Von Märkten und Menschen

Michel Houellebecqs Essayband Die Welt als Supermarkt

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vergangenen Herbst wurde auf der Frankfurter Buchmesse neben dem Nobelpreis für Günter Grass vor allem eine literarische Neuentdeckung, zumindest für den deutschen Buchmarkt, gefeiert. Michel Houellebecq sorgte mit seinen Romanen "Ausweitung der Kampfzone" und "Elementarteilchen" für Aufsehen. Gepriesen wurde er für seine Direktheit, seine Härte, vor allem was die Beschreibung von Sex oder sexuellem Scheitern angeht, seine Illusionslosigkeit und gelegentlich auch für seinen offen zutage tretenden Antiliberalismus. Letzterer wurde, je nach politischer Ausrichtung des jeweiligen Feuilletons, auch gern mal kritisiert. Den "wahren Houellebecq", so macht einen der Klappentext glauben, trifft man aber im vorliegenden Essayband.

Das wäre eine ziemliche Enttäuschung. Zwar finden sich darin hervorragende Passagen, die vor analytischem Scharfsinn und aggressivem Duktus strotzen, doch leider stößt man auch auf so manches Klischee und die eine oder andere Platitüde. Dass es bei Houellebecqs Ruf nicht ohne ein wenig Selbststilisierung geht, wenn er weiterhin als Zyniker und Nihilist gelten möchte, ist kaum erwähnenswert. Er erklärt sich selbst zum Antiliberalen und Kommunisten (kein Marxist). Die Einladung zu einer Vortragsreihe in den USA beschreibt er folgendermaßen: "offensichtlich wünschen mich diese Leute dafür zu bezahlen, dass ich wie gewöhnlich auf das Geld, auf die individuelle Freiheit, auf die Menschenrechte, auf die repräsentative Demokratie und auf raucherfreie Orte spucke." Ist das nun eine einfache Provokation oder etwa die selbstironische Inszenierung, die suggeriert, dass die Publikumserwartungen enttäuscht werden? Nein, ironisch ist hier nichts gemeint. Und wer das Folgende liest, kommt sich nicht besser vor als die einladenden US-Amerikaner. Houellebecq spuckt, wie man es von ihm verlangt. Doch mehr als den in Frankreich nicht allein in der Linken weit verbreiteten Anti-Amerikanismus hat er kaum zu bieten. Wer auf die eigenen "ethnographischen Betrachtungen" der US-amerikanischen Bevölkerung verzichtet, weil er das Bild bestätigt sieht, das Bret Easton Ellis in seinen Romanen gezeichnet hat - einen Campus an der Ostküste beschreibt er als "gigantische Arena der Fickerei" -,der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er in der Tat nicht viel zu sagen hat, sondern nur noch das Ritual der Provokation vollzieht.

Das Interessanteste, was "Die Welt als Supermarkt" zu bieten hat, sind die Äußerungen des Autors in Gesprächen zu dem, was ihn um ihn herum existenziell zu beschäftigen scheint: Kunst (im engeren Sinne die Literatur, ausdifferenzierter noch Probleme des Romans oder der Poesie), gesellschaftliche Erscheinungsmuster und vor allem die Konsequenzen von wirtschaftlichem und sexuellem Liberalismus. Aragons Vers, "die Zukunft des Mannes ist die Frau" inspiriert Houellebecq zu einer Reflexion über die Emanzipation der Frau, die seiner Ansicht nach eher dem Mann gelegen kam, der seine sexuellen Begegnungen vervielfachen konnte. "Darauf folgte die Auflösung des Paares und der Familie, das heißt, der beiden letzten Gemeinschaften, die das Individuum vom Markt trennten." Das Individuum sieht sich in der Gesellschaft nun den Gesetzen des Marktes unterworfen, der totalen "Numerisierung mikrosoziologischer Funktionen", der Selbstdefinition innerhalb numerischer Parameter, was die Einordnung in die ökonomische und erotische Hierarchie betrifft. Die ökonomische Rangordnung zieht dabei die schärfere Grenze: Verzweifelte der einen Ordnung finden sich zwar in der Disco, in der Hoffnung auf einen sexuellen Kontakt, die Verzweifelten der anderen Ordnung gehen jedoch nicht in den Supermarkt; er ist das Paradies der Moderne; an seinen Eingangstüren endet der Kampf des Alltags. Da im Zuge dieser Entwicklung die Religion völlig zu verschwinden droht und eine neue Ontologie nicht am Horizont aufscheint, bleibt es der Literatur überlassen der Beschleunigung und Vermarktung aller Lebensbereiche Widerstand entgegenzusetzen. Ihre Vorzüge gegenüber anderen Kunstformen werden knapp umrissen. In ihr scheint sich ein möglicher Stillstand zu manifestieren, der den Folgen des Marktes entgegenwirkt, "der Beschleunigung der Wahrnehmungen und Sinneseindrücke". Literatur kann man "in Wirklichkeit nur langsam schätzen lernen. [...] Es gibt keine Lektüre ohne Anhalten, ohne Rückwärtsbewegung, ohne Wiederlesen".

Wer mehr über Houellebecqs Thesen zu gesellschaftlichen Prozessen erfahren will, sollte seine Romane lesen. Seine Aufsätze sind oft prägnant in der Formulierung manchmal aber zu kurz, zu undifferenziert in der Ausführung. Die unterhaltsamen Kapitel, etwa die Polemik gegen Jaques Prévert oder das sehr schöne Lob des Stummfilms, machen die Lektüre jedoch zu einem lohnenden Vergnügen. Die Gespräche und Analysen wirken aber wie ein bloßer Appendix seines eigentlichen Werkes.

Titelbild

Michel Houellebecq: Die Welt als Supermarkt. Aus dem Französischen von Hella Faust.
DuMont Buchverlag, Köln 1999.
160 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3770149726

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