Realsozialistische Kindheit im Amibungalow

Über Bastienne Voss' Familiengeschichte "Drei Irre unterm Flachdach"

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Drei Irre unterm Flachdach" ist ein durchaus verheißungsvoller Titel, wenn man ungewöhnliche, nichtalltägliche Familiengeschichten sucht. Und auch der Beginn der autobiografischen Aufzeichnungen von Bastienne Voss lässt den Leser bereits eine Geschichte der besonderen Art erwarten, wenn er in den ersten Zeilen des Prologs erfährt, dass Gustav, der Großvater, im KZ war "und deshalb ein Ding am Laufen hatte", was auch an seiner Familie nicht spurlos vorüberging: "In unserer Familie hatten also mindestens drei Leute eine Macke: Opa, Oma und ich. Genau deshalb hielten wir es gut miteinander aus. 13 Jahre lang polterte Großvater durch mein Leben. 13 Jahre lang fürchtete ich mich vor dem Tyrannen und Wundertäter, den ich abgöttisch liebte."

Ein interessantes Spannungsfeld, das sich hier auftut, möchte man meinen, mit einem Großvater, der geprägt ist von Verfolgung und KZ, seine Erinnerungen aber streng unter Verschluss hält und diese allenfalls alleine im Keller auslebt. Und der gleichzeitig mit schwejkhafter Schlitzohrigkeit genau diese Vergangenheit als VdN (Verfolgter des Naziregimes) ausnutzt, um sich Vorteile im DDR-Alltag wie bei der Versorgung mit "Bückware" zu verschaffen.

Bastienne Voss versteht es, humorvoll, anschaulich und interessant von den Begebenheiten ihrer ungewöhnlichen Kindheit zu erzählen, die sie im "Ami-Bungalow" der Großeltern verlebt, da ihre Eltern als Tanzstudenten und -lehrer in Moskau arbeiten, was ihr bei den Schulkameraden einigen Argwohn einbringt: "Nichts hatte ich zu bieten als einen durchgeknallten Opa und eine unmögliche Oma, die billige Schlager grölte." So konzentrieren sich ihre Beziehungen, von wenigen Freunden wie "Ziegen-Oskar" und Nelly Machnitzki, der "Vierteljüdin", abgesehen, auf ihre Großeltern, insbesondere Großvater Gustav, der eiserne Regeln für das Leben im selbstgebauten Bungalow aufstellt. "Andere hatten keine Bedürfnisse, keine Wünsche zu haben. Sie hatten zu funktionieren. Er konnte nicht teilen, und er hatte kein Mitleid. Er kannte kein Entgegenkommen, keine Hilfsbereitschaft."

Ebenso wie Großmutter Wilma bringt es "Mausi" mit den Jahren zu wahrer Meisterschaft im Umgang mit den Schrullen und Marotten ihres Großvaters, der allerorts als cholerischer Außenseiter, auch "Terror-Täve" genannt, aneckt. Und so lässt es sich auch durchaus amüsant an, wenn wir über den ewigen Wettstreit mit den Westverwandten um das bessere System erfahren, mit "Mausi" den 1. Mai in Moskau erleben, uns mit ihr für die Fressattacken des Großvaters schämen, über seinen grenzenlosen Geiz ärgern oder seinen zahllosen Versuchen zuschauen, das leckende Flachdach endlich dicht zu bekommen.

Im Endeffekt bietet Voss jedoch, allem erzählerischen Talent zum Trotz, leider nicht wirklich mehr als eine Aneinanderreihung unterhaltsamer und mitunter nachdenklich stimmender Anekdoten. Diese werden zunehmend flacher, als sie über ihre weitere Jugend und junge Erwachsenenzeit nach dem Tod des Großvaters und im Verlauf der "Wende" berichtet. Fast wirkt es so, als hätte sie den lebhaften Erinnerungen des Kindes nichts Entsprechendes als Erwachsene entgegenzusetzen. Die weiteren Ereignisse - vom Internatsleben über erste Liebesbeziehungen bis hin zum Konsumverzicht im DM- und Bananentaumel - wirken blass und farblos und eher "der Vollständigkeit halber" ergänzt.

Auch den Kindheitsschilderungen hätte ein distanzierendes Moment, das das Reflexionsvermögen und die Lebenserfahrung der erwachsenen Bastienne mit einbezieht, recht gut getan. Vielleicht war es die große emotionale Nähe zu den Großeltern, die es Voss unmöglich machte, bei aller Authentizität mit größerer Distanz und Abstraktionsvermögen auf die eigene Familiengeschichte zu blicken, wie dies etwa Uwe Timm in "Am Beispiel meines Bruders" gelang.

So ist "Drei Irre unterm Flachdach" eher eine Epsiodensammlung aus der jüngeren DDR-Geschichte, die vor allem denjenigen eine Freude bereiten dürfte, die gerne in ostalgischen Erinnerungen schwelgen. Die Leser jedoch, die eine Auseinandersetzung mit dem - durchaus spannenden - Thema des Lebens ehemaliger KZ-Häftlinge in der DDR, dem (Nicht-)Umgang mit deren seelischen Verkrüppelungen und den Auswirkungen auf die Kinder- und Enkelgenerationen suchen, werden hier nicht wirklich fündig werden.


Titelbild

Bastienne Voss: Drei Irre unterm Flachdach. Eine Familiengeschichte.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007.
238 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783455500202

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