Innere Distanz

Louis Begley kann mit seinem neuen Roman "Ehrensachen" nicht recht überzeugen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei junge Männer und ein Mädchen, Harvard in den fünfziger Jahren, ein polnischer Auswanderer, der den Krieg überlebt hat: was für ein Stoff! Freundschaften, Liebe, Karriere, Weltkrieg, Holocaust. Ein Bildungsroman, ein großer gesellschaftlicher Entwurf mit amerikanischen Eliten und hart arbeitenden Immigranten.

Eigentlich ist Henry ein Eindringling. Als er nach Harvard kommt, an das beste College des Landes, freundet er sich mit seinem Zimmergenossen Stan Standish, dem Erzähler des Romans, an, der aus einer altadeligen Familie stammt: einer seiner Vorfahren war sogar auf der "Mayflower": Bei den Amerikanen zählt das viel. Stan ist allerdings nur der Adoptivsohn seiner Eltern, die leider nicht mehr den luxuriösen Standard von früher halten können. Henrys anderer Zimmergenosse in Harvard ist Archibald P. Palmer III. Er kommt aus einer Familie von Militärs, vermögend genug, um sich die teure Ausbildung leisten zu können - aber nicht auf dem 'Feld der Ehre' erarbeitet, sondern mit schnöden Antiquitätengeschäften. Archibald kennt sich vor allem mit gesellschaftlichen Gepflogenheiten aus, mit Martini-Rezepten und smalltalk. Es braucht eine Weile, bis man herausbekommen hat, dass hinter dieser Fassade ein sehr kluger, etwas verschreckter Kopf steckt.

Und dann Henry selbst, Henry White. Sein eigentlicher Name ist Henryk Weiss. Er kommt aus Polen und hat den Krieg überlebt, in Krakau. Seine Freunde denken natürlich, er sei Katholik. Aber dann erzählt Henryk, dass er Jude ist, dass er sich mit seinen Eltern verstecken musste, immer in Todesangst. Und nun leben sie in Brooklyn und sorgen sich darum, wie es ihm geht. Vor allem die Mutter ruft ständig an und versucht ihn zu beeinflussen, zu gängeln, zu kontrollieren. Sie liebt ihn eben. Oft diskutieren sie miteinander, wie das ist mit dem Jüdischsein. "Warum hast du keine jüdischen Mitbewohner?" fragt sie: "Du hättest jüdische Mitbewohner verlangen können." Warum aber hätte er das sollen? Auch Stan versteht es nicht ganz und fragt ihn einmal, ob er versuche, kein Jude zu sein: "Das gibt es nicht, sagt er. Du wirst als Jude geboren, und als Jude stirbst du. Hitler hat es bewiesen." Lange wird im Roman über diese Frage nachgedacht: "Solange es Leute gibt, die es kümmert, ob ich ein Jude bin, der vorgibt, keiner zu sein, so lange muss ich Jude bleiben, auch wenn ich mir innerlich nicht jüdischer vorkomme als ein geräucherter Schweineschinken."

Es ist Begleys achter Roman, ein sehr ausufernder, wieder einmal etwas biografisch unterfütterter Bericht über sein Leben. Es ist, als wenn er nach "Lügen in Zeiten des Krieges" die Geschichte des jüdisch-polnischen Jungen, der er selber war, weitererzählt und auch die Suche nach der jüdischen Identität weiterführt. Stilistisch sehr sicher erzählt Begley nicht nur die Geschichte dreier Außenseiter in der Elite eines Landes, das immer noch nur Erfolge aufzuweisen hat - nach den beiden gewonnenen Weltkriegen und lange vor dem Vietnamkrieg. Ein Land, das vor Selbstbewusstsein strotzt, das seinen aufstrebenden Jugendlichen alle Chancen bietet, wenn sie sich nur anpassen. Das aber auch dunklen Seiten hat: Antisemitismus, Frauenunterdrückung, Druck zur bedingungslosen Anpassung, Verurteilung von Homosexualität.

Zwischen diesen Polen schwingt Begleys Roman, auch wenn es oft nur recht oberflächlich zugeht, wenn es sich um unverbindlichen Sex, Autos, Drinks und Abendgesellschaften dreht, um den universitären Alltag, das Campusleben und die erstickende Mutterliebe.

Es ist ein Buch geworden, das einen großen Bogen spannt, ein wenig Philipp Roth mit John Updike zu mischen versucht. Leider ist es etwas zu geschwätzig, in vielen Kleinigkeiten etwas zu ausführlich, als das es richtig plastisch würde. Außerdem wird gerade die Erzählerfigur, der Romanautor Standish nicht so richtig lebendig, und die Zerrissenheit des überlebenden Juden wird immer nur angedeutet. Wie ein Schleier liegt eine innere Distanz zu den Personen über dem Buch, als ein Hauch von Gefühllosigkeit oder sogar Desinteresse des Autors.

So hat Begley, der mit seinen Romanen um Mr. Schmidt und den "Problemen" von reichen Leuten schon einmal sehr langweilen konnte, auch mit diesem Buch nicht an seinen epochalen Erstling anschließen können.


Titelbild

Louis Begley: Ehrensachen. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
444 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518418703

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