Charmante Nervensägen

Über Sibylle Mulots Roman "Die Unwiderstehlichen"

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

War Jesus Maniker? Schließlich glaubte er, Gottes Sohn zu sein, hielt spontane Reden, stachelte die Menschen mit aufrührerischen Ideen an und randalierte im Tempel. Der "Philosoph", der sich schon länger mit dieser Frage beschäftigt, beantwortet sie eindeutig mit "ja", schließlich ist er selbst betroffen und kennt das Krankheitsbild nur allzu genau. "Der Philosoph" ist einer derjenigen, um die sich Sibylle Mulots Roman "Die Unwiderstehlichen" dreht: Manisch-Depressive. In ihren manischen Phasen sind sie Menschen, deren Energie unerschöpflich scheint und deren Esprit und Überzeugungskraft andere zu Plänen mitreißen, die fantastischer und hochtrabender nicht sein können. In ihren depressiven Abstürzen fallen sie jedoch geradezu ins Bodenlose, in die schwärzeste Trübsal, die sie zu verschlingen droht. Die manische Depression ist ein Krankheitsbild, das nicht nur die Betroffenen mit einem ständigen Wechsel zwischen zwei Extremen konfrontiert, sondern auch für die Menschen in ihrer Umgebung mit ständig neuen Belastungen aufwartet. In der Manie scheint alles möglich: Der Aufbau eines Firmenimperiums, der Einstieg an der Börse, die große Liebe im Sturm zurückerobern - keine Idee ist zu verrückt, als dass ein Maniker sie nicht für realisierbar hielte. Und in der Regel weiß er davon nicht nur sich selbst zu überzeugen, sondern auch andere.

Das erfährt auch Xenia am eigenen Leib, die als Praktikantin für mehrere Wochen in einer Anlaufstelle für Maniker arbeitet. Gleich bei ihrer ersten Aufgabe, nämlich den "Wissenschaftler" vom Flughafen abzuholen, geht sie beinahe seinem eloquenten Auftreten auf den Leim. Der ist eigentlich Anglistikstudent, verkörpert aber so überzeugend eine wissenschaftliche Koriphäe, dass er es regelmäßig schafft, kostenlos nach Spanien zu fliegen und in Hotels abzusteigen, bis ihn die deutsche Botschaft zurück nach Hause verfrachtet. Dort lebt er eine Weile ruhig und unauffällig - bis die Manie von vorne beginnt. Der "Wissenschaftler" ist kein Einzelfall, wie Xenia bald feststellt. Auch die anderen "Klienten" der Anlaufstelle verstehen es, sich immer wieder auf's Neue Sympathien, Unterstützung und Finanzmittel anderer zu verschaffen. So vor allem Ludo Asch, der in höchstem Maße unter Realitätsverlust leidet: Als Präsident des "Mali Media Vereins" heimst er Spenden und Finanzspritzen für sein dubioses Projekt ein und gewinnt deutsche Prominente gleich dutzendweise dafür, nicht nur Mitglied zu werden, sondern auch zu vermeintlichen Konferenzen des Vereins nach Afrika einzufliegen. Natürlich finden die Geprellten es nicht unbedingt komisch, wenn sie entdecken, dass sie einem Hirngespinst aufgesessen sind. Doch Ludo Asch ist sich keiner Schuld bewusst. Er schafft es aus jeder misslichen Lage wieder heraus, und beeindruckt neue "Opfer" mit seinem Charme und seinen überschäumenden Ideen...

Beeindruckend an Sibylle Mulots Roman "Die Unwiderstehlichen" ist neben seiner erzählerischen Leichtigkeit vor allem der Respekt, mit dem sie von der manischen Depression berichtet. Sie lässt ihre Leser Menschen begegnen, die allgemein als Hochstapler und Betrüger gelten, jedoch nicht aus krimineller Energie handeln, sondern an einer Krankheit leiden, die sich in ihrer extremsten Form in asozialem, realitätsfernem Größenwahn zeigt. Mit großem Einfühlungsvermögen arbeitet Mulot das Heimtückische der Krankheit heraus: Der Betroffene verspürt in der Manie keinen Leidensdruck, im Gegenteil: Er fühlt sich nicht krank, sondern beflügelt und inspiriert. Für ihn verschwindet der Unterschied zwischen Wunschdenken und Realität - "Don't dream it - be it", könnte sein Lebensmotto sein. Allein in den depressiven Phasen, merkt er, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Dann verzweifelt er am Leben und an sich selbst. Doch selbst in solchen Momenten ist das Hochgefühl der Manie im Nachhall oft noch zu verlockend, als dass er sein Leben in Extremen gegen ein ausgeglichenes, "normales" Leben eintauschen möchte. Die notwendigen Medikamente werden nach kurzer Zeit wieder abgesetzt, so dass der Wechsel zwischen "himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt" erneut beginnt.

Mulot entschuldigt mit ihrem Roman nicht, sie verharmlost nicht. Ihr Ziel ist es nicht, den "Unwiderstehlichen" einen Freibrief für ihr faszinierendes, aber eben oft auch unheilvolles Tun auszustellen. Gleichwohl macht sie sie nicht zu Witzfiguren, über deren groteske Verhaltensweisen man sich als "Normaler" lustig machen kann. Mulot zeigt vielmehr feinsinnig, sensibel und intelligent, wie schmal der Grad zwischen Genie und Wahnsinn ist. Zu schmal, als dass man sicher sein könnte, ihn nicht wenigstens zeitweise zu überschreiten.


Titelbild

Sibylle Mulot: Die Unwiderstehlichen. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2007.
150 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783257065664

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