Mit großem Wahrheitsanspruch

In seiner Ausführung lädt Ernst Klees "Kulturlexikon zum Dritten Reich" zur Kritik ein

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ernst Klees "Kulturlexikon zum Dritten Reich" schließt eine Lücke, die Klee mit dem Vorgänger, dem "Personenlexikon zum Dritten Reich" (2003) notwendigerweise hat lassen müssen. Ein derart auf umfassende Information angelegtes Nachschlagewerk muss notgedrungen in jedem Teilbereich unvollständig bleiben. Nun für die Kultur im umfassenden Sinne nachzuarbeiten, ist zweifelsohne sinnvoll. Dafür hat Klee teils bereits vorliegende Einträge des anderen Bandes aufgenommen und bearbeitet, teils seinen Recherchemodus erweitert. Umfassende Einträge aus dem Vorgänger zu zentralen Personen des NS-Regimes hat er nicht berücksichtigt, auch nicht unter dem Kulturaspekt, was gerade bei NS-Protagonisten wie Hitler, Goebbels, Göring oder Rosenberg bedauerlich ist. Sie sind im "Kulturlexikon" nicht verzeichnet, trotz ihres Einflusses auf die NS-Kultur. Leider hat Klee außerdem auf Verweise zum "Personenlexikon" verzichtet, so dass man zwar für diese großen Namen annehmen kann, dass sie dort zu finden sind. Für weniger bedeutende Personen jedoch wird man stets auch das "Personenlexikon" konsultieren müssen. Klee nimmt, eigenem Bekunden nach, in das "Kulturlexikon" "besonders wichtige Personen des Kulturbereichs" erneut auf, ansonsten gibt er als Aufnahmekriterien an: Tätigkeit im Kulturbereich, Jahrgang bis 1924, Vordenker des NS-Regimes, Personen, die für die NS- oder Nachkriegskultur besonders wichtig waren, Mitglieder des Hochadels und Opfer des NS-Regimes aus dem Kulturbereich. Klee betont, dass in zahlreichen Fällen die nachträglich bereinigten Biographien von NS-Akteuren stillschweigend korrigiert worden seien, in vielen Fällen seien Lebensdaten erstmals recherchiert worden. Ziel des Lexikons ist, die damals Handelnden und ihre Opfer vor dem Vergessen zu bewahren und damit ihren Teil am kulturellen Selbstverständnis Deutschlands (und gegebenenfalls Österreichs) im Bewusstsein zu halten.

Damit aber gibt er dem Band ein eigenwilliges Profil. Gerade weil Klee sich dem Wahrheitspostulat verpflichtet, ist sein "Kulturlexikon" nicht zuletzt als aufklärerisches Kampfmittel gedacht. Zugleich betont Klee, wie sehr die Gegenwart der deutschsprachigen Länder von dieser historischen Phase bis heute bestimmt ist: "Alle, Täter, Vordenker, Mitläufer, wirklich Widerständige und Opfer, gehören zu unserem kulturellen Erbe." Das Lexikon sei "ein lexikalisches Mahnmal". Der Umstand, dass er in seiner Liste von "Mitläufern" und "wirklich Widerständigen" spricht, aber nicht von der Inneren Emigration, zeigt seine Skepsis gegenüber denjenigen, die sich im Nachhinein zu dieser Gruppe gezählt haben. Sein Hinweis auf die nach 1945 zurechtfrisierten Biografien von NS-Tätern und auf das Weiterwirken zahlreicher NS-Funktionäre weist auf den Wahrheitsanspruch hin, den Klee erhebt. Und den kann man sicherlich teilen. Immerhin etwa 4.000 Personen verzeichnet Klee - und damit wohl die Mehrzahl der relevanten Akteure der Zeit.

Allerdings lädt der Band durch seine Anlage und - in einigen Fällen - Ausführung zur Kritik ein. Die Aufnahme von Personen der von Klee im Vorwort genannten "Liste der Parteigenossen, die Angehörige der fürstlichen Häuser" sind, ins "Kulturlexikon" wäre erklärungsbedürftig. Die Aufnahme von Exilanten wie Bertolt Brecht, Helene Weigel, Johannes R. Becher oder Theodor W. Adorno ist mit ihrem Opferstatus kaum ausreichend erklärbar. Sie sind, wenn das Lexikon nicht als Nachschlagewerk zum Zeitraum konzipiert ist, hier nicht sinnvoll platziert. Dass Eva Braun genannt wird, erklärt sich wohl kaum daraus, dass sie Mitarbeiterin von Hitlers Fotografen Heinrich Hoffmann war. Ausreichend begründet scheint ihre Aufnahme damit jedoch nicht. Der antisemitische Politiker Herman Ahlwardt, der bereits 1914 starb, musste wohl nicht dringend Berücksichtigung finden. Die Liste der nicht aufgenommenen Autoren hingegen ist schon bei Stichproben auffallend: Artur Dinter war nicht nur NSDAP-Funktionär, sondern hat zudem eine äußerst erfolgreiche "Sünde"-Trilogie mit esoterischem Einschlag nach dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht. Dass minoritäre Autoren wie Rudolf Ahlers fehlen, mag damit zusammen hängen, dass ihre Wirkung auf das "Dritte Reich" beschränkt war. Ähnlich Ulrich Sander ("Kompost", 1934), Friedrich Markus Huebner, der in den Niederlanden tätig war, oder Wilfried Bade, der nicht nur als Autor (unter anderem von Sciene Fiction und Lyrik), sondern auch als Funktionär Bedeutung hatte. Allerdings werden sie in der literaturwissenschaftlichen Diskussion immer wieder berücksichtigt.

Die Liste der ausgewerteten Quellen ist zwar umfangreich, berücksichtigt aber (neben einschlägigen Titeln wie Jan-Pieter Barbians zentraler Studie zur Literaturpolitik im "Dritten Reich" oder Günter Scholdts Band über die Hitler-Elogen deutscher Autoren) eher populärwissenschaftliche Titel wie den von Hans Sarkowicz herausgegebenen Band über "Hitlers Künstler" (2004) als einschlägige Forschungspublikationen wie auch Günter Hartungs Band zur deutschfaschistischen Literatur und Ästhetik von 2001. Dass Klee die jüngst erschienene Darstellung von Horst Denkler zur NS-Literatur ("Werkruinen", 2006) nicht hat wahrnehmen können, ist nachvollziehbar. Warum allerdings frühere Aufsatzsammlungen fehlen, ist nicht erkennbar.

Die Einträge sind - offensichtlich bewusst - nicht auf biografische und bibliografische Vollständigkeit angelegt. So fehlt beim Eintrag des NS-Autors Hans Zöberlein einer seiner beiden Romane ("Der Befehl des Gewissens", 1937), in dem sich Zöberlein mit der so genannten "Systemzeit" beschäftigt. Die Art der Darstellung ist wechselhaft und gelegentlich nicht im sachlichen lexikalischen Stil gehalten. Dass Stefan George als "Dichterfürst" gekennzeichnet wird, lässt sich vielleicht als ironische Distanzierung akzeptieren. An die Stelle sachlicher und knapper Beschreibungen, mit denen sich der Standort Klees identifizieren lässt, werden wohl als sprechend und bezeichnend verstandene Zitate der Autoren, von Lesern oder Forschern eingebunden, deren Relevanz allerdings nicht weiter diskutiert wird. Dafür wird gelegentlich (etwa beim Thomas-Mann-Zitat im Eintrag zu Ernst Jünger) auffallend viel Raum gewährt. Das Bemühen von Autoren um die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer wird vermerkt (Beispiel: Erich Kästner), ohne allerdings mitzuteilen, dass das Bedingung für sie war, in Deutschland publizieren zu dürfen. Stefan Andres etwa, der während des "Dritten Reichs" weitgehend in Italien lebte, konnte deshalb publizieren, ohne Mitglied der Kammer zu sein. Marieluise Fleißer wurde zur Kammer mangels Publikationen nicht zugelassen (und nicht etwa mit einem Berufsverbot belegt, wie der Eintrag irrtümlich behauptet).

Kleinere Missgriffe wie das mittlerweile seit Jahren bekannte korrekte Geburtsjahr von Irmgard Keun (1905 statt 1910) oder der weggelassene zweite Vorname von Hanns-Heinz Ewers sind zwar ärgerlich, werden sich aber wohl nie ganz vermeiden lassen. Weniger akzeptabel ist jedoch, wenn Klee lediglich mitteilt, Keun habe in ihrem Roman "Kind aller Länder" (1938) ihre Beziehung zu Joseph Roth aufgearbeitet. Dass der Roman hingegen die spezifische Lebenssituation im Exil erzählerisch reflektiert, bleibt außen vor. Außerdem hat Keun nach ihrer Rückkehr nach Deutschland unbehelligt unter dem Namen ihres geschiedenen Mannes, Johannes Tralow, gelebt (zu dem gleichfalls kein Eintrag vorhanden ist). Was Keuns Status nach ihrer Rückkehr nach Deutschland angeht (angebliche Illegalität), sind zumindest Zweifel angebracht.

In einigen der Stichproben wird bei Autoren auf das "NS-Kampfblatt Kracauer Zeitung" und auf Hubert Orlowskis einschlägige Studien verwiesen. Orlowski beschreibt freilich das Feuilleton der Kracauer Zeitung, die zweifelsohne als NS-Blatt zu bezeichnen ist, deutlich differenzierter als es diese Formel Klees erkennen lässt. Erkennbar ist, dass Klee sich nicht auf den Entschuldungsgestus etwa eines Friedrich Denk einzulassen bereit ist, und das wird man ihm, auch wenn seine Urteile deshalb gelegentlich entscheidende Nuancen unterschlagen, zugute halten.

Wird man also dem "Kulturlexikon" Klees im Detail manchen Mangel nachweisen können (was angesichts der quantitativen Anforderungen kaum wundern kann und nicht wirklich fair ist), ist seine Bedeutung als erstes Orientierungswerkzeug nicht zur Disposition gestellt. Es ist brauchbar (was hier als Lob verstanden werden soll), aber es ist nicht mehr als es zu sein vorgibt: eine erste Orientierung. Es leidet zweifelsohne daran, dass die Durchlässigkeit der aktuellen Forschung in Richtung lexikalischer Darstellung nicht optimal ist, insbesondere bei interdisziplinär angelegten Werken wie diesem. Hinzu kommt, dass Kompilationen generell unter der Abhängigkeit von ihren Quellen leiden. Bedauerlich ist hier zu vermerken, dass Klee über Recherchen, die über die von ihm genannten Quellen hinaus gehen, nicht berichtet. Bleibt als Resümee also lediglich zu bemerken, dass ein aus detaillierten Quellen erarbeitetes Nachschlagewerk auch zu diesem Zeitraum zwar fehlt, aber in den nächsten Jahren wohl kaum zu erwarten ist. Bis dahin muss Klees "Kulturlexikon" die Wissenslücken weiterhin schließen helfen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Betrag erschien zuerst in Deutsche Bücher 37 (2007) H. 2, S. 149-153. Wir danken dem Autor herzlich für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
718 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783100393265

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