Der Champion des Atheismus

Jost Hermand stellt Heinrich Heine aus der Sicht eines Linksintellektuellen vor

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karl Marx und Friedrich Engels nannten Heinrich Heine den "größten deutschen Dichter nach Goethe". "Pornographischer Witzbold" schalt ihn dagegen Houston Stewart Chamberlain. Der 1930 geborene Germanist und Kulturhistoriker Jost Hermand (er ist Honorarprofessor an der Berliner Humboldt-Universität und war lange Zeit Professor an der University of Wisconsin) glaubt, dass Heine "der bedeutendste politische Rebell unter den deutschen Dichtern des 19. Jahrhunderts" gewesen sei und schmäht daher alle, die wie Fritz J. Raddatz, Dolf Sternberger und Marcel Reich-Ranicki im Dichter einen "Liberalen" sehen, der an politischen Fragen nicht allzu interessiert gewesen sei, oder wie Gerhard Storz und Benno von Wiese einst auf einem Heine-Kongress einen "von jeder Politik 'gereinigten' Heine präsentierten - der so wunderbar ins Konzept der Etablierten passte." Mit den Etablierten und Konservativen freilich hat Hermand nichts im Sinn, um so eindeutiger steht er, wie auch aus seinem jüngsten Buch "Heinrich Heine. Kritisch. Solidarisch. Umstritten" hervorgeht, auf Seiten utopisch-revolutionärer Geister.

Um Heines Widersprüche zu verstehen, müsse man wissen, dass Heines Begriffswelt zwischen dem Denken von Hegel und Marx angesiedelt war, meint Hermand. Aber im Gegensatz zu Hegel habe er um die Verluste gewusst, die mit den Fortschritten des kritischen Geistes unweigerlich verbunden sind. Letztlich sei Heine Hegels Denkweise zu abstrakt, die von Marx zu materialistisch gewesen. Gleichwohl habe er sich sein Leben lang in dem in dialektischen Widersprüchen vollziehenden "Befreiungskampf der Menschheit" engagiert. Unermüdlich habe er gegen die Mächte der Konvention und Restauration angekämpft und die Hoffnung auf eine Verbesserung der gesellschaftlichen und kulturellen Zustände nie aufgegeben.

Und wie stand Heine zu den in seiner Zeit populären Geistesgrößen? Lessing habe Heine, konstatiert Hermand, nach eigenem Bekunden am meisten geliebt und sich auf ihn als einen Einsamen berufen, weil er selber ein Einsamer geblieben sei. Bedauerlicherweise sei keinem von beiden, weder Lessing noch Heine, in Deutschland jene Wirkung beschieden gewesen, die dieses Land so dringend nötig gehabt hätte, um es vor den katastrophalen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zu bewahren. Die Deutschen hätten mehr auf beide hören sollen statt auf Goethe, meint Hermand abschließend, bevor er im folgenden Beitrag das Verhältnis von Heine und Goethe genauer unter die Lupe nimmt. Den alten Goethe empfand der junge Heine laut Hermand wegen seiner aristokratischen Haltung als reaktionär, doch habe er sich bemüht, seine antigoethische Einstellung aus taktischen Gründen zu verbergen. Vollends uneins mit Goethe war Heine, als dieser 1830 die Julirevolution in Paris ebenso schroff ablehnte wie zuvor die Revolution von 1789.

Mit seiner Gesinnung, schreibt der Autor, habe sich Heine "immer deutlicher der Sehweise der Unteren gegen die Oberen" angeschlossen. Als er sich dann gar in seinen "Geständnissen" für die Befreiung geprügelter Negersklaven und anderer Unterdrückter einsetzte, habe die Mehrheit der deutschen Literaturkritiker von ihm nichts mehr wissen wollen und stattdessen "lieber die beiden ins Unpolitisch-Olympische verklärten Klassiker von Weimar auf den Sockel" gehoben. Heine indes lasse sich nur dann verstehen, wenn man bei der Lektüre seiner Werke jenen "Blick von unten" nicht außer Acht lasse, mit dem er als "armer Düsseldorfer Judenjunge" aufgewachsen sei. Daher würden seine Werke eher von den aufmüpfigen Schichten, Goethes Werke dagegen eher von den Oberen geschätzt. Dies ist wohl doch eine zu einfache Sicht auf zwei große Dichter. Hermand ist sich dessen auch bewusst. Warum aber, fragt man sich, hat sich hier der Autor dann auf ein solches Glatteis begeben?

Differenzierter als Goethe hat Heine Schiller betrachtet und beurteilt, wobei er sowohl das "Verkultende" als auch das eindeutig Abwertende vermieden habe. Vor allem habe Heines "dialektisierende" Sehweise ihn davor bewahrt, einen der beiden Klassiker gegen den anderen auszuspielen.

Wie wiederum hat Heine Napoleon beurteilt? Anfangs begrüßte Heine ihn als welterlösenden Messias der Freiheit, dann ließ sein Interesse an dem Korsen merklich nach und am Ende befleißigte er sich einer hegelianischen Sichtweise und betrachtete Napoleon als wichtigen Repräsentanten einer großen historischen Transaktion, durch die der Gang der Geschichte in Bewegung gehalten werde, ohne zu einem endgültigen Abschluss zu gelangen.

Hermand stellt ferner das Gemeinsame im Trennenden zwischen Heine und Marx heraus. Heine betrachtete den späteren Verfasser des "Kapitals" zunächst als einen gleichgesinnten und entwickelte während ihres gemeinsamen Aufenthalts in Paris eine enge freundschaftliche Beziehung zu ihm. Nachdem Marx mit Engels nach England umgezogen war und sich Heines Gesundheitszustand immer mehr verschlechterte, fand eine innere Auseinandersetzung zwischen beiden nur noch im Hinblick auf religiöse Vorstellungen statt. Während Marx bei seinem radikalen Atheismus blieb, habe Heine eine Verbindung zwischen der sozialen Frage mit gewissen Glaubensvorstellungen gesucht und gemeint, dass man ohne irgendeinen Glauben auch keine rechte Hoffnung haben könne.

Nicht bei allen "Fortschrittsmännern" fand Heine Gleichgesinnte. Mitunter fiel er über Autoren her, deren Einfluss und politische Ideologiebildung innerhalb des linken Lagers er für verderblich hielt. Immerhin seien viele der linken Rebellen nach Hermands Dafürhalten trotz mancher revolutionärer Äußerung bürgerliche Liberale geblieben. Zudem spielten bei Heines Kritik mitunter auch persönliche Animositäten und Eitelkeiten sowie die Sorge um eigene literarische Marktanteile eine Rolle. Doch ging es ihm auch um politische Positionsbestimmungen.

Neben der Förderung seiner Eigeninteressen trat Heine stets für sozial Benachteiligte und unterdrückte Völkergruppen ein. Gleichzeitig war er der breiten Massen gegenüber überaus misstrauisch und fürchtete ihre politische Unberechenbarkeit. (Hermand spricht in diesem Zusammenhang vom "falschen Bewusstsein" der unteren Klassen.) Denn einem hochgebildeten und sensiblen Autor der Heine nun einmal war, musste die Unflätigkeit, die krude Sprache und das Auftreten ungehobelter Massen zwangsläufig abschrecken. Daher forderte er, die unterdrückten Menschen sollten nicht nur von äußeren Zwängen, sondern auch von ihrer Unwissenheit befreit und zu selbständig denkenden Individuen mit Hilfe von Kultur, Kunst und Ästhetik erzogen werden.

Heinrich Heine, der sich bis zu seinem Lebensende der Aufklärung verpflichtet fühlte, sah im Alter in der Religion immer stärker eine soziale Botschaft, bezeichnete Moses und Jesus als "Sozialisten" und bekannte sich zu einem, wenn auch unmarxschen Kommunismus. Von der schon oft gehörten Behauptung, dass Heine auf dem Krankenlager zum Gott seiner Väter zurückgekehrt sei, will Jost Hermand nichts wissen, vielmehr zweifelt er daran, dass "der Champion des Atheismus schließlich doch zu Kreuze gekrochen sei".

Ganz alleine steht er mit dieser These nicht da: Auch Walter Grab vertritt in seinem Buch "Heinrich Heine als politischer Dichter" die Auffassung, dass es Heine "mit der 'Rückkehr zum Gottesglauben' in seinen letzten Lebensjahren nicht so ernst war, wie manche Forscher behaupten."

In einer längeren Abhandlung untersucht der Autor die Auswirkungen des Kalten Krieges auf Heines Bild bei den Deutschen. Behördlicherseits ist Heine bei uns über ein Jahrhundert lang, stellt Hermand fest, als unbequemer Ruhestörer und entarteter Zivilisationsliterat empfunden worden. Vor allem "im Deutschland der frustrierten Beamtenseelen, Micheltypen, Kannegießer, Krähwinkelianer sowie sonstiger biedermeierlicher Kellerasseln" stieß er von Anfang an auf erbitterte Gegenwehr. In der Weimarer Republik geriet der Streit um Heine in den Strudel der weltweiten Kämpfe zwischen Kapitalismus und Kommunismus. In der Zeit von 1933 und 1945 wurde er in den "faschisierten" Ländern verleumdet und diffamiert, während er in den antifaschistischen an Rang und Ruhm gewann. Nach dem Zusammenbruch wurde er von Nationalisten, Antisemiten, reaktionären Romantikern, kleinbürgerlichen Autoritätsverehrern, orthodoxen Juden, saturierten Bürgerlichen und versnobten Ästheten erneut erbittert angegriffen oder totgeschwiegen und von allen Linken auf den Schild gehoben. In der DDR war die Mehrheit mit dem Werk Heines bestens vertraut, nicht so im westlichen Deutschland. Aber natürlich war auch im Osten Deutschlands das Bild, das man sich von Heine machte, einseitig und verzerrt - nur mit anderen Vorzeichen als in der Bundesrepublik.

Ob Heine ein Vorläufer der "Moderne" war, fragt der Autor in einem polemischen Epilog und kommt zu dem Schluss, dass das Eintreten für die Rechte der Enterbten und Unterdrückten und die Hoffnung auf eine neue Avantgarde wie zu Heines Zeiten heute angesichts des diffusen Charakters der sozioökonomischen Zustände und der daraus resultierenden Gesellschaftsstruktur schwieriger geworden sei. Dennoch sollte man sich dieser Dialektik stellen und eine progressionsbetonte Haltung einnehmen, rät der Autor.

Kein Zweifel, Jost Hermand kennt sich aus in Heines Leben, Werk und Rezeptionsgeschichte. Akribisch listet er alle wichtigen Stellen und Autoren auf, die sich auf die gewählten Themen beziehen, wobei er oft sehr ins Detail geht und auf eigene frühere Texte Bezug nimmt. Manches ist geradezu spannend und aufregend mit zu verfolgen.

Ärgerlich sind allerdings Stil und Sprache. Nicht selten wirken sie verstaubt und erinnern mitunter sogar an den klassenkämpferischen Jargon gewisser Linksintellektueller aus den 1970er-Jahren, in denen sich diese mit bestimmten Floskeln und Etikettierungen den Weg zu differenzierenden Betrachtungen und Urteilen verbauten. Etliche Aussagen muten penetrant, grobschlächtig, vergröbert und fragwürdig an, abgesehen von etwas merkwürdigen Wortbildungen wie "Verkultung" oder "Verfreiheitlichung".

Aber seien wir großzügig - der Gewinn, den man aus dem Buch eines so belesenen Heine-Kenners zieht, ist nicht unerheblich und versöhnt am Ende dann doch mit dem Verdruss, den die Sprache des Autors und manche Einseitigkeiten hin und wieder bereiten.


Titelbild

Jost Hermand: Heinrich Heine. Kritisch, Solidarisch, Umstritten.
Böhlau Verlag, Köln 2007.
250 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412122065

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