Vom Ruhm und Ende eines großen jüdischen Warenhauses

Erica Fischer und Simone Ladwig-Winters über die Wertheim-Dynastie

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kaum ein anderes Warenhaus war Wertheim in Berlin am Leipziger Platz lange Zeit der Inbegriff des modernen Konsums. Hier trafen Menschen aus allen Schichten zusammen. Für jedes Bedürfnis war gesorgt. Gab es doch bei Wertheim alles zu kaufen, was das Herz begehrte.

Die überlieferte Familiengeschichte der Wertheims beginnt mit Lewin Cohn (1746-1851), der zehn Mäuler zu stopfen hatte und wie die meisten armen Juden in der damaligen Zeit sich und seine Familie mit Trödler- und billigen Krämerprodukten über Wasser hielt. Mit einem Tragegestell zog er von Ort und Ort und versuchte, seine Waren an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen. Rechtlich gesehen war er in Preußen nur ein geduldeter Untertan und wie alle Juden in jener Epoche von staatsbürgerlicher Gleichheit vor dem Gesetz weit entfernt.

Seine Söhne Joel (1791-1866) und Joseph (1784-1863) schlugen sich als "Bänderjuden" mit einem Bauchladen in Wertheim am Main durch und legten sich den Namen Wertheim zu, wahrscheinlich auf Anraten des dortigen Bürgermeisters. In den folgenden Jahrzehnten ging es dann mit den Wertheims rapide aufwärts.

Vor allem Georg Wertheim (1857-1939), dem Enkel von Joseph Lewin Wertheim, verdankt die Familie Glanz und Ruhm. Er und seine Warenhäuser stehen daher auch im Mittelpunkt des fakten- und detailreichen Buches "Die Wertheims", das die Historikerin Simone Ladwig-Winters und die durch den Bestseller "Aimée und Jaguar" bekannt gewordene Autorin Erica Fischer verfasst haben. Dabei haben sie sich nicht nur auf zahlreiche frühere Veröffentlichungen, Dokumente und Archivmaterial gestützt, sondern auch auf das von Georg Wertheim 1904 begonnene Tagebuch zurückgegriffen. Seine Notizen durchziehen den Band wie ein roter Faden.

Als junger Mann war Georg Wertheim 1885 von Stralsund in die damalige Reichshauptstadt gezogen, um mit einem kleinen Geschäft im Zentrum der Stadt sein Glück zu versuchen. Tüchtig, umsichtig, nüchtern kalkulierend und zugleich kühn erweiterte er sein Unternehmen Schritt für Schritt, bis das Warenhaus Wertheim Anfang des 20.Jahrhunderts weltweit zu einem Begriff geworden war. Aber Georg Wertheim, ein von seiner Arbeit besessener Unternehmer, den die Angestellten voller Ehrfurcht "königlichen Kaufmann" nannten, war auch ein kunstsinniger Mann, der sich für sein Haupthaus an der Leipziger Straße einen der besten Architekten seiner Zeit ausgesucht hatte: Alfred Messel. Schnell hatte das Haus Wertheim, das einmal sogar der Kaiser mit seinem Besuch beehrte, die Berühmtheit der Pariser Kaufhäuser überflügelt.

Die Verfasserinnen weisen auf das umfangreiche Überwachungssystem des Wertheimer Warenhauses hin, auf die Änderungen in der Mode und machen deutlich, dass bekannte Schriftsteller und Politiker Wertheim wiederholt aufgesucht haben. So begleitet Scholem Aleichem in dem Briefroman "Marienbad" seine Heldin, die Warschauerin Beltschi Kurländer, in das Warenhaus Wertheim und schildert, wie sie in den Sog der Menge gerät und wie sehr sie einen der Lichthöfe des Warenhauses bewundert: "überall blitzt und funkelt es von den unzähligen Lampen".

Gustav Stresemann, der spätere Reichskanzler der Weimarer Republik, beschreibt 1900 ebenfalls seine überaus positiven Eindrücke, die er im Warenhaus gewonnen hat, und gibt Ratschläge, wie man hier einen schönen Nachmittag bei einer "Tasse Chokolade nebst dem obligaten Stück Torte oder Apfelkuchen" verbringen kann. Sogar der sizilianische Dramatiker und Erzähler Piermaria Rosso di San Secondo bestätigt in Reportagen für italienische Zeitungen den "grandiosen Ruf des Hauses, in dem man alles kaufen konnte, vom ausgereiften Ziegenkäse bis zur Parsifal-Partitur."

Die Autorinnen gehen auch auf die Familiengeschichte ein und schildern etwa, wie einmal Wolf Wertheim, der jüngste der Wertheim-Brüder, der überdies als schwarzes Schaf galt, einen "gigantischen Familienzwist" auslöste. Sie erwähnen, dass es unter den Wertheim-Frauen treue und untreue gegeben habe, und stellen Georgs Mutter Ida, die mit Abraham Wertheim verheiratet war, ausführlich vor. Als erste und einzige Frau bei den Wertheims entwickelte sie unternehmerische Fähigkeiten. Nebenbei schenkte sie in der kurzen Zeitspanne von vierzehn Jahren neun Kindern das Leben, die allesamt deutsche Namen erhielten. Bis zu ihrem Tod war sie der emotionale Mittelpunkt der Familie. Natürlich fehlte es nicht, wie schon oben angedeutet, an innerfamiliären Konflikten, die aber stets innerhalb der Familie geschlichtet wurden. Denn ihr Erfolgsrezept lautete: unbedingter Zusammenhalt und pragmatische Nutzung dessen, was ohnehin nicht zu ändern war, beispielsweise wenn ein Familienmitglied eine Christin heiratete und zum Christentum übertrat. Dann fand man sich damit ab.

Apropos Religion. Während Georgs Vater Abraham Wertheim in Stralsund noch regelmäßig in die Synagoge gegangen war, spielte für seine Söhne Georg, Wilhelm und Franz die Religion keine Rolle mehr. Alle drei konvertierten zum Christentum. Sie wollten in erster Linie als deutsche Staatsbürger Anerkennung finden. Doch war der Aufstieg der Familie, so betonen Simone Ladwig-Winters und Erica Fischer, von Anfang an von Anfeindungen und Antisemitismus begleitet. Auch Georg Wertheim musste die traurige Erfahrung machen, dass der Antisemitismus vor dem Taufschein nicht Halt machte.

Daneben schimmert durch die Familiengeschichte immer wieder die Geschichte von zwei Jahrhunderten deutsch-jüdischer Beziehungen hindurch. Rund 65 Jahre waren die Wertheims zumindest formal gleichberechtigte Bürger, bis die Nazis an die Macht kamen und dem Glanz und Ruhm der Wertheim'schen Dynastie ein jähes Ende bereiteten.

Lange Zeit hatten die Wertheims wie viele ihrer Zeitgenossen die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging, nicht wahrhaben wollen - auch nicht, dass die "arische" Wirtschaftselite allmählich an die einst geschmähten Nazis heranrückte.

Bereits 1933 versuchte das Reichsfinanzministerium, über entsprechende Verwaltungsvorschriften jüdische Warenhäuser und Geschäfte zu schwächen. Am Ende stand die Enteignung, so dass Georg Wertheim eines Tages in seinem Tagebuch voll Bitterkeit vermerkte: "Austritt aus dem Geschäft. Firma als deutsch erklärt."

Georg Wertheim starb am 31. Dezember 1939 "an Grippe mit Lungenentzündung im beinahe 83tem Lebensjahr um 9.20 Uhr abends", wie seine Frau Ursula in seinem Tagebuch festgehalten hat. Wie aber erging es den übrigen Mitgliedern der Familie? Einige emigrierten und fristeten in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien ein ärmliches Leben. Andere wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Nach der "Arisierung" durch die Nationalsozialisten fand die Geschichte des jüdischen Unternehmens ihr Ende. Doch der Name Wertheim lebte weiter. Nur hatten die ursprünglichen Eigentümer damit nichts mehr zu tun. Unberührt vom Schicksal der Firmengründer und deren Erben wurde der Geschäftsbetrieb gleich nach Kriegsende unter dem alten Namen Wertheim aufgenommen.

Der Mauerfall und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat das Warenhaus wieder ins Gespräch gebracht und - durch das Auffinden neuer Dokumente - die Besitzverhältnisse ehemaliger Wertheim-Grundstücke in ein neues Licht gerückt.

Barbara Principe, die als Sechsjährige mit ihren Eltern Günther und Frieda Wertheim 1938 nach Amerika emigriert war, kämpfte daher viele Jahre um Wiedergutmachung "dafür, dass sie, ihre Kinder und Enkelkinder der eigenen Familiengeschichte beraubt wurden." Die Erben der Warenhausdynastie leiteten gegen den Karstadt-Quelle-Konzern, der von Hertie das Warenhaus Wertheim erworben hatte, als potenziellen Rechtsnachfolger ein Betrugsverfahren ein.

Der Karstadt-Quelle-Konzern hat sich im Frühjahr 2007 bereit erklärt, die Erben der von den Nazis enteigneten jüdischen Kaufmannsfamilie Wertheim auf außergerichtlichem Wege mit 88 Millionen Euro zu entschädigen, nachdem sich die Bundesregierung im Jahr 2005 mit den Erben über eine Entschädigung von 17,3 Millionen Euro für die Rechte am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages, das auf früherem Wertheim-Grund steht, geeinigt hat.

Doch zurück zu dem hier besprochenen Band über die "Wertheims". Auf den ersten Blick wirkt er mit seinen vielen Fotos aus Familienbesitz und seiner Fülle von Daten und Namen recht informativ. Nur gut, dass das Buch eine Stammtafel enthält sowie ein Personenregister und Anmerkungen, die dem Leser die Orientierung erleichtern.

Wer jedoch eine faszinierende Familiengeschichte erwartet hat, wird enttäuscht. Denn im großen und ganzen mutet das Buch etwas uninspiriert an und seine Lektüre ist auf Dauer eintönig und ermüdend. Das hätten die Verfasserinnen leicht vermeiden können, wenn sie etwas lebendiger und spritziger erzählt und nicht die Entwicklung der Wertheim'schen Warenhäuser zu sehr in den Vordergrund gerückt hätten - vor allem aber, wenn sie nicht hin und wieder in einen Illustriertenstil verfallen wären. So entbehrt die Lektüre der Spannung, obwohl die deutsch-jüdische Geschichte und ihr katastrophales Ende nicht oft genug beschrieben werden kann.


Titelbild

Erica Fischer / Simone Ladwid-Winters: Die Wertheims. Geschichte einer Familie.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2004.
385 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3871344435

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