Im Gefängnis des Gedankenkarussells

Ned Vizzinis echt verrückte Story

Von Martin SpießRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Spieß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In keinem Land der Welt ist der Leistungsdruck so hoch wie in Amerika. Die Legende vom Tellerwäscher, der es zum Millionär bringt, ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten fast so etwas wie eine Doktrin. Und der Schlüssel zum Erfolg ist Efeuumrankt: Harvard, Princeton, Yale. Die Vorbereitung besorgen Schulen wie die in Tom Schulmans "Club der toten Dichter". Die Leistungsgesellschaft muss florieren, die Eltern beugen sich. Weil sie an das System glauben. Und das System funktioniert, augenscheinlich.

Ned Vizzini erzählt in seinem neuen Roman "Eine echt verrückte Story" von einem, den das System von Leistung und Erfolg in die Depression treibt. Der 15-jährige Craig hat monatelang für den Aufnahmetest der Executive Pre-Professional High School gelernt und ist jetzt, da er angenommen ist, den Anforderungen nicht gewachsen: Weder schafft er es, in allen Fächern die besten Ergebnisse zu erzielen, noch kann er sich zu außerschulischem Engagement in Organisationen und Vereinen aufraffen. Sein E-Mail-Posteingang macht ihm Angst, er kommt mit den Hausaufgaben nicht hinterher und verliert den Anschluss. Außerdem kann er nur selten etwas essen und behält noch seltener etwas im Magen: Craig nennt das einen Mann, der in seinem Magen sitzt und den Eingang verschließt. Auch das Kiffen mit seinem besten Freund Aaron und dessen Freundin Nia, in die Craig unglücklicherweise verliebt ist, helfen ihm nicht, einen Weg aus der Depression zu finden. Und so landet er, als er sich eigentlich das Leben nehmen will, in der "Geschlossenen" eines Brooklyner Krankenhauses. Während der vier Tage dort entdeckt er eine Leidenschaft aus Kindertagen wieder - ein Licht am Ende des Tunnels.

Dass "Eine echt verrückte Story" so dicht erzählt ist und so authentisch anmutet, erklärt sich vielleicht daraus, dass Vizzini selbst einen Aufenthalt in einer geschlossenen Station erlebt hat. Nie erhebt Vizzini sich über seinen Protagonisten. Er erzählt mitfühlend, anrührend und immer wieder humorvoll. Er lässt ihn sich selbst reflektieren, anklagen, hinterfragen, lässt ihn leiden und sich freuen, wenn er eine Mahlzeit nicht sofort wieder erbrochen hat. Zentral ist dabei das Gefühl Craigs, es müsse ihm eigentlich leicht fallen, zu leben. Dass Craigs jugendliches Lamento beim Leser keine Antipathie sondern Empathie erzeugt, liegt daran, dass er ein nachvollziehbarer Protagonist ist - ob Vizzinis Erfahrungen wegen oder nicht. Und mehr noch: Er ist Teil eines gesellschaftlichen Phänomens Amerikas. Als Craig offen legt, wie schlecht es ihm geht, erfährt er, wie viele seiner Freunde und Mitschüler an der Pre-Professional genau wie er Medikamente nehmen, weil sie sonst nicht mehr durchhielten. In der Klinik stellt Craig fest, dass er sehr hart auf etwas hingearbeitet hat, was weder seiner Natur entspricht noch sein Wunsch ist. Und so kehrt er amerikanischen Erfolgs- und Leistungsgesellschaft schließlich zugunsten von etwas den Rücken, was nicht nur sehr viel schwerer wiegt, sondern für das er weder Medikamente noch Drogen braucht: Das Leben. Es gibt, so zeigt Vizzini, eben auch Wege neben dem von Efeu berankten.


Titelbild

Ned Vizzini: Eine echt verrückte Story. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz und Werner Schmitz.
Rockbuch Verlag, Schlüchtern 2007.
320 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783927638402

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