillenträger und seinem Mundartgebrauch ("Ach neige, / du Schmerzensreiche") kommen nicht zu kurz. Ebenso wird über familiäre Verhältnisse, Liebschaften und Ehe bis hin zu den so genannten "Kuriosa" (das Kuriose an Themen wie Goethe und der Selbstmord, Goethe und die Hunde oder Goethes Erlkönig ist indes nicht jedem ersichtlich) detailliert Auskunft gegeben. Nur: Die Antworten sind nicht neu, sondern allseits bekannt.

Um die Schelte zu entschärfen: von Wilpert plagiiert sich selbst. Antworten auf die hier gesammelten "wichtigsten Fragen" hat er bereits, zum Teil in tatsächlich pointierter und manchmal sogar humorvoller Form in seinem 1998 erschienenen profunden Goethe-Lexikon gegeben. Die Reihe "Die 101 wichtigsten Fragen", die im Münchner Beck-Verlag zu verschiedenen Themen erscheint, erlaubt es nun, pünktlich zum 175. Todestag, einzelne Stichworte des Goethe-Lexikons herauszugreifen, im Stil von Kinder-Uni-Fragen umzuformulieren ("Wie war Goethe in der Schule?", "Klappte es mit Goethes Ehe?", "Hatte Goethe keinen Duden?") und die Antworten entweder wörtlich oder leicht gekürzt und zugespitzt aus den entsprechenden Artikeln des Lexikons zu übernehmen. So entsteht ein "Goethe ultra light". Das ist freilich nicht verwerflich, nur überflüssig.

In den Antworten finden sich mehrfache Wiederholungen, zum Beispiel bei "Was faszinierte Goethe an der Halsbandaffaire?" versus "Warum faszinierte der Hochstapler Cagliostro Goethe?", und "Kuriosa" finden sich nicht nur in von Wilperts letzter Fragenrubrik, sondern in seinen eigenen Formulierungen. Viele der Fragen und Antworten sind stilistisch etwas aus dem Ruder gelaufen oder zumindest mit einem nicht unbedingt leicht nachvollziehbaren Witz unterlegt, der so gar nicht Anlass zum Schmunzeln gibt, wie es von Wilpert im Vorwort verspricht. Eine Publikation, die mit einem "Augenzwinkern" zu nehmen sei, wie die Ankündigung betont, erlaubt natürlich auch "subjektive Nebenbemerkungen" (so von Wilpert in der Einleitung) und von diesen macht der Autor in Form von persönlichen Lebensansichten und eigenen "Maximen und Reflexionen" in seinen Goethe-Antworten ausgiebig Gebrauch.

Das hätte unterhaltsam sein können, wirkt hier aber leider störend, zum Teil geradezu irritierend. Denn warum muss das Thema "Goethe privat" zum Beispiel wiederholt für von Wilperts offensichtliche Aversion gegen Psychoanalyse und psychoanalytische Literaturinterpretation oder seine Abneigung gegen die jüngste Orthografiereform herhalten? Über Formulierungen wie "Doch Goethe war kein radikaler Rassist" im Zusammenhang mit seiner Abneigung gegenüber Hunden ("Kynophobie" diagnostiziert von Wilpert) oder über Sätze in (absichtlicher?) Friederike Kempner-Diktion, "Werther stirbt [...] an gebrochenem Herzen und einer Pistole", mag man hinweglesen - der sicherlich "gut gemeinte" Witz der Formulierung erschließt sich hier jedoch ebenso wenig, wie beim Postskriptum der Hunde-Antwort: "Was hätte Goethe wohl dazu gesagt, daß dieses Buch über ihn mit einem Hunde (Hunde-rtundeine Frage) anfängt?"

Leider sind das keine Einzelfälle. Wortspiele auf Kalauer-Ebene ("Frauenplan"), aber auch fragwürdige Formulierungen und fehlplatzierte Anachronismen verhindern eine originelle Darbietung der Informationen genauso wie die zahlreichen Meinungsbekundungen des Autors zu historischen und aktuellen gesellschaftspolitischen Themen, die jedoch mit Goethe so gar nichts zu tun haben. Und somit stellt sich auch die Frage nach dem Adressatenkreis dieses "Goethe light": Im Stil der Kinder-Uni sind nur die Fragen, nicht aber die Antworten. Die enthalten für den frisch an Goethe Interessierten oder gar den Eingeweihten zu wenig Goethe, zu viel von Wilpert.

Die sicherlich ironisch gemeinte Erklärung im Vorwort, dass trotz subjektiver Einschläge die Darstellungen zu Goethe "niemals despektierlich über Normales hinweg gingen, Übertriebenes ironisch und Falsches leicht satirisch" beleuchteten, verspricht amüsante Lektüre. Das ist sie nicht. Schade.


Titelbild

Gero von Wilpert: Die 101 wichtigsten Fragen: Goethe.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
166 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783406558726

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