Vom Kreislauf des Lebens und einer verlorenen Unschuld

Die Fortführung zweier Comic-Serien: Der dritte Band von Manu Larcenets "Der alltägliche Kampf" und "Das Ende einer Jugend" in "Donjon - Morgengrauen"

Von Waldemar KeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waldemar Kesler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der alltägliche Kampf" des Franzosen Manu Larcenet ist die schönste Comic-Serie, die man zur Zeit zu lesen und zu sehen bekommt. Sie ist von einem wundervoll melancholischen Grundton getragen, der niemals in Weinerlichkeit abgleitet, was vor allem dem übermütig-kindlichen Humor zu verdanken ist, von dem der Protagonist Marco zwischen seinen Angst- und Atemnotattacken übermannt wird.

In Band eins trifft der sich in einer Schaffenskrise befindende Fotograf Marco durch seinen bösartigen Kater Adolf auf seine spätere Liebe, die Tierärztin Émilie. Doch wie es nervösen Künstlerseelen eben so ergeht, fürchtet er ihr zunehmendes Nähebedürfnis, wovon er vom lebensweisen Landmenschen Gilbert Mesribes geheilt wird. Nachdem Marco aber von seinem Vater erfährt, dass Gilbert während des Algerienkrieges Oberleutnant war und berüchtigt für seine Verhör- und Foltermethoden auch Zivilisten gegenüber, bricht er mit der gerade erst aufgekeimten Freundschaft. In Band zwei, "Belanglosigkeiten", erfährt Marco, dass sein Vater Alzheimer hat. Ein zufälliges Zusammentreffen glücklicher Umstände bringt es aber bald darauf dahin, dass er seine Serie "Werk 22" ausstellen darf, in der er die Arbeiter porträtiert, die mit seinem Vater jahrzehntelang zusammengearbeitet haben und mit denen er aufgewachsen ist. Und in dieser Ausstellung stehen seine Bilder neben denjenigen des von ihm verehrten Starfotografen Fabrice Blanc. Er bleibt allerdings der einzige, dem es etwas wert erscheint, das Schicksal der Werftarbeiter vor dem Vergessen zu bewahren. Eines Tages ruft seine Mutter an und sagt ihm, dass sein Vater sich das Leben genommen hat.

Der dritte Band "Kostbarkeiten" steht im Zeichen der Aufarbeitung dieses Todes. Ein Tagebuch des Vaters, das Marco beim Ausräumen dessen Arbeitsschuppens findet, führt ihm vor Augen, wie fremd sich beide zeitlebens geblieben sind. Inmitten seiner Auseinandersetzung mit der Vergangenheit muss er sich der Gegenwart stellen, weil Émilie eine Entscheidung von ihm fordert: Sie will endlich ein Kind.

Es geht in "Kostbarkeiten" um Erinnerung und ihre Beschwörung. Das Leiden an der Vergangenheit, sein Versuch sie zu verstehen und der fortwährende Drang, sie zu bewahren, sind die Triebfedern von Marcos Künstlertum, das sich wie bereits in Band zwei zum eigentlichen Zentrum der Geschichte entwickelt. Als er im Schuppen die Ferne seines Vaters fühlt, weiß er mit ihr nicht anders umzugehen als die Dinge dort zu fotografieren, um ihm über die Bilder näherzukommen. Wie man bei dem Ausgangspunkt der Geschichte erwarten konnte, ist der dritte Band im Ton düsterer als seine Vorgänger, was sich auch in der Kolorierung widerspiegelt. Jede Erzählsequenz erhält dort eine eigene Farbgrundierung, was "Kostbarkeiten" eine visuelle Dichte verleiht, die die vorherigen Bände so nicht erreichen. Aber alle zeigen, dass es keinem anderen gegenwärtigen Comicerzähler gelingt, ein Panel so atmosphärisch zu gestalten wie Manu Larcenet. "Der alltägliche Kampf" ist eine Serie der eingefangenen Augenblicke und löst insofern das ein, wonach Marco für seine Fotografie sucht.

In "Donjon - Das Ende einer Jugend" erscheint erstmals bei Reprodukt die Entstehungsgeschichte der größten aller Herausforderungen für Abenteurer, nachdem die ersten beiden Bände bei Carlsen herausgekommen sind. Die "Donjon"-Serie ist eine Persiflage auf Fantasywelten, ihr skurriler Humor dürfte aber sowohl deren Freunde als auch solche erreichen, die dem Genre sonst gleichgültig gegenüberstehen. Hyazinth, der spätere Herr des "Donjon", einer Art Disneyland für Todesmutige, ist noch jung und glaubt an die Gerechtigkeit. Dass man es mit ihr nicht einfach hat, muss er bereits erfahren, als sein Versuch scheitert, Diebesgut an ein Waisenhaus zu verschenken, weil man ihn für einen Delinquenten hält. Als er dann noch seine ersten Versuche in der Liebe unternimmt, suhlt er sich bald in Blut und hat anschließend den Tripper. Was folgt, ist der Tod vieler infamer Hasen und einer Wollschnecke; das Schlimmste aber ist, dass sich Hyazinth mit den Brous verbündet, deren kriminelle Hemmungslosigkeit berüchtigt ist und die sogar Hyazinths poetisches Tagebuch verunglimpften und verunstalteten. Wo eine Frau den Verfechter der Gerechtigkeit zu Fall gebracht hat, ist es wieder eine Frau, die ihm den Glauben daran zurückgibt. Aber der immer wieder ins Bild kommende Bau an dem, was später der Donjon werden soll, mahnt daran, dass dies nur vorübergehend sein kann.

Wenn man bedenkt, dass "Donjon" auf über zweihundert Teile hin konzipiert ist, kann man sich nur auf das freuen, was da noch kommen mag. Auch wenn die Bände drei und vier der Reihe "Zenit" über die Glanzzeit des Donjon und die ersten der "Donjon Parade" ziemlich schwach geraten sind, verheißen die bislang bei Reprodukt erschienenen Teile, dass es der Gruppe um Lewis Trondheim und Joann Sfar tatsächlich gelingen könnte, die Leser bis zum Ende der Sage bei der Stange zu halten. Bei ihrer bekannten Produktivität kann man sogar darauf hoffen, dass sie diese Sage auch vollständig überliefern werden. Aber auch wenn er nun das wahre Wesen der Liebe einsehen musste - bis zum Vater des Donjon ist es für Hyazinth noch ein weiter Weg.


Titelbild

Manu Larcenet: Der alltägliche Kampf: Band 3. Kostbarkeiten.
Reprodukt Verlag, Berlin 2006.
64 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3938511737

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Lewis Trondheim / Joann Sfar: Donjon. Das Ende einer Jugend.
Reprodukt Verlag, Berlin 2006.
48 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3938511672

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