Das Innere des Diamanten

Mick Rock porträtiert den Pink-Floyd-Mitbegründer Syd Barrett

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Verkaufsmasche ist zwar bereits etwas abgenutzt, aber im Allgemeinen funktioniert sie immer noch recht gut: Ein Star - idealerweise geheimnisumwittert und natürlich Junkie oder zumindest Ex-Junkie - stirbt, und ehe man sich versieht, sind ein knappes Dutzend Bücher über die "tragische Gestalt", das "verrückte Genie" oder wie man ihn auch immer bezeichnet, kompiliert und auf dem Markt. Und verkaufen sich natürlich wie geschnitten Brot.

Roger Keith Barrett passte zum Zeitpunkt seines Todes im Juli 2006 ziemlich gut in dieses Raster. Er war einer der Mitbegründer von Pink Floyd, war der Kopf hinter dem ebenso abgefahrenen wie grandiosen Debütalbum "The Piper at the Gates of Dawn" (1967). Knapp ein Jahr später verließ Barrett die Band - ob gezwungen oder freiwillig, ist immer noch nicht ganz geklärt -, nachdem seine Probleme vor allem mit LSD nicht mehr unter Kontrolle zu halten waren. Ganze Konzerte stand Barrett wie angewurzelt auf der Bühne und spielte nur einen einzigen Akkord. Er versuchte sich noch an zwei Soloalben "The Madcap laughs" (Januar 1970) und "Barrett" (Dezember 1970), die in ihrer Mischung aus Genialität und wirrem Geschrammel ihresgleichen suchen, bevor er sich völlig aus der Öffentlichkeit zurückzog und keine Interviews mehr gab.

Barrett war wie vom Erdboden verschluckt und lebte bis zu seinem Tod im Haus seiner Mutter, lediglich ein paar verschwommene Handykamerabilder der letzten Jahre zeigen ihn beim Rausstellen der Mülltonne oder beim Einkaufen im örtlichen Supermarkt. Doch seinem Standing bei den Fans und bei Musikerkollegen tat dies keinen Abbruch - im Gegenteil. "I know where Syd Barrett lives", so lautete etwa ein Song der britischen Band Television Personalities, der gekonnt mit dem Mythos spielte. Barrett starb im Jahr 2006 an den Folgen einer Diabetes-Erkrankung.

Nach altbewährtem Muster begann dann die übliche Leichenfledderei. Die Nachrufe übertrumpften sich an angeblich "exklusiven" Insiderberichten, nie gekannten Fotoaufnahmen und Spekulationen über die Todesursache. Alle bekannten Klischees wurden noch einmal aufgewärmt und der Leserschaft zum wollüstigen Verzehr vorgeworfen.

Erstaunlicherweise gab es bislang kaum Bücher über den "Crazy Diamond" Barrett - dafür ist das eine, jüngst bei Schwarzkopf und Schwarzkopf erschienene Buch "Syd Barrett" des britischen Fotografen Mick Rock gleich eine grandiose, behutsame Hommage an den Musiker, die sich in äußerst angenehmer Weise den üblichen Mechanismen entzieht.

Rock ist in der Szene kein Unbekannter, mit seinen Fotos von David Bowie und Lou Reed wurde er weltweit bekannt als "der Mann, der die Siebziger fotografierte". Von ihm stammen die Cover von Iggy Pops "Raw Power", Queens "Queen II", Lou Reeds "Transformer" und zu David Bowies legendärer LP "Space Oddity". Für letzteren dreht er auch die Videos zu "The Jean Genie" und "Life On Mars".

Im vorliegenden Band findet man zunächst die Fotostrecke der Session, die für das Cover von Syd Barretts erster Solo-LP "The Madcap Laughs" aufgenommen wurde. Die Bilder, die in Barretts Wohnung am Earls Court Square in London entstanden, zeigen ihm mit wirren Haaren in einem fast vollständig leeren Raum, dessen Dielen abwechselnd orange und türkis gestrichen sind. Im Hintergrund sieht man eine nackte Frau, mit dem Rücken zum Betrachter stehend, auf einem Hocker sitzend: Iggy, seine damalige Geliebte. Diese Aufnahmen fanden auch Verwendung auf der Innenseite von "The Madcap Laughs", vermutlich weil sie am ehesten der gängigen Vorstellung von Barrett als ladies man und verrücktem Genie entsprachen. Blättert man aber durch die Bilder der Session, so findet man weitaus interessantere Fotos, die eine erstaunliche Privatheit einfangen. Es sind Motive, die weniger den Rockstar als vielmehr die Person Barrett zeigen, wie er etwa gedankenverloren mit einer Tasse Kaffee neben einem Plattenspieler sitzt und der Musik zuhört.

Diese private Seite kommt besonders in den Aufnahmen zum Tragen, die Mick Rock in Barretts Garten machte, kurz bevor dieser sich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Fernab jeglicher Rockstarpose sieht man hier einen gut gelaunten Barrett beim Tennisspiel, auf der Mauer sitzend, zusammen mit dem Fotografen, beim Spaziergang. Ebenso stimmig wie stimmungsvoll in Schwarz-Weiß porträtiert Mick Rock hier seinen Freund. Eine besonders schöne Aufnahme zeigt Barrett an den Kotflügel seines Wagens gelehnt auf der Straße sitzend - dies aber mit einem Lächeln, das so gar nicht zu der düster-mysteriösen Grundstimmung der anderen Bilder passt.

Der Band wird abgerundet durch eine nette, kleine Einleitung, die sich wohltuend von der Verklärungs- und Nachrufprosa anderer Autoren abhebt und mit erstaunlich wenig Pathos auskommt. Ferner erscheint hier auch erstmals der vollständige Text des letzten Interviews, das Rock 1971 mit Barrett für den "Rolling Stone" führte und das bislang nur stark gekürzt vorlag.

So hat man den berechtigten Eindruck, dass Mick Rock weniger am Tod einer Rocklegende verdienen möchte als vielmehr eine sehr persönliche Erinnerung an seinen Freund Syd Barrett vorgelegt hat, die die sensationsgierigen "Fans" bewusst links liegen lässt und für alle diejenigen ein Gewinn ist, die sich neben der Musik auch für die Person des Musikers interessieren.


Titelbild

Mick Rock: Syd Barrett. Der "Crazy Diamond" von Pink Floyd.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2007.
144 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896027757

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