Triste Vorstadt, tristes Leben

Richard Yates' Roman "Zeiten des Aufruhrs" als Hörbuch

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das erste Hörbuch des großen und bei uns noch immer viel zu wenig bekannten amerikanischen Schriftstellers Richard Yates liegt auf Deutsch vor: "Zeiten des Aufruhrs". Der Roman in der Übersetzung von Hans Wolf ist hierzulande im Jahr 2002 erschienen. Es ist ein Monolith in der amerikanischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Frank Wheeler arbeitet in New York und lebt mit seiner Frau April und den beiden Kindern in einer spießigen Vorstadtsiedlung. April, die Schauspielerin werden wollte (so wie auch Richard Yates' erste Ehefrau), engagiert sich in einer Laienspielgruppe, deren erster Auftritt zum Fiasko wird. Die Stimmung ist dahin, der Abend nach der Premiere verläuft anders, als erwartet. Dieser eigentlich kleine Zwischenfall, der an sich nicht der Erwähnung bedürfte, bildet den Anfang des Romans und macht deutlich, worum es geht: um Enttäuschungen, Wünsche, Träume, um Risse im perfekten Bild, in der Illusion vom makellosen Leben. So dauert es auch nicht lange, bis sich Frank der Versuchung hingibt, die eine Mitarbeiterin seines Büros schon lange für ihn darstellt. Doch diese Geschichte beendet er schnell, das Mädchen hatte ihm lediglich einen Dienst erwiesen: Er hat Nähe, Leidenschaft und Begehren empfunden, doch es sollte keine dauerhafte Affäre werden.

Das Leben der Wheelers erfährt eine Wendung, als April ihren Mann mit dem Plan überrascht, nach Europa, am besten nach Paris gehen zu wollen, wo sie für die Familie arbeiten werde, damit er sich ganz dem Denken und Grübeln hingeben könne - was er, so April, doch schon so lange wolle. Anfänglich skeptisch, erwärmt sich auch Frank allmählich für diese Idee, die dann jedoch von einem Angebot seines Arbeitgebers torpediert wird, der ihm einen interessanten neuen Job in Aussicht stellt. Als April dann auch noch schwanger wird, spricht niemand mehr von Paris. Das Paar, das allabendlich Martinis trinkt - meist mehr, als beiden gut tut - entfremdet sich zusehends voneinander, was darin gipfelt, das sich die immer verzweifelter werdende April ihrem Nachbarn auf dem Rücksitz von dessen Wagen hingibt.

Was darauf folgt, ist an Dramatik kaum zu überbieten und ist, obwohl vorhersehbar, absolut schockierend. Richard Yates beschreibt das Leben der Wheelers in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts exakt und mitleidlos, dabei aber nie kalt oder herablassend. Dadurch, dass er selbst zu einem Gutteil in diesem Roman steckt, hat er einiges davon doch so oder so ähnlich erlebt und erlitten. Es entsteht eine große Nähe zur Situation, zu den Personen. Und die scheint er wirklich aus dem Effeff zu kennen - so fein, so nah, so verständnisvoll zeichnet er sie alle. Nie hat man den Eindruck, hier schreibe ein soziologisch und psychologisch geschulter Autor aus der Perspektive des allwissenden Erzählers.

Und damit zum Hörbuch und demjenigen, der diesen Text erzählt, zu Christian Brückner. Es mag mittlerweile ein wenig langweilig klingen, doch auch bei diesem Text ist es so, dass man sich keinen besseren Sprecher vorstellen könnte. Brückner ist das Maß, an dem andere sich messen lassen müssen. Bei der Interpretation des Yates'schen Romans gelingen ihm keine Besonderheiten und das ist das Besondere: Er beschreibt den Alltag der Wheelers, ihre täglichen Verrichtungen, ihre Begegnungen miteinander und mit anderen Personen so normal, so unaufgeregt und doch mit einer hinter den Worten liegenden oder lauernden Spannung oder Anspannung, dass man ihm gern, sehr gern über sechs Stunden zuhört. Das ist nicht cool oder abgeklärt, das ist fast so nah am Stoff, am Text, wie es der Autor gewesen sein mag, als er diesen Roman vor über 40 Jahren schrieb und der damals nicht akzeptiert wurde. Man kann gar nicht froh genug sein darüber, dass es diesen Roman - und somit auch dieses Hörbuch mit diesem Sprecher - in einer hervorragenden Übersetzung gibt, um uns darüber klar zu werden, dass Literatur große Kunst sein kann und dass es nicht immer die jungen und schnell zu Starruhm kommenden shooting stars sind, die unsere Lust am Lesen respektive Hören befeuern.


Titelbild

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs. 5 CDs.
Universal Music Entertainment Deutsche Grammophon, Berlin 2007.
389 min, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783829118750

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