Nachrichten aus Babel

Robert Weningers verdienstvolle "Arno-Schmidt-Auswahlbibliographie" ist in einer zweiten Auflage erschienen

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Weil die Leute, statt des Besten aller Zeiten, immer nur das Neueste lesen, bleiben die Schriftsteller im engen Kreise der cirkulierenden Ideen, und das Zeitalter verschlammt immer tiefer in seinem eigenen Dreck", wusste schon Arthur Schopenhauer. Nicht nur Bibliotheken, sondern auch Bibliografien arbeiten diesem beklagenswerten Umstand seit jeher entgegen.

Letztere sind für Literaturwissenschaftler, die sich noch dazu mit einem viel interpretierten Schriftsteller wie Arno Schmidt beschäftigen, ein wichtiges Hilfsmittel. Karl Heinz Müthers Vollständigkeit anstrebende, seit vielen Jahren in bislang acht Fortsetzungen erschienene "Bibliographie Arno Schmidt" ist das A & O jedes Philologen, der sich mit dem Werk des Autors befasst. Allerdings fehle es ihr "aufgrund ihrer strukturellen Unübersichtlichkeit und ihrem [...] Umfang an Transparenz und Handlichkeit", bemerkt Robert Weninger in der zweiten Auflage seiner 1995 erstmals erschienenen "Arno Schmidt-Auswahlbibliographie". Seine Publikation sei "demgegenüber auf Benutzerfreundlichkeit und Übersichtlichkeit angelegt; sowohl dem Schmidt-Aficionado als auch dem neu zu Schmidts Werken stoßenden Leser und Forscher soll sie eine schnelle Orientierung in der Flur der Publikationen der vergangenen Jahrzehnte ermöglichen".

Tatsächlich hat sich Weningers schmales Heftchen seit seinem ersten Erscheinen in eben diesem Sinne bestens bewährt. Unveröffentlichte Hochschulschriften, Rezensionen, Miszellen, Glossen, kürzere Beiträge und Zeitungsartikel fallen in seiner Sekundärliteraturauswahl in der Regel unter den Tisch und verstellen so nicht den Blick auf wesentliche Aufsätze, Sammelbände und Monografien der letzten Jahrzehnte. Ebenso funktional ist die einfache Gliederung der Bibliografie, die unter Werktiteln und verschiedenen übergreifenden Themenkomplexen jeweils chronologisch geordnet ist.

So hat jemand, der ungeachtet Schopenhauers eingangs zitierten Urteils zunächst einmal die neuesten Forschungsbeiträge zu einer der Rubriken sucht, bei Weninger leichtes Spiel - muss er sich doch lediglich an den links vor den Titeln übersichtlich aufgelisteten Jahreszahlen orientieren. Gleichzeitig hat er damit so etwas wie ein chronologisch geordnetes Ultra-Digest der Forschungsgeschichte zu dem jeweiligen Gegenstand vor Augen - ohne dass er dafür groß umherblättern und gleichsam in der Bibliografie bibliografieren müsste. Die knappe Sekundärliteraturliste zu Arno Schmidts Erzählband "Kühe in Halbtrauer" (1964) beginnt zum Beispiel mit einem (mittlerweile eher vergessenen) Aufsatz einer gewissen Brigitte Degener, der 1975 im "Bargfelder Boten" erschien - und endet 2002 mit Gregor Stricks "Lektüre" von Arno Schmidts Geschichte "Windmühlen", einem wirklich wichtigen Beitrag aus dem "Zettelkasten", dem Jahrbuch der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser (GASL).

Ob und inwiefern Weningers subjektive Auswahl im Einzelfall nachvollziehbar ist, müssen die wissenschaftlichen Benutzer kommender Jahre entscheiden. Dass sich über die Aufnahme gewisser Titel trefflich streiten lässt, liegt in der Natur der Sache. So ist es nicht eben verwunderlich, dass Veröffentlichungen, die wie Weningers nützliche Publikation aus dem Hause text + kritik stammen, auch dann Eingang in die Bibliografie gefunden haben, wenn sie schon bald nach Erscheinen von der Fachkritik verrissen worden sind - wie z.B. der von dem Trio Infernale Guido Erol Öztanil, Rainer Hendricks und Wolf-Dieter Krüger verbrochene Band "Bilderkacheln. Das Album zu Arno Schmidts Roman 'Das steinerne Herz'".

Eine erste, kursorische Durchsicht der insgesamt bis 2006 aktualisierten Bibliografie erweckt jedoch den Eindruck, als habe Weningers strenge und sachdienliche Sichtung nennenswerter Beiträge seit 1995 alles in allem keinen Qualitätsverlust erlitten. Studierende, die etwa eine erste Hausarbeit über Schmidt schreiben wollen, sind mit seiner Veröffentlichung nach wie vor bestens bedient.

Dabei fallen peinliche, letztlich wohl in jeder Bibliografie irgendwo vorkommende Irrtümer nicht sonderlich ins Gewicht, sollten aber benannt werden. Dass etwa der Rezensent in Weningers Auswahl mit einem Buch vertreten ist, das es mit dem Erscheinungsjahr (2005), in dem Verlag (Aisthesis, Bielefeld) und mit dem Titel ("'Expeditionen in Urwälder des Alleinseins'. Eine vergleichende Studie zu den Werken Arno Schmidts und Thomas Bernhards") überhaupt nicht gibt, hat gewiss Kuriositätswert.

Aber dass die "Bibliothek von Babel" immer einmal wieder mit Buchphantomen wie dem bei H. P. Lovecraft so oft beschworenen "Necronomicon" bereichert wird, tat der Phantasie und dem bibliografischen Spürsinn der Leser ja noch nie Abbruch.


Titelbild

Robert Weninger: Arno Schmidt - Auswahlbibliographie. Wissenschaftliche Sekundärliteratur nach Titeln und Themen. 2. Auflage.
edition text & kritik, München 2007.
118 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783883778549

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