Melancholie und Skepsis

Zu Golo Manns Briefen von 1932-1992

Von Horst SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Horst Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Sohn eines weltberühmten Vaters hatte es Golo Mann (1909-1994), das dritte von sechs Kindern des Schriftstellers Thomas Mann, Zeit seines Lebens nicht leicht, aus dem langen Schatten des von ihm verehrten übermächtigen Vaters herauszutreten und eine eigene Stimme zu finden. Die eigentlich angestrebte Laufbahn als Dichter und Romancier schloss Golo Mann angesichts der literarischen Potenz seines Vaters, seines ihm sehr nahe stehenden Onkels Heinrich und seines bewunderten Bruders Klaus von vornherein für sich aus. Stattdessen fand der literarisch hoch talentierte Angelus Gottfried Thomas Mann, so sein eigentlicher Name, nach der philosophischen Promotion (1932) bei Karl Jaspers schließlich seine Bestimmung als Historiker und Publizist.

Mit viel beachteten, rasch zu Standardwerken avancierten historischen Büchern wie "Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" (1958), der von ihm herausgegebenen "Propyläen Weltgeschichte" (1960-1965) und einer (später auch verfilmten) "Wallenstein"-Biografie (1971), sowie seiner Autobiografie "Erinnerungen und Gedanken" (1986) legte Golo Mann nach dem Zweiten Weltkrieg, den der passionierte Antifaschist im französischen und amerikanischen Exil sowie als US-Soldat erlebte, auch erzählerisch überzeugende Bestseller vor.

Als streitbarer politischer Publizist, der sich ideologisch nicht festlegen wollte und sowohl bei Linken wie bei Konservativen aneckte, galt der 1958 wieder aus den USA nach Europa zurückgekehrte Golo Mann, der 1968 die Schweizer Staatsbürgerschaft annahm, seit den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik als eine Art "Gewissen der Nation". Einige Jahre lehrte Golo Mann Geschichte in Münster beziehungsweise arbeitete als Professor für Politische Wissenschaften in Stuttgart. Seit 1963 lebte er als freier Schriftsteller und Publizist im Haus der Mutter im schweizerischen Kilchberg. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Golo Mann, der Zeit seines Lebens unverheiratet blieb und wie sein Vater unter seiner Homosexualität litt, meist bei der Familie seines verstorbenen Adoptivsohnes in Leverkusen.

In der Bundesrepublik war der rhetorisch brillante Golo Mann, der auch zahlreiche literaturkritische Arbeiten veröffentlichte, ein gefragter Redner. Unermüdlich bezog er als Publizist in allen großen Zeitungen und Zeitschriften der BRD und der Schweiz Stellung zu Themen der Zeitgeschichte und der aktuellen Politik. Ideologisch ließ Golo Mann sich nicht festnageln. Galt der vehemente Befürworter der Ostpolitik Willy Brandts einerseits bei vielen als Linker, so hatte er andererseits keine Sympathien für die revoltierenden Studenten der "68er"-Bewegung, die er in der "Zeit" mahnte: "Hört auf, Lenin zu spielen!"

Als Golo Mann 1980 öffentlich für den CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß eintrat, kostete ihn dies viele Sympathien bei Freunden und in der Öffentlichkeit. Zur gleichen Zeit kanzelte er aber auch Edmund Stoiber, den damaligen Generalsekretär der CSU, wegen dessen Verlautbarung, der Nationalsozialismus sei im wesentlichen Sozialismus gewesen, wie folgt ab: "Hitler einen Marxisten zu nennen, ist nun wirklich die äußerste Narretei!" Als 1989 die Mauer fiel, begrüßte Golo Mann dies zwar, der raschen Wiedervereinigung stand der überzeugte Kosmopolit, dem jeglicher Hurra-Patriotismus zuwider war, jedoch skeptisch gegenüber.

Nach der großen Biografie über Golo Mann von Urs Bitterli (2004) und der umfassenden Chronik und Bibliografie von Klaus W. Jonas und Holger S. Stunz ist im Herbst letzten Jahres eine hervorragende Edition von Briefen Golo Manns erschienen, die Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt beim Wallstein Verlag herausgegeben haben.

Wie Thomas, Heinrich, Klaus und Erika Mann war auch Golo Mann ein manischer Briefeschreiber. Viele der unzähligen Briefe, die er im Laufe seines Lebens verfasste, sind verloren gegangen, darunter leider auch - bis auf wenige Ausnahmen - die Korrespondenz mit seinem Bruder Klaus und seinen Eltern. Aus dem immer noch imposanten Konvolut der erhalten gebliebenen Briefe Golo Manns haben Tilmann Lahme, der an einer neuen Biografie Golo Manns arbeitet, und Kathrin Lüssi für ihre Edition 172 Briefe aus der Zeit 1932 bis 1992 ausgewählt, wobei der Schwerpunkt aufgrund der größeren Anzahl noch vorhandener Briefe auf den Jahren nach 1945 liegt.

Die Briefedition enthält Briefe Golo Manns an seine Familienmitglieder, an private Freunde und Freundinnen, an seinen Doktorvater Karl Jaspers, an Politiker wie Konrad Adenauer, Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel oder Edmund Stoiber, an Schriftsteller wie Ernst Jünger, Alfred Andersch, Josef Breitbach oder Rolf Hochhuth, an Publizisten und Kritiker wie Marion Gräfin Dönhoff, Joachim Fest, Hans Mayer oder Marcel Reich-Ranicki, an Historiker und Politologen wie Raymond Aron oder Hans-Ulrich Wehler und an viele weitere Zeitgenossen. Die Briefe sind chronologisch angeordnet und werden in einem vorbildlichen Anmerkungsapparat ausführlich kommentiert.

Golo Mann zeigt sich in seinen Briefen als großer Stilist. Indiskretionen oder gar pikante Einzelheiten aus Manns Privatleben oder dem seiner Briefpartner sucht der Leser vergeblich, stattdessen erscheint Golo Mann als oft melancholisch gestimmter Skeptiker, der jedoch nie seinen leisen Humor und die - seinem Vater so oft nachgerühmte - anscheinend wirklich typisch "Mann'sche Ironie" verliert. Der Ton der Briefe ist meist gelassen und abgeklärt, doch zeigen manche Briefe, zum Beispiel einige an seinen Doktorvater Karl Jaspers, mit dem Golo Mann sich später zerstritt, dass auch Zorn und Bitterkeit ihm nicht fremd waren.

Der schönste und menschlich bewegendste Brief stammt vom August 1989 und ist an Golo Manns alten Schulfreund Julio del Val Caturla gerichtet. Dort schreibt Mann in einem Postscriptum: "Alle den Menschen als solchen angehenden Weisheiten scheinen mir im Grunde einfach. Wer sich ein reifes Leben lang Mühe gab, wer Freude für sich und Andere suchte, wer mit angeborenen Schwächen so weit wie möglich zurecht kam, wer seine Talente nicht brach liegen liess, wer an Treue glaubte und sie übte, wer half, wo er helfen konnte und helfen Sinn hatte, wer einmal dies glaubte und einmal das, weil er eben ein Mensch und kein Engel war - was sollte der vom Tode fürchten?"

Golo Mann, so legen es seine in ihrer Summe durchaus als autobiografische Konfession zu verstehenden Briefe nahe, musste diese Angst wohl tatsächlich nicht haben.


Titelbild

Golo Mann: Briefe 1932-1992.
Herausgegeben von Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi.
Wallstein Verlag, Göttingen 2006.
535 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-10: 3835300032

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