Labyrinth von Absonderlichkeiten

Wer Georg Kleins Roman „Sünde Güte Blitz“ nicht liest, verpasst etwas

Von Stephan KraftRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Kraft

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manieristen kann man mögen oder auch nicht. Einfacher hat man es zumeist, wenn man sie nicht mag. Wenn sich etwa in einem Roman die Bemerkung findet, Männer neigten generell dazu, einen Haken so fest in der Decke zu verankern, „als gelte es, einen Erzbischof zu erhängen“, so wird sich mit Leichtigkeit jemand finden, der genau diesen Vergleich schlicht für den albernsten hält, der an dieser Stelle denkbar war. Und wenn das Buch, das zu besprechen ist, praktisch auf jeder Seite derartige, zur Verstiegenheit tendierende Metaphern enthält, wird dieser jemand sich bald indigniert abwenden, und man wird ihn auch nicht davon abhalten können.

Georg Klein ist ohne Zweifel ein Manierist und zwar einer der besten, die es in Deutschland zur Zeit gibt. Er hat, wie das in solchen Fällen üblich ist, seit längerem einen treuen Kreis von Verehrern um sich versammelt. Die Ausprägungen eines Fankults halten sich zwar noch in Grenzen, doch ist das sicherlich nur eine Frage der Zeit. Nun ist Klein allerdings mittlerweile auch in einer breiteren Öffentlichkeit so bekannt geworden, dass praktisch alle Medien ihn rezensieren müssen, wenn er wieder einmal ein neues Buch veröffentlicht hat. Und gerade aus dieser steigenden Bekanntheit ergeben sich Probleme: Jemandem ohne ein Faible für diesen Autor Kleins Romane zur Besprechung zu überlassen, stellt ein ziemlich sinnloses Unterfangen dar. Ein solcher Rezensent wendet sich einfach ab und findet es albern – und er wird auch problemlos Gründe dafür finden. Allerdings hat auch nicht jede Redaktion einen Liebhaber von Georg-Klein-Manierismen vorrätig, und wenn doch, dann fühlt sich dieser fast zwangsläufig auf eine unangenehme Weise genötigt, diese von ihm persönlich so geschätzte Art von Literatur möglichst breitenwirksam zu vermitteln und gültig zu erklären, was an diesen Absonderlichkeiten nun im positiven Sinne besonders sein soll.

Warum also sollte alle Welt Georg Klein lesen? Versuchen wir es einmal: „Sünde Güte Blitz“, sein neuer Roman, ist nach seinem bewährten Konzept aufgebaut. Ein allgemein bekanntes, zumeist im Unterhaltungsbereich beheimatetes Genre wird aufgenommen. Diesmal ist es der Arztroman. Die Ärzte Schwarz und Weiss kommen in das unschwer als Görlitz zu erkennende Städtchen G. und eröffnen dort eine Praxis, in der bald die seltsamsten Dinge vor sich gehen. Vor allem Weiß schafft es auf mirakulöse Weise, seinen zumeist älteren weiblichen Patienten ihre verlorene Jugend, Schönheit und nicht zuletzt ihre Lust auf sexuelle Abenteuer zurückzugeben. Welches seltsame Etwas er allerdings während seiner Tätigkeit ständig in der halbgeöffneten, aber leider für niemanden einsehbaren Schublade in seinem Arztzimmer betasten muss, stellt ein durchaus beunruhigendes Geheimnis dar. Und auch, was die seltsamen Haarfunde und die Kindersocken bedeuten mögen, die Schwarz bei seinem unverheirateten Kollegen aufgefallen sind, und wer der nackte Mann ist, der offensichtlich nicht von dieser Erde stammt und eines nachts völlig unvermittelt bei der arbeitslosen Physikerin Angela auftaucht und und und… All das gehört zu den Fragen, die sich bald in großer Zahl türmen.

Spätestens hier mag man dem Liebhaber des Arztromans wohl doch wieder abraten und das Ganze vielleicht eher als einen genretypisch mit dem Übernatürlichen spielenden Horrorroman klassifizieren. Aber auch die Freunde dieser Art von Literatur sollten zumindest davor gewarnt werden, dass sie sich kurz vor dem großen, bunten und im Wortsinne knalligen Showdown noch in aller Ausführlichkeit eine Ausstellung über einen bislang völlig unbekannten Physiker aus dem 18. Jahrhundert werden erklären lassen müssen.

Und alle zusammen bräuchten sie eine von diesen Formen der Unterhaltungsliteratur ja nur selten geforderte Toleranz gegenüber bis zum Ende hin und über das Ende hinaus äußerst beharrlich offen bleibenden Fragen und unaufgelösten Widersprüchen. Georg Klein legt viele Fährten – offensichtliche und versteckte – und eigentlich müsste man zur erfolgreichen Lektüre über die hermeneutische Begabung seiner Romanfigur Weiss verfügen. Der schaut nämlich regelmäßig und konsequent an genau der Stelle vorbei, auf die der Patient mit aller Macht deutet, und blickt stattdessen zielsicher auf die eigentliche Ursache des Übels, die sich in irgendeinem scheinbar müßigen Detail verbirgt. Ausgestattet mit dieser Fähigkeit, würde man sicher schon auf den allerersten Blick erkennen, dass es in Kleins neuestem Roman eben nicht um Halbgötter in Weiß und schmachtende Krankenschwestern und auch nicht um Schwarz und Weiss/ß und vielleicht nicht einmal um Engel, Teufel, Jugendwahn, medizinische Machbarkeitsphantasien oder gar die Akademikerarbeitslosigkeit in Ostdeutschland geht.

„Was wissen wir? Was blökt die hehre Wissenschaft? Wir sagen euch, sie wird von ihm empfangen.“ Mit diesen Worten wird man aus dem neuesten Labyrinth Georg Kleins entlassen, an dessen Ende zwar vieles in die Luft, aber längst nicht alles auffliegt. Klein hat es erneut geschafft, die Zahl der Abzweigungen am Ende so weit zu erhöhen, dass man sich doch wieder verläuft, auch wenn die Architektur des Textes diesmal über eine lange Zeit insgesamt etwas sortierter ausgesehen hat als bei den Vorgängertexten „Libidissi“, „Barbar Rosa“ oder „Die Sonne scheint uns“.

Angesichts der Kunstfertigkeit, mit der all dies geschieht, sollte man solch ein ingeniös auf Lücke komponiertes Buch durchaus empfehlen. Und gleichzeitig doch auch wieder nicht: Denn wie man auch bei günstigster Schätzung immer bei mindestens neunzig Prozent der potentiellen Leser versagt, wenn man Arno Schmidt oder Thomas Meinecke an den Mann oder die Frau zu bringen versucht, so ist dies auch bei Georg Klein der Fall. Und nicht einmal bei Liebhabern des einen kann man sich auf die Wertschätzung des anderen verlassen. Wer sich am Satzzeichengebrauch Schmidts erfreut, kann die kunstvoll-umständlichen Umschreibungen Meineckes möglicherweise einfach nur zum Abwenden finden. Und wer das Sprachsampling Meineckes mit Vergnügen verfolgt, kann durchaus der Ansicht sein, dass Erzbischöfe sowieso eher erschossen als aufgehängt gehören.

Aber vielleicht trifft man ja von Zeit zu Zeit auf jemanden, der diesen Sound zu mögen beginnt – diesen unvergleichlichen, jedes Erzähler-Ich und jede Personenperspektive unfehlbar durchtränkenden Georg-Klein-Sound, der im Vergleich zu seinen früheren Romanen hier etwas gedämpfter und gleichsam klassisch gemildert daherkommt, der aber in seiner weiterhin vollkommenen Stilsicherheit in der stilistischen Übertretung weit und breit seinesgleichen sucht. Georg Klein ist auch in seinem neuesten Roman auf der Höhe seiner Kunst. Man muss das natürlich nicht mögen – wirklich nicht. Es spricht nicht einmal gegen den eigenen guten Geschmack. Georg Klein macht es einem zumindest in dieser Hinsicht ziemlich leicht.

Aber man verpasst etwas.

Titelbild

Georg Klein: Sünde Güte Blitz. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2007.
192 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783498035327

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