Warum diese Wut

Rainer Werner Fassbinders "Theaterstücke" in einer Neuausgabe

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist im November des Jahres 1985, als der Gerichtsbeschluss zum Fall "Aktenzeichen 2/4 Ö 3131/85" den Rechtsstreit zwischen zehn jüdischen Bürgern und der Stadt Frankfurt beendet.

"Bei einem Theaterstück, in dem das Problem des Antisemitismus angesprochen wird, umfasst die Kunstfreiheit auch die Möglichkeit, einzelnen Personen des Stückes antisemitische Äußerungen in den Mund zu legen." Zu berücksichtigen sei dabei, "dass die beanstandeten Äußerungen auf einer Bühne fallen, also in einer fiktiven Realität einer Theateraufführung", und dass sie dabei "einer eindeutig negativ gezeigten Person in den Mund gelegt werden." So die Begründung des Gerichts, das die Kläger dazu verurteilte, sämtliche Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie nicht glaubhaft machen konnten, dass die vorgesehene Aufführung antisemitisch sei.

Kurz vorher, am 11. 11. 1985, hatte der damalige Intendant des Frankfurter Schauspiels, Günther Rühle, bekannt gegeben, auf die Aufführung vorerst zu verzichten, weil "die Auseinandersetzungen eine solche Verfestigung der Standpunkte erreicht haben, dass eine erkennende Wahrnehmung des Stückes nicht mehr gewährleistet ist." Eine geschlossene Presse-Aufführung des Stückes fand durchgehend folgendes Urteil: Das sei zwar keine große Literatur, aber auch nicht antisemitisch.

Die Rede ist von "Der Müll, die Stadt und der Tod", Rainer Werner Fassbinders letztem Theaterstück. Bis heute wurde es in Deutschland nicht offiziell aufgeführt. Die Uraufführung fand 1987 - 12 Jahre, nachdem Fassbinder es verfasst hatte - in einem kleinen Off-Theater in New York statt. Und auch in Israel ist es mittlerweile auf einer Bühne zu sehen gewesen. Selten hat ein Stück eine solch große Kontroverse in Deutschland ausgelöst.

"Der Müll, die Stadt und der Tod" ist typisch wütendes Fassbinder-Theater. Die Stadt Frankfurt wird als düsterer Moloch gezeigt, in der Geld und Prostitution regieren, ein faulender Organismus, so dunkel wie die Bilder von Otto Dix und George Grosz. Fassbinders Figuren sind wütend, ihre Sprache ist es ebenfalls. Zumeist geht es um Unterdrückung und Unterwerfung, aber auch um Ausbruchsversuche. Sie sind gefangen in selbst geschaffenen, dystopischen Welten, die unbequem nah an der Wirklichkeit liegen. Vermeintlichem Glück folgt zumeist Verrat. Die Figuren schwanken zwischen Beherrschtheit aus Überzeugung und Gewaltausbrüchen, zwischen Sadismus und Masochismus.

So etwa gehen die weiblichen Hauptfiguren aus zwei von Fassbinders am häufigsten gespielten Dramen völlig unterschiedlich mit ihren männlichen Unterdrückern um. Myra aus dem fragmentarisch-collagenartigen "Preparadise sorry now" unterwirft sich dem nationalsozialistische Ideologien verfolgenden Ian völlig. Sie beteiligt sich an seinen gewalttätigen Experimenten, quält mit ihm "minderwertige" Menschen bis zum Tod. Geesche Gottfried aus der "Bremer Freiheit" hingegen wehrt sich, vergiftet nach und nach alle ihre Unterdrücker und verfällt zum Ende so sehr ihrer eigenen wahnhaften Logik, dass sie eine Freundin mit der Begründung vergiftet: "ich habe dich davon bewahren wollen, das Leben, das du führst, noch weiter führen zu müssen."

Fassbinders Sprache ist dabei sehr eigen, gegen jegliche Hörgewohnheiten, im reduzierten Stakkato mit ungewohntem Satzbau, mit negativ-sexuellen Ausdrücken durchzogen und immer die Machtverhältnisse zwischen den Figuren darstellend. Dass das nun große Literatur sei, wurde oft genug bezweifelt. Fassbinder schrieb schnell und produzierte noch schneller Filme, sein ganzes Leben bestand aus gehetzter Arbeit, sein früher Tod schien eine Folge dieser Hetze zu sein. Ob das seinen Texten eher dienlich oder schädlich war, ist schwer zu sagen. Schaut man auf die Spielpläne deutscher Theater, hat es den Dramen wohl gut getan: Fassbinder ist einer der meistgespielten modernen Autoren Deutschlands.

Der im Verlag der Autoren zu Fassbinders 60. Geburtstag erschienene Band "Theaterstücke" versammelt nicht alle seine Dramen, aber doch die wichtigsten, inklusive "Der Müll, die Stadt und de Tod." Hinzu kommen zwei Hörstücke und eine detaillierte Inszenierungsgeschichte der abgedruckten Werke. Besonders gelungen ist dabei die neutral chronologische Auflistung der Ereignisse rund um "Der Müll, die Stadt und der Tod."

So zeigt der Band Fassbinder'sche Wut und seine Wirkung par excellence - und es liegt in der Entscheidung des Lesers, ob er diese zu schätzen weiß.


Titelbild

Rainer Werner Fassbinder: Theaterstücke. Erweiterte und veränderte Neuausgabe.
Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 2005.
674 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3886612813

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