Akten des Zwistes

Alexandra Lutz analysiert Ehekonflikte im Holstein der Frühen Neuzeit

Von Caroline ArniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Arni

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hat die Ehe eine Geschichte, so mit Gewissheit auch der eheliche Zwist. Dass sich Ehepaare über Geld und Habe streiten, dass sie mangelnde Gesten der Zuneigung oder des Respekts beklagen, dass sie sich über das Zuviel oder Zuwenig körperlicher Zweisamkeit in die Haare geraten, sich ihre Gewohnheiten vorhalten, um Entscheidungsmacht kämpfen und sich böse Worte, Haushaltsgegenstände oder Ärgeres an den Kopf schmeißen, all das ist ein wiederkehrendes Phänomen. In diesem freilich kommen historisch ganz unterschiedliche Formungen, Auffassungen und Erfahrungsweisen der ehelichen Beziehung zum Ausdruck.

Auch die Holstein'schen Quellen, die sich Alexandra Lutz für ihre Dissertationsschrift vorgenommen hat, lassen solche Konflikte und ihre Ausdrucksformen in der für Scheidungs- oder Trennungsverfahren charakteristischen Detailliertheit Revue passieren. Dabei beschäftigt sich die Autorin mit einem in beeindruckender archivalischer Kleinarbeit und mit Fantasie für mögliche dokumentarische Niederschläge des Themas erschlossenen heterogenen Ensemble von Material zu über 400 Ehekonflikten aus den Jahren von 1650-1770. Dokumente aus dem geistlichen sowie dem weltlichen gerichtlichen Kontext (Konsistorialakten, Ratsgerichtsakten, Gutsgerichtsakten) ergänzt sie in einzelnen Fällen mit Informationen aus Steuerlisten oder Kirchenbüchern und setzt die daraus gewonnenen Darstellungen in Beziehung zu diskursiven Quellen (Scheidungsrecht, Ehediskurse bei Luther und in der Hausväterliteratur, aber auch Hochzeitsdrucke und Leichenpredigten). Der in vielen ehehistorischen Untersuchungen offenen Frage nach der Vermittlung der Diskurse mit der Vorstellungswelt und sozialen Praxis der Akteure widmet sich die Autorin in einer verdienstvollen Weise, indem sie sich Buchbesitz und Lektürepraktiken genauer anschaut.

In sorgfältiger Aktenrecherche und ausgehend von einer umsichtigen Untersuchungsanlage entsteht so ein informatives und ausgesprochen detailreiches Tableau ehelicher Konfliktursachen (von der Autorin katalogisiert in "Emotionen", "Sexualität", "Lebenswandel und Alkoholkonsum", "Ökonomische Not", "Handlungsräume und Hierarchien" und "Religion") und von Konfliktabläufen (von der Autorin unterschieden in "Injurien", "Gewalt", "symbolische Handlungen"). Die gewonnenen Erkenntnisse setzt die Autorin abschließend in Zusammenhang mit einigen kontrovers diskutierten Achsen der frühneuzeitlichen Ehe- und Scheidungsforschung. So hält sie unter anderem fest, dass die für andere reformierte Gebiete festgestellte Tendenz zu einer intensivierten Nutzung der Ehe als ordnungspolitisches Instrument in Holstein zeitlich verzögert eingesetzt habe und Bemühungen zu einer stärkeren Regulierung der Ehe eher von den Pastoren als den Obrigkeiten ausgegangen seien. Besonders interessant ist dabei die Feststellung, dass der obrigkeitliche Kampf gegen eine relativ weitgehende Selbstregulierung - etwa durch die Praxis der eigenmächtigen Trennung - erst mit der Ausweitung der gerichtlich zugelassenen Scheidungsgründe, also paradoxerweise einer Liberalisierung der Scheidung, Früchte zu tragen begann. Weiter legt die Autorin plausibel und vielfach belegt das Gewicht der emotionalen Dimension ehelichen Zusammenlebens dar, das der Vormoderne aus der Perspektive der liebesromantischen Moderne immer wieder kurzerhand abgesprochen wird.

Liegen hier gehaltvolle Beobachtungen vor, die vielfältige Anschlussmöglichkeiten eröffnen, so schöpft die Studie dieses Potential leider etwas zu wenig aus. Zu sehr verbleiben Darstellung und Analyse einer umfassenden Breite verpflichtet, die alles einzuholen versucht, was zur Sprache kommt und dafür auf pointierte Akzentsetzungen verzichtet. Das gestaltet zum einen die Lektüre des eigentlich sehr flüssig und angenehm geschriebenen Buches etwas langwierig. Zum andern erschwert es eine Einordnung in die bisher geschriebene Geschichte der Ehe, die über die Feststellungen hinausginge, was davon für den Holstein'schen Raum von 1650 bis 1770 zutrifft und was nicht. Etwas mehr Konzentration auf ausgewählte Untersuchungs- und Argumentationsstränge (zum Beispiel auf die erwähnten Selbstregulierungspraktiken und Strategien zu deren Aushebelung), hätte der Studie mehr Zug verleihen können und außerdem auch die Suche nach Erklärungen für die beobachteten Phänomene und Eigenheiten des untersuchten zeitlichen und territorialen Raumes stärker forcieren können. Wer sich vor allem für die Vielfalt von Verlaufsformen und Ausdrucksgestalten ehelichen Zwistes im Holstein'schen Raum der Frühen Neuzeit interessiert, wird allerdings von der Lektüre reichlich belohnt.


Titelbild

Alexandra Lutz: Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
408 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3593379740
ISBN-13: 9783593379746

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch