Munition für den Kulturkampf

Zu Edgar Dahls Sammelband "Brauchen wir Gott? Moderne Texte zur Religionskritik"

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 7. Juli 2005 schrieb der Wiener Kardinal Christoph Schönborn einen Beitrag in der New York Times über das Verhältnis der christlichen Schöpfungslehre zur Evolutionstheorie. Dieser Artikel löste eine heftige Debatte aus, welche von Einseitigkeiten und Ungenauigkeiten gekennzeichnet ist, und zwar sowohl im Beitrag des Kardinals als auch in den Reaktionen darauf. Im Juni 2007 hat eine Äußerung der hessischen Kultusministerin der FAZ gegenüber für erhebliches Aufsehen gesorgt. Sie hat einen "modernen Biologieunterricht" gefordert, in dem die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis sowie religiöse Fragen nach dem Sinn des Lebens thematisiert werden müssten. Der Kulturkampf, der in den angelsächsischen Ländern, vor allem in den USA, schon zumindest 20 Jahre in Gange ist, ist nun auch in den deutschsprachigen Ländern angekommen. Freilich ist das mediale Gewitter hier noch nicht so gewaltig, zumal die Proponenten keine annähernd heftige Resonanz auslösen, wie zuletzt etwa Richard Dawkins mit seinem Buch "The God Dellusion" und Terry Eagletons darauf Bezug nehmende polemische Kritik in der London Review of Books unter dem Titel "Lunging, Flailing, Mispunching".

Auch im deutschen Sprachraum sind in den letzten Jahren trotz der Rede von der Wiederkehr der Religion eine Reihe religionskritischer Texte erschienen, ihre Besprechung, scheint es, bleibt aber hierzulande weitgehend auf theologische beziehungsweise philosophische Seminare beschränkt. Edgar Dahl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hessischen Zentrum für Reproduktionsmedizin der Justus-Liebig-Universität Gießen, hat eine Sammlung mit dem Titel "Moderne Texte zur Religionskritik" vorgelegt. In dem Band "Brauchen wir Gott?" versammelt er zwischen 1974 und 2004 entstandene Beiträge von Richard Dawkins, Antony Flew, Adolf Grünbaum, Norbert Hoerster, Peter Singer, Edward O. Wilson und Gerhard Vollmer. Alle Beiträge stammen somit aus dem englischen und deutschen Sprachraum.

Der Titel "Brauchen wir Gott?" ist eine rhetorische Frage. Für die Beiträger (allesamt Männer) ist die Frage eindeutig mit Nein beantwortet. Innerreligiöse Kritik kommt nicht zu Wort. Im Vorwort unterscheidet Edgar Dahl zwei Formen der Religionskritik. Zum einen die, die in der Tradition von Feuerbach, Freud und auch Dean Hamer ("Das Gottes-Gen") danach fragt, warum Menschen religiös sind, zum anderen die Kritik, die sich mit Begründungsfragen beschäftigt. Nur der Beitrag Gerhard Vollmers, der übrigens wie die Aufsätze von Hans Albert und Dieter Biernbacher Nachdrucke aus "Lehre des Unheils", der 1993 erschienenen oben angesprochenen "Fundamentalkritik" des Herausgebers sind, gehört zur ersten Form von Religionskritik. Alle anderen Traktate beschäftigen sich mit der Frage der rationalen Begründbarkeit des (zumeist christlich verstandenen, monotheistischen) Gottesglaubens.

Nicht alle Beiträge kommen so kämpferisch daher wie Richard Dawkins` Text "Die Unwahrscheinlichkeit Gottes". Für ihn gilt: "Das Ganze [gemeint ist der Gottesglaube] war nur eine gigantische Verschwendung von Zeit und Leben. Wäre es nicht so tragisch, könnte man es für einen Scherz kosmischen Ausmaßes halten." Wenig überraschend, dass bei so viel Eifer (und missionarischer Tendenz) die philosophische Stringenz zu wünschen übrig lässt.

Nicht alle Argumentationen laufen auf Atheismus hinaus. So kann man aus den sehr interessanten Überlegungen Bernulf Kanitscheiders über "Die Feinabstimmung des Universums" eher eine agnostische Position herauslesen: eine Position, die bei Naturwissenschaftlern verbreitet ist, die aus methodischen Gründen religiöse Denkmodelle beiseite lassen. Dagegen ist die Entscheidung der atheistischen Position gegen ein göttliches Wesen oder einen persönlichen Gott eindeutig.

Besonders beleuchtet wird die religiöse Begründung von moralischen Werten. Norbert Hoerster liefert Argumente für die Unlösbarkeit des klassischen Theodizeeproblems, Hartmut Kliemt denkt über "Glaube und Intoleranz" nach, Jan Narveson "Über 'moralische Beweise' für die Existenz Gottes". Speziell mit dem "Dilemma", dem "Elend" der christlichen Moral beschäftigen sich Dieter Birnbacher, Edgar Dahl und Adolf Grünbaum. Abgeschlossen wird der durchgängig gut zu lesende Band durch einen literarischen Text Peter Singers, der 1990 erstmals in Karlheinz Deschners Anthologie "Woran ich glaube" erschien.

Beim Lesen des Buches geht es einem vielleicht wie Friedrich Nietzsche, der in "Das religiöse Wesen" festhält: "Warum heute Atheismus? Der Vater in Gott ist gründlich widerlegt ebenso der Richter, der Belohner. Insgleichen sein freier Wille, er hört nicht und wenn er hörte, wüßte er trotzdem nicht zu helfen. Das Schlimmste ist, er scheint unfähig sich deutlich mitzuteilen. [...] Dies ist es, was ich als Ursachen für den Niedergang des europäischen Theismus aus vielerlei Gesprächen fragend hinhorchend ausfindig gemacht habe, es scheint mir, daß zwar der religiöse Instinkt mächtig im Wachsen ist, daß er aber gerade die theistische Befriedigung mit tiefem Mißtrauen ablehnt." Allerdings: Überlegungen, die die "theistische Befriedigung" plausibel machen, könnte es unter den Zeigenossinnen und Zeitgenossen auch geben.


Titelbild

Edgar Dahl (Hg.): Brauchen wir Gott? Moderne Texte zur Religionskritik.
Hirzel Verlag, Stuttgart 2005.
174 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3777612871

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