Kommt sie, bleibt sie?

Der zweite Roman der Alfred-Döblin-Förderpreisträgerin Heike Geißler berichtet von einer Schreibkrise

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heike Geißler kann richtig gut schreiben, das hat sie bereits in ihrem Debüt-Roman "Rosa" gezeigt. Ihr Stil verführt und nimmt den Leser mit, sogar bei einer Geschichte, die zunächst nicht so gelungen erscheint wie ihr erster Roman. "Nichts, was tragisch wäre" beginnt mit einer Szene auf einem Dach, eine Frau in einem pompösen Kleid denkt über Selbstmord nach. Zu Szene und Figur gesellen sich weitere, deren Verbindung erst nach und nach enträtselt werden kann. Da ist "die, um die es geht": Eine Autorin hat eine Schreibkrise, sie kann eine bereits entworfene und in Worte gebrachte Geschichte nicht zum Ende führen. Warum? Weil ihrer Lieblingsfigur die neue Version nicht gefällt. Darin soll sie, statt mit einem Pferd über die Felder zu reiten, einen Herrn kennen lernen und mit ihm in eine engere Verbindung treten, was ihr überhaupt nicht zusagt. Also entzieht sie sich ihrer Autorin, fällt auf die Anlockungsrituale nicht herein, sondern bleibt lieber beim Schimmel. Die Auseinandersetzungen führen nicht zum Ziel: Beide Figuren bleiben unbefriedigt.

Die dritte Figur, "Ich, die ich die Dinge in Folge reihe", bemüht sich darum, die Geschichte einigermaßen nachvollziehbar zu erzählen, reflektiert über die Probleme einer Autorin ohne Lieblingsfigur. Drei Erzählstimmen also, die immer wieder miteinander in Kontakt geraten, aber für eine Überwindung der Krise reichen die Begegnungen nicht.

Dabei probiert "die, um die es geht" so einiges, um ihre Lieblingsfigur aus der Anarchie zu holen und zurück in eine geordnete Geschichte. Sie zieht vorübergehend in einen Bungalow auf dem Land, beschwört immer wieder die Lieblingsfigur, aber nichts hilft. Ihr bleibt nur der tragisch-kitschige Selbstmord, der Sprung vom Dach. Aber auch das wird nicht ausgeführt, das Aufgehen im Bild der Vorgängerin (Dorothy Hale) unterbleibt. Denn die Sehnsucht stirbt zuletzt.

Die Perspektive wechselt zwischen den Positionen und macht so etwas greifbarer, nachvollziehbar, von dem "ich, die ich die Dinge in Folge reihe" zu Beginn nicht versteht, wieso es dazu kam, wieso die Autorin auf dem Dach steht und sich hinunterstürzen will. Sie geht in die Distanz, schafft sich zum "Ich" das "sie" und geht in die Geschichte hinein. Auch wenn es schwierig ist für die Leserin, sich diesem Durchschreiten anzuschließen, lohnen die leise Ironie des Textes und der Humor zwischen den Zeilen. Da steckt Liebe für die Figuren drin, die sich aus der Distanz und der Trennung speist.

Der Roman überzeugt nicht so eindeutig wie das Debüt, doch ist er stilsicher und gewährt eine Tiefendimension, die den Leser herausfordert. Ein ergiebigeres Thema wäre allerdings zu wünschen, denn das Abhandenkommen der Lieblingsfigur bleibt in der Geschichte diffus stecken.


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Heike Geißler: Nichts, was tragisch wäre. Roman.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783421042194

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